Libanon: Baustelle Beirut
Mit den Münchner Kammerspielen und Rabih Mroué im Libanon
Nach Beirut zu kommen, ist für mich immer ein wenig wie nach Hause zu kommen. 2012 und 2013 arbeitete ich als Dozent am Ashkal Alwan, dem Zentrum für zeitgenössische Kunst. Ich war damals froh, nach meiner Zeit am HAU in Berlin ein Jahr im Mittleren Osten zu leben.
Diesmal wohnen wir in einem Hotel in der Nähe des Nationalmuseums. Dort befindet sich die französische Botschaft. Es ist die Rue du Damas, die alte Green Line. Hier sieht Beirut noch aus wie im Krieg. Panzer und Soldaten, Gefechtsstände. Insgesamt aber wirkt die Stadt fröhlich. Man spürt überhaupt keine Auswirkungen des Terroranschlags vom 12. November in Dahir, dem von der Hisbollah kontrollierten Stadtteil.
Eingeladen zum Beiruter Homeworks-Festival sind die Münchner Kammerspiele mit Rabih Mroués neuer Produktion „Ode to joy“, die im Oktober in München ihre Uraufführung hatte.. Der libanesische Regisseur, dessen Stücke auch regelmäßig in Berlin zu sehen sind, betrachtet das Münchner Olympia-Attentat von 1972 aus arabischer Sicht und findet dabei zu Bildern der Entheroisierung: wenn etwa Abu Daoud, der Planer des Attentats, sich beklagt, dass es der Mossad versäumt habe, ihn zu töten, und er in der Geschichtsschreibung nicht genügend berücksichtigt werde. Rabih Mroués Stücke sehen einfach aus, leben aber von rafinierter Technik. Der Beamer im Sunflower Theater ist uralt. Er lässt sich nicht richtig scharf stellen. Das Haus ist das am besten ausgestattete Theater in Beirut.
Es ist warm Ende November, 22 Grad. Die Grillen zirpen. Von Rabihs „Ode to joy“ wird eine Zusatzvorstellung angesetzt, wegen des großen Andrangs. Das Publikum ähnelt immer mehr der Berliner Hipster-Gemeinde. Lokale Besonderheiten verschwinden. Danach geht es in eine neue In-Bar. Die Rue d’Arménie verkommt immer mehr zu einer Art von Ballermann der Intellektuellen von Beirut.
Die Durchlaufprobe für „Ode to joy“ geht ganz gut. Die Beamer lassen sich immer noch nicht scharf stellen. Die hätten wir besser in München gemietet und mitgebracht. Meine Studenten wollten mich treffen, keiner taucht auf. Auf der Straße riecht es nach Müll, der nicht abgeholt wird und sich türmt. Alles wie immer.
An der Zukunft wird noch gebaut
Draußen vor dem Beirut Arts Center spielt eine syrische Familie. Sie hat sich in der Ecke eingerichtet. Auf den Plakaten steht „The Future is always under construction“. Von den Flüchtlingen merkt man sonst immer nur auf den zweiten Blick etwas.
Es gibt eine neue Kriegsökonomie: Die syrischen Wanderarbeiter kosten fast nichts. Sie leben auf der Baustelle. Der Totalverlust des Libanon wird mit 30 Prozent Wahrscheinlichkeit eingepreist. Falls nicht, ist der Gewinn enorm. So funktioniert also Risikokapital. Alle Baufirmen decken sich ein mit Stahl für den Wiederaufbau Syriens.
Jeder kennt hier jemanden, der von den Pariser Attentaten des 13. November betroffen ist. Bei dem Anschlag kurz zuvor in Beirut kamen 32 Menschen um. Ein Anschlag in dem Stil, in dem die permanenten Attacken im Irak stattfinden: Ein zweiter Selbstmordattentäter hat sich in die Luft gesprengt und die Menschen getötet, die nach dem ersten Anschlag helfen wollten. Ein dritter Attentäter kam nicht mehr zum Zug. Niemand kennt die Opfer von Dahir, von dem Attentat, das einen Tag vor dem Pariser Massaker verübt wurde. Die hedonistische Kulturszene ist überall vernetzt, da liegt dann Paris näher als der vom Theater nur einen Kilometer entfernte Anschlagsort in Beirut.
Die Zuschauer drängen in die Vorstellung von Rabih Mroué. Die Stimmung ist hoch konzentriert. Aber direkte Reaktionen bleiben aus. Das Münchner Olympia-Attentat ist weit weg. Bei der Szene aber, in der die Erschießungen im antiken Theater von Palmyra geschildert werden, merkt man, wie die Theaterbesucher schlucken. Immerhin gibt es einen IS-Kommandeur für den Libanon.
Das Schweigen in diesem Moment wirkt wie eine kurze Pause in der immerwährenden Party Beiruts. Die Stadt geht gelassen mit Anschlägen und Opfern um: Anschläge gelten als Risiko wie der Straßenverkehr.
In München bei der Sitzung des Goethe-Instituts werde ich mich dafür einsetzen, dass Institutionen wie das Ashkal Alwan oder die Cinémathèque von Tamer El Said dingend gefördert werden müssten. Sie sind es, die Städte wie Beirut zivilgesellschaftlich aufrechterhalten.
Matthias Lilienthal ist seit dieser Spielzeit Intendant der Münchner Kammerspiele. Er hat 2003 das Hebbel am Ufer (HAU) in Berlin gegründet und bis 2012 geleitet.
Matthias Lilienthal
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