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Intensiv. Rabih Mroué ist Gast im HAU. Diesmal tritt er in Berlin auch als Musiker auf.
© Laif

Interview mit Rabih Mroué: „Bitte versucht nicht, irgendwas zu begreifen“

Das Hebbel am Ufer blickt in den Nahen Osten: Ein Gespräch mit dem libanesischen Performer Rabih Mroué, der Mittwochabend das bis Sonntag laufende Nahost-Festival eröffnet.

Rabih Mroué erscheint leicht gestresst, aber aufgeräumt zum Interview. Der libanesische Schauspieler, Regisseur und bildende Künstler, 1967 in Beirut geboren, probt im Hebbel am Ufer eine musikalische Hommage an Etel Adnan, die Grande Dame der arabischen Kunst. Mroués Abend „The White Sheets of Berlin“ eröffnet am heutigen Mittwoch das Nahost-Festival „Den eigenen Blick unbewohnbar machen“ (bis 9. Juni). Unmittelbar vor dem Gespräch erreicht den Regisseur die Nachricht, dass die heute 80-jährige, in Paris lebende Künstlerin aus gesundheitlichen Gründen nicht zu Vortrag und Diskussion nach Berlin reisen kann. Stattdessen wird eine Videobotschaft aufgezeichnet.

Rabih Mroué, in dem Gedicht „Nacht“ von Etel Adnan fällt die Zeile: „Heimat ist jemandes Leben“. Spricht Ihnen das aus der Seele?

Absolut. Heimat ist dort, wo du deine Spuren hinterlässt und deine Erfahrungen machst. Für mich sind es nicht die Wurzeln, die Ahnen oder die Blutsbande, die zählen. Ich bin wahrlich kein nationalistischer Mensch!

Wie begegnen Sie in Ihrer Hommage dem Werk Adnans?

Zusammen mit dem libanesischen Künstler Siska habe ich mich von Etels 8-mm-Filmen inspirieren lassen. Man weiß nun nicht: Stammen die Filme, die wir zeigen, von ihr – oder von uns? Aber das spielt keine Rolle, sie atmen den gleichen Esprit. Dann habe ich einige von Etels Gedichten ins libanesische Arabisch übertragen. Die Lyrik existierte bis dato nur im Fusha, dem offiziellen Arabisch. Mit Rima Khcheich, einer im arabischen Raum sehr bekannten Sängerin, verwandele ich diese Poeme in Songs.

Worauf bezieht sich der Titel „The White Sheets of Berlin“?

Der stammt von Etel selbst. Sie sagte, wenn sie ein Buch über Deutschland schreiben müsste, würde es diesen Titel tragen. Sie bezieht sich damit auf das Jahr 1991, als in Berlin gegen den ersten Krieg der Amerikaner im Irak protestiert wurde. Aus Solidarität mit dem irakischen Volk hängten die Bürger weiße Laken von den Balkonen.

Das Festival im HAU trägt den Untertitel „Krisen und Aufbrüche im Nahen Osten“. Wo sehen Sie echte Aufbrüche?

Vielerorts in der arabischen Region werden die alten Systeme verabschiedet. Natürlich ist das erst der Anfang eines Aufbruchs. Und ich bin sicher, es wird ein langwieriger Prozess. Trotzdem stimmt mich zuversichtlich, was in der arabischen Welt passiert. Es ist das erste Mal, dass sich die Menschen aus einem inneren Bedürfnis heraus zu Protestbewegungen sammeln, ohne dass ein Anführer die Massen mobilisiert hätte.

Ist der Arabische Frühling nicht vor allem im Westen vorschnell bejubelt worden?

Nicht nur im Westen. Auch in der arabischen Welt haben viele sehr schnell gejubelt. Aber das ist nicht das Problem. Schwerer wiegt für mich, dass die gleichen Leute sich vorschnell in die Depression fallen lassen und glauben, die Verhältnisse seien schlimmer als zuvor. Viele, die ich kenne, waren anfangs derart enthusiastisch, dass sie die große Wende gleich für morgen erwarteten. Entsprechend enttäuscht sind sie, dass die Muslimbrüder die Macht in Ägypten und Tunis übernommen haben. Aber die Bewegung deshalb als Fake-Revolution zu verdammen, ist ebenfalls vorschnell.

Das Beirut vor dem libanesischen Bürgerkrieg, das Adnan vielfach beschreibt, soll eine wunderschöne Stadt gewesen sein.

Meine Eltern stammen aus sehr armen Verhältnissen. Ihr Beirut unterschied sich von jenem, über das viele Intellektuelle der älteren Generation sprechen. Ich habe Bilder gesehen aus dem Beirut der 50er und 60er Jahre, aber ich habe keinen Bezug dazu. Mein Beirut ist das des Bürgerkrieges, und ich liebe es. Das war meine Kindheit, meine Geschichte.

Etel Adnan sagte in einem Interview: „Der libanesische Bürgerkrieg dauerte 15 Jahre, weil keine Seite zugeben mochte: Ich habe verloren. Sie brennen lieber ihr eigenes Haus ab“.

Ja, das ist einer der Gründe. Die magische libanesische Gleichung: keine Gewinner, keine Verlierer. Es stirbt auch niemand. Jalal Toufic, der libanesisch-irakische Künstler, hat gesagt: Die Libanesen sollten lernen, wie man stirbt. Wir klammern uns an die Toten und Getöteten in unserem täglichen Leben, wir sind unfähig, sie gehen zu lassen.

Wiederholt sich in Syrien gegenwärtig die libanesische Geschichte?

Der Bürgerkrieg im Libanon begann als eine Art Revolution, nahm aber schnell andere Formen an. Die eines Religionskrieges, oder eines Stellvertreterkrieges benachbarter arabischer Länder. Aber es war kein absurder Krieg, wir können ihn studieren und die Hintergründe verstehen. Trotz aller Unterschiede könnte das auch für Syrien gelten.

Für Etel Adnan, die Tochter einer griechischen Mutter aus Smyrna und eines muslimischen Vaters aus Damaskus, war die Welt früher wie selbstverständlich ein kosmopolitischer Ort. Ist das heute eine Utopie?

Zumindest in meinem Land. Es gibt vielleicht noch ein, zwei Straßen, in denen man das Gefühl hat, in einer kosmopolitischen Stadt zu leben. Tatsächlich ist der Libanon geteilt in monokulturelle Inseln. Wer dort eintritt, wird wie ein Fremder oder Verdächtiger behandelt.

Sie selbst sind Teil der internationalen Kunstszene, auf der Kasseler documenta wie in New York gefragt.

Aber nicht deshalb fühle ich mich als Kosmopolit! Ich hatte Glück, ich bin in einer säkularen Familie aufgewachsen, meine Eltern waren säkular, auch der Großvater. Das lässt dich den Glauben anderer akzeptieren und bewahrt dich davor, fanatisch oder fundamentalistisch zu werden.

Haben Sie manchmal das Gefühl, zu Festivals nur deshalb eingeladen zu werden, weil sich Kuratoren gern mit Kunst aus Krisengebieten schmücken?

Ich habe viele solcher Einladungen bekommen. Und ich lehne sie alle ab. Ich lasse mich nicht reduzieren. Wenn das der Preis wäre, um international präsent zu sein, würde ich meine Arbeiten lieber nur in Beirut zeigen.

Unlängst hat Matthias Lilienthal seine „X-Wohnungen“ in Beirut gezeigt, viele Journalisten sind für ein paar Tage angereist. Wie viel Libanon lässt sich über die Kunst vermitteln?

Jeder soll gern für ein paar Tage kommen! Aber unter einer Bedingung: bitte nicht versuchen, irgendetwas zu begreifen. Es gibt diesen Film von Volker Schlöndorff, „Die Fälschung“. Der erzählt genau davon. Ein Journalist wird in den Libanon entsandt, um über die Situation zu berichten. Als er nach Deutschland zurückkehrt, wird er gefragt: Wo ist deine Story? Er entgegnet: Ich habe keine Story, weil ich nichts verstanden habe.

Wie beurteilen Sie die Lage im Libanon?

Die Spannung ist hoch. Es gibt laufend Zusammenstöße zwischen Sunniten und Schiiten. Und nach der Ankündigung der Hisbollah, sich in Syrien einzumischen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Krieg übergreift. Die Hisbollah erfüllt den Wunsch des Assad-Regimes, einen Flächenbrand zu entfachen. Ich bin nicht optimistisch.

Könnten Sie sich vorstellen, dauerhaft in einem anderen Land zu leben?

Vorstellen? Natürlich. Ich sagte Ihnen schon, ich bin kein Nationalist. Der Bürgerkrieg hat einen Großteil meines Lebens bestimmt. Wenn der nächste Krieg ausbricht, werde ich nicht dabei sein.

Das Gespräch führte Patrick Wildermann.

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