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Jenseits feuchter Mauern. Das Café von C/O Berlin im Amerika-Haus in Berlin-Charlottenburg. Die Schlangen vor dem Eingang in der Hardenbergstraße sind meist lang, das Publikum überwiegend jung.
© Thilo Rückeis

20 Jahre C/O Berlin: Berlins Hotspot der Fotokunst

C/O Berlin, eine der wichtigsten deutschen Fotografie-Institutionen, feiert Geburtstag. Die Geschichte des Ausstellungshauses ist eng mit dem Aufstieg des Mediums verbunden.

Beinahe wären sie unter der Erde gelandet. 2010, da hatte sich C/O Berlin vergeblich um die Ehemalige Jüdische Mädchenschule auf der Auguststraße bemüht, rückte das benachbarte historische Krankenhaus als Standort in den Blick. Stephan Erfurt hätte sich das Zentrum für Fotografie auch hier vorstellen können, Architekt Ingo Pott plante mit Blick auf die strengen Vorgaben des Denkmalschutzes bereits eine Ausstellungshalle im Tiefgeschoss. Hauptsache, C/O Berlin kann in Berlins Mitte bleiben, wo im Jahr 2000 im Postfuhramt alles mit einer Schau von Magnum-Fotografen begann.

Doch das Team hatte kein Glück. Wieder nicht, muss man sagen, denn die damals heimatlose Institution war mehrfach herumgeschoben worden. Das Postfuhramt ließ sich für Ausstellungen nicht mehr nutzen, die ambitionierte Idee einer gläsernen Halle im Monbijoupark durchkreuzte der Bebauungsplan für den Ort.

Die Mädchenschule mutierte zum Galeriehaus, das Krankenhaus verfällt bis heute. Und plötzlich schien auch das Ende der wichtigsten privaten Initiative Berlins in Sachen zeitgenössischer Fotografie möglich – bis mit dem Amerika-Haus am Bahnhof Zoo 2014 eine neue Adresse aufploppte.

Ein Jahrzehnt später, zum 20-jährigen Jubiläum, scheint C/O Berlin hier immer schon gewesen zu sein. Sobald das Haus eine Schau mit Bildern von Nan Goldin, Irving Penn oder Anton Corbijn eröffnet, füllt sich die Hardenbergstraße verlässlich mit Menschen. Die Schlangen vor dem Eingang sind oft so lang, dass man sich fragt, wie viele Besucher das ehemalige Kulturzentrum der Amerikaner eigentlich fassen kann. Das Publikum ist überwiegend jung, aber nicht nur. Da braucht es keine weiteren Argumente, um auf die Bedeutung der Fotografie für die Gegenwart zu verweisen.

Erfurt und seine Mitstreiter Pott sowie Marc Naroska haben das schon zur Jahrtausendwende gesehen. Als eine Schau mit Arbeiten von Fotografen der renommierten Agentur Magnum durch die Welt tourte, zögerten die drei Freunde nur kurz. Dann mieteten sie im Sommer 2000 das ruinöse Postfuhramt, damit die Ausstellung „Magnum“ auch in Berlin Station machen konnte.

Frühe Erkenntnis: Berlin brauchten einen Hotspot für Fotokunst

Es war ein Risiko, die Kosten musste das Trio schultern. Aber viel wichtiger als solche Fragen schien den drei das Statement: Eine Schau mit Ikonen der Bildreportage wie Henri Cartier-Bresson oder James Nachtwey gehört unbedingt nach Berlin. Daraus resultierte die zweite Erkenntnis, dass nämlich die Hauptstadt einen Hotspot für Fotokunst braucht.

Die Idee gab es schon länger. Wer Stephan Erfurt damals traf, dem erzählte er von den Plänen der Stadt für ein fotografisches Zentrum. Der Prozess gestaltete sich einigermaßen zäh und Erfurt, selbst lange Zeit mit Foto-Reportagen im Magazin der FAZ vertreten, war viel zu ungeduldig, um auf die Umsetzung solcher Ideen mit politischer Hilfe zu warten. Ohne seinen unbeugsamen Optimismus und das Talent, auch die zähesten Diskussionen geduldig zu führen, würde es C/O heute nicht geben, soviel ist sicher. Geehrt wurde Erfurt dafür 2009 mit dem Bundesverdienstkreuz.

Andererseits fiel das Engagement des Trios für einen privat geführten Ausstellungsort in eine Zeit wichtiger Entscheidungen: 2003, kurz vor seinem Tod, vereinbarte der gebürtige Berliner Helmut Newton mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, dass eine Stiftung mit seinen weltweit begehrten Fotografien in das Erdgeschoss des Museums für Fotografie zieht. Zweitens gab es mit der Eröffnung dieses Hauses 2004 endlich auch eine institutionelle Adresse für die Fotografie. Ein Schritt, der offiziell machte, was international längst als Gewissheit galt: Fotografie ist ein Genre der bildenden Kunst.

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Dass beide Häuser – das Museum in einem preußischen Kasino von 1909 und C/O Berlin in einer herausragenden Architektur der fünfziger Jahre – nun direkte Nachbarn am Bahnhof Zoo sind, basiert auf Zufällen. Und doch gibt es inzwischen ein paar Dinge, die sie bewusst miteinander verbinden. Die Anpassung der Öffnungszeiten zum Beispiel, aber auch ein Appell an die Stadt, der für eine Fußgängerampel an der viel befahrenen Straße gesorgt hat.

In der Newton-Stiftung, die sich ein bisschen zu lange – wohl nicht zuletzt auf Wunsch von Newtons willensstarker Witwe June – vorrangig auf dessen fotografisches Erbe konzentrierte, arbeitet man an neuen Konzepten. Und das Museum für Fotografie verfügt, neben seiner fundierten Sammlung, mit dem Saal im Obergeschoss über einen sensationellen Ausstellungsraum. Gemeinsam mit den auf Fotografie spezialisierten Galerien wie Kicken, Camera Work oder Springer haben sie das Medium über die letzten zwei Jahrzehnte als jüngstes Ausdrucksmittel der Kunst in Berlin etabliert.

Ein Haus für Ausstellungen und Diskussionen: C/O hat keine eigene Sammlung

Seit 2014 hat C/O Berlin seinen Sitz im Amerika-Haus in Berlin-Charlottenburg.
Seit 2014 hat C/O Berlin seinen Sitz im Amerika-Haus in Berlin-Charlottenburg.
© Thilo Rückeis

Was wichtig war, denn auch andernorts rückt es zunehmend in den Fokus. In Düsseldorf etwa besinnt man sich mit einiger Verspätung darauf, dass hier die Pioniere Bernd und Hilla Becher eine ganze Generation herausragender Fotokünstler akademisch geschult haben: Candida Höfer, Thomas Ruff, Tata Ronkholz, Andreas Gursky. Letzterer rief 2019 in der Landeshauptstadt den „Verein zur Gründung und Förderung eines Deutschen Fotoinstituts“ ins Leben.

Wenig später setzten sich im Auftrag von Kulturstaatsministerin Monika Grütters eine Kommission zusammen, die nun für Essen als Standort eines solchen Hauses plädiert. Es ist ein Streit der Experten, in dem Museen wie der Ehrenhof in Düsseldorf Fakten schaffen.

Sein Direktor Felix Krämer erwarb vergangenes Jahr für acht Millionen Euro einen Teil der fotografischen Sammlung von Rudolf und Anette Kicken. Der andere Teil ging schon 2013 an das Städel Museum in Frankfurt. Ob die Millionen, die jüngst in Düsseldorf bezahlt wurden, dem Wert der Aufnahmen entsprechen, sorgt nach wie vor für kritische Kommentare.

Unzweifelhaft aber wird die Fotografie an deutschen Museen inzwischen neu bewertet. Dafür spricht allein schon ihre Integration in die renommierte Sammlung des Städel, das damit Gemälde, Skulpturen und die oft unikaten Abzüge nebeneinander stellt.

Auch mit dem MoMA in New York arbeitet C/O Berlin zusammen

Eine Sammlung hat C/O Berlin nicht. Erfurt, der das Haus in erster Linie als Ausstellungsort und Plattform für Diskussionen und ein breites Vermittlungsprogramm begreift, nennt diese Tatsache „Fluch und Segen“. Fotografische Bestände sind hilfreich, wenn es darum geht, große Ausstellungen zu sich zu holen – der Leihgaben wegen, die man selbst im Austausch zu bieten hat. Doch auch ohne sie spielt Erfurt inzwischen in einer der höchsten Ligen.

Vor dem Lockdown im März hatte C/O Berlin die ganze Woche geöffnet und über 700 Besucher täglich. Jetzt, nach gut zweimonatiger Schließung und den Corona geschuldeten Einschränkungen kommen immer noch 300 Besucher an jedem der vier wöchentlichen Ausstellungstage. Was auch daran liegt, dass das Haus immer drei Viertel seines Publikums aus Berlin rekrutiert hat.

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Die eigentliche Nobilitierung aber erfolgte im internationalen Austausch. So entstand die Ausstellung „Centennial“ mit Aufnahmen von Irving Penn vor zwei Jahren in Zusammenarbeit mit dem Metropolitan Museum of Art. Ein Highlight in der Geschichte von C/O Berlin, das im Postfuhramt nie möglich gewesen wäre.

Mit dem Umzug ins Amerikahaus ist C/O noch einmal gewachsen

„Wir kamen hier nicht weiter mit unseren Inhalten. Der Ortswechsel war zwingend notwendig, um professioneller Partner aller großen der Welt werden zu können“, resümiert Erfurt heute. „Für die Ausstellungen von Annie Leibovitz, Peter Lindbergh oder Sibylle Bergemann war der Ort von seiner Größe einfach ideal. Diese Zeiten vergleiche ich mit dem Bild einer großen Sommerliebe.“

Bloß bei den klimatischen Bedingungen wie denen der Versicherung von Kunst kam C/O Berlin in den alten, teilweise feuchten Mauern stets an seine Grenzen. „Von Robert Frank durften wir zum Beispiel im Postfuhramt nur Filme zeigen, aber keine einzige Fotografie.“

Auch deshalb gibt es für Erfurt „definitiv keine Phantomschmerzen“ bei der Erinnerung an die Oranienburger Straße. „Für die Entwicklung von C/O Berlin waren die Jahre bis 2013 in Mitte ganz wichtig. Das Postfuhramt und unsere Ausstellungen dort haben uns zu einer ‚Love Brand' gemacht. Aber irgendwann mussten wir erwachsen werden.“ Im Amerika-Haus ist C/O Berlin nicht nur gereift, sondern auch groß geworden.

Christiane Meixner

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