Erfolgreiches Trio: "Wir wollen etwas Neues schaffen"
Die Gründer von C/O Berlin Stephan Erfurt, Ingo Pott und Marc Naroska über Fotografie und Kommerz – und das drohende Aus im Postfuhramt.
Wir sitzen hier im ersten Stock des alten Berliner Postfuhramts: in dem Raum, wo Sie zu dritt vor zehn Jahren C/O Berlin gegründet haben. Nun sollen Sie dieses Haus, ein inzwischen weltweit gerühmtes Forum für Fotografie, schnellstmöglich verlassen.
STEPHAN ERFURT: Wir sind von einer israelischen Immobiliengesellschaft, der Elad Group, zum 31. März 2011 gekündigt worden. Das ist ein extremer, für uns eigentlich viel zu enger Termin, weil unsere Ausstellungen wie die aktuelle von Magnum oder die früheren etwa von Annie Leibovitz lange im Voraus geplant werden. Jetzt müssen wir plötzlich wie Seiltänzer ohne Netz agieren. Oder wie Hochstapler. Ich habe gerade den Vertrag für eine erste große Arnold-Newman-Retrospektive unterschrieben, die aus den USA 2012 nach Europa kommt, aber die Bedingung der amerikanischen Partner war, dass C/O Berlin die erste Station in Europa ist. Oder die fest verabredete Ausstellung des bedeutenden Berliner Fotografen Fritz Eschen mit seinen Aufnahmen aus dem ersten Nachkriegsjahrzehnt, „Berlin unterm Notdach“: Sollen wir jetzt darüber schreiben „C/O Berlin unterm Notdach“?
Aber haben Sie mit einer Kündigung nicht irgendwann rechnen müssen? Das Postfuhramt gehört Ihnen ja nicht.
INGO POTT: Nein, im Jahr 2005 hat es die Post verkauft. Das Land Berlin hielt sich damals für zu arm, die Immobilie für kulturelle Zwecke zu erwerben. Also ging das Postfuhramt an einen israelischen Privatinvestor, der jedoch unsere Arbeit sehr gut fand und mit dem wir schon 2006 ein vitales Konzept entwickelt hatten.
Wie sah das aus?
POTT: Auf dem Innenhof des Postfuhramts sollte als solitärer Neubau eine doppelte Kunsthalle mit je 2000 Quadratmetern Ausstellungsfläche für C/O Berlin und für das Vitra Design Museum entstehen. Das hätten wir als Architekten selbst gestemmt. Um dazu eine Mischung aus Kunst und urbaner Lebenskultur zu schaffen, hätten wir das Postfuhramt behutsam und denkmalgerecht saniert und weiter geöffnet für Läden, anspruchsvolle Gastronomie, für Clubs und für Wohnbereiche. Dafür gab es schon die Genehmigung. C/O Berlin ist ja allein durch unser privates, stadtbürgerliches Engagement entstanden, und deshalb hatten wir in die Planung auch die Anwohner und wichtige kulturelle und kommerzielle Partner mit einbezogen – es wäre auf der Meile zwischen dem Tacheles, dem Galerienviertel, dem Hackeschen Markt und der Museumsinsel eine Attraktion für Berlin-Mitte geworden.
Warum wurde der Plan nicht realisiert?
MARC NAROSKA: Der bisherige Eigentümer hatte die sich schon anbahnende Finanzkrise wohl ziemlich früh gespürt. Die Krise hat das Projekt erst verzögert und nun infolge des offenbar notwendig gewordenen Verkaufs gekillt.
ERFURT: C/O Berlin hat das nach der Wende zehn Jahre brachliegende, in Düsternis gehüllte Postfuhramt innen und außen buchstäblich wieder zum Leuchten gebracht. Heute steht das in jedem Berlin-Reiseführer. Wir sind ein guter Mieter, aber natürlich wussten wir immer, dass etwas passieren könnte. Unser bisheriger Eigentümer hätte uns jedoch nie so schnell vor die Türe gesetzt, er wusste, dass wir für einen Ortswechsel praktisch etwa anderthalb Jahre Vorlauf bräuchten.
Herr Pott, Sie sind soeben aus Tel Aviv zurück und haben mit dem neuen Eigentümer gesprochen. Was ist das Ergebnis?
POTT: Die Elad Group ist ein global operierender Immobilienkonzern, hinter dem ein Privatmann steht, Herr Elad Sharon Tshuva, mit dem ich mich mehrmals in sehr angenehmer Atmosphäre getroffen habe. Er ist der Sohn des Firmengründers, ein offener Mann, Mitte dreißig und kulturell affin. Allerdings: Sein Unternehmen will das Areal neu entwickeln, mit einem bis zu 14 Stockwerke hohen Hotel auf dem jetzigen Hof und einer kommerziellen Nutzung des Postfuhramts. Es gibt nun ein erstes, unverbindliches Angebot einer Fristverlängerung für uns mit einer Teilnutzung bis zum Ende des Jahres 2011, was wir erst mal prüfen müssen.
Die Elad Group gilt als milliardenschwer und firmiert mit Immobilien wie dem Plaza Hotel am New Yorker Central Park oder Luxushotels in Las Vegas. Daniel Libeskind soll für Elad einen Wolkenkratzer in New York bauen, und Norman Foster, in dessen Berliner Büro Sie, Herr Pott, als Architekt einst begonnen haben, entwirft für die Gruppe gerade ein Geschäftszentrum in Singapur. Da ist das Postfuhramt mitsamt C/O Berlin doch ein winziger Fisch.
POTT: Trotzdem ist man in Tel Aviv auf das Thema aufmerksam geworden. Deutsche Zeitungen, auch der Tagesspiegel mit dem Bericht über die Solidaritätsadressen des Regierenden Bürgermeisters bei unserer Zehnjahresfeier vor einer Woche, wurden in der israelischen Presse auf den ersten Seiten zitiert. Ich glaube, ein Problem ist, dass Herr Sharon Berlin noch nicht wirklich kennt. Aber er möchte hier an prominenter Stelle einsteigen; deshalb will er nun Anfang August nach Berlin kommen und mit uns nochmals reden. Das freut uns natürlich.
ERFURT: Allerdings bleibt die Tatsache, dass wir eine Räumungs-Unterwerfungserklärung unterschreiben mussten.
Sie erwähnten eine verlängerte Teilnutzung. Das würde der Logik nach in anderen Teilen des Hauses schon Aktivitäten des neuen Eigentümers voraussetzen. Bisher aber hat für einen Neubau oder Umbau ein baurechtliches Genehmigungverfahren noch gar nicht begonnen. Angesichts des Denkmalsschutzes müsste man für das von Spuren des Kaiserreichs bis hin zur DDR gezeichnete Postfuhramt eine Lösung à la Chipperfield beim Neuen Museum suchen. Das kann Jahre dauern.
NAROSKA: Das versuchen auch wir dem neuen Käufer klarzumachen. Eine flexiblere Übergangslösung wäre besser für alle Seiten. Und grotesk, wenn das Postfuhramt nun wieder jahrelang leer stünde.
ERFURT: Das ist ja der Unterschied gegenüber der Situation vor fünf Jahren: Durch C/O Berlin ist das Postfuhramt wieder zu einem öffentlichen Ort im Zentrum Berlins geworden. Diesen Ort wird sich die Öffentlichkeit nicht ohne Notwendigkeit einfach wieder nehmen lassen. Das zeigt bereits die Diskussion in den Medien, das beweisen auch die ersten Reaktionen der Politiker und die Solidaritätsadressen, die wir aus der ganzen Welt bekommen.
Gibt es Solidaritätsadressen auch schon von anderen Berliner Kulturinstitutionen?
ERFURT: Sie meinen, von öffentlichen Museen?
Zum Beispiel. Könnte es nicht sein, dass die Neue Nationalgalerie oder der Gropiusbau anbieten, für eine Ihrer Ausstellungen ein „Notdach“ zur Verfügung zu stellen.
ERFURT: Da hat sich noch niemand gemeldet. Aber es kam auch alles sehr überraschend, und die staatlichen Häuser sind ebenfalls schon Jahre im Voraus verplant.
Klaus Wowereit hat bei Ihrer Jubiläumsfeier gesagt, der Fall C/O Berlin sei keine Privatsache, sondern eine Angelegenheit von öffentlicher Bedeutung, sogar über Berlin hinaus. Selbst wenn es eine Fristverlängerung im Postfuhramt gibt, Sie brauchen in Zukunft ein neues Quartier.
ERFURT: Genau, und deshalb müssen wir spätestens Ende September wissen, woran wir sind. Das gilt für unsere Planungen im Postfuhramt und die sofort beginnende Suche nach einer Alternative. Wir tragen uns ja zu zwei Dritteln durch unsere Besucher, im Durchschnitt 300 am Tag, sieben Tage pro Woche. Das geht nur im Zentrum, wo wir die Brücke schlagen zwischen Museumsinsel und Galerienviertel. Deshalb schauen wir hier nach einem geeigneten Gebäude oder noch besser nach einem freien Grundstück.
Sie wollen ein unbebautes Grundstück?
POTT: Ja, weil wir nun einen Ort haben möchten, der wirklich auf uns zugeschnitten wird. Bisher haben uns die bestehenden Gebäude geformt, nun würden wir gerne einen Solitär selbst gestalten. Unsere unternehmerische und organisatorische Kompetenz haben wir in den letzten zehn Jahren bewiesen. Mit diesen Erfahrungen ist ein eigener Bau machbar.
NAROSKA: Wir haben zurzeit nicht einmal ein Café. Und dringend brauchen wir künftig Klimatechnik, weil viele Sammlungen oder Künstler wie Cindy Sherman ihre Fotografien nicht mehr in Häuser ohne Klimatisierung ausleihen können. Das ist für uns schon jetzt ein Problem, nicht nur in Sommern wie diesem.
Könnten Sie denn ein freies Grundstück in bester Mitte-Lage bezahlen und dann noch selber drauf bauen?
ERFURT: Nein. Aber es geht uns um kein Geschenk, sondern um ein Modell. C/O Berlin hatte 2009 fast 200 000 Besucher, wir sind zu einem Leuchtturm für Fotografie in Deutschland geworden, und die Fotografie ist keine elitäre Sache, sondern ein Medium, das jeden tagtäglich angeht. Deshalb fördern wir auch junge Talente, arbeiten in Projekten mit hochkarätigen Künstlern, Wissenschaftlern und Berliner Schulen zusammen, wir sichern als Kultur- und Bildungsinstitution Arbeitsplätze in der Kreativwirtschaft und bringen Menschen aus allen Kontinenten nach Berlin. Abgesehen von kleinen Projektförderungen im Einzelfall durch den Hauptstadtkulturfonds, haben wir als Privatinitiative in zehn Jahren keine öffentlichen Gelder genommen. Um dies fortsetzen zu können, appellieren wir an die Verantwortlichen in der Politik und in der Privatwirtschaft: Wir wollen keine Subventionen, aber gebt uns ein Gebäude oder geeignetes Grundstück, nicht umsonst, sondern zur Erbpacht! Das werden wir dann als öffentlichen, lebendigen Ort für Fotokultur entwickeln.
Haben Sie schon mögliche neue Standorte im Auge?
POTT: Es gibt hinter dem Tacheles, nicht weit vom Postfuhramt, eine große Brache, die bisher nur als Parkplatz dient …
ERFURT: Oder am Humboldthafen neben dem Hauptbahnhof, da besitzt die Stadt ein Grundstück, das bereits für die lang diskutierte Kunsthalle im Gespräch war. C/O Berlin könnte dort sehr gut vor Anker gehen.
– Das Gespräch führte Peter von Becker
Der Standort wurde verkauft, und ein Investor will sie demnächst vor die Tür setzen: In ihrem Gründungsraum im ehemaligen kaiserlichen Postfuhramt versammeln sich die Initiatoren und Geschäftsführer von C/O Berlin zum aktuellen Krisen- und Rettungsgespräch.
Erfolgreiches Trio:
Ingo Pott (links) ist Architekt und war ab 1995 im Büro von Sir Norman Foster maßgeblich am Umbau des Berliner Reichstagsgebäudes und an dessen neuer Kuppel beteiligt. Seit zehn Jahren ist er selbständig, sein Studio Pott Architects wurde 2008 zu den 50 weltweit besten jungen Architekturbüros gewählt.
Der Fotograf Stephan Erfurt (Mitte) hat ab 1985 die Ästhetik des früheren FAZ-Magazin mitgeprägt. Bilder von ihm befinden sich heute im New Yorker Museum of Modern Art und im Kölner Museum Ludwig. Vor zehn Jahren nahm das von ihm mitinitiierte internationale Forum für Fotokunst mit dem aus der Post-Sprache entlehnten Titel „C/O“ (care of Berlin) die Arbeit auf.
Dritter im Bunde ist der Designer Marc Naroska (rechts). Er entwarf in Abstimmung mit Potts architektonischen Konzepten das optische Erscheinungsbild der Marke C/O Berlin mit der Signalfarbe Orange.
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