100 Jahre Konzertdirektion Adler: Berliner Klassiker
Von Horowitz bis Hindemith: Die Berliner Konzertdirektion Adler feiert ihr 100-jähriges Bestehen mit einem Festkonzert.
Woher sein Vater das Startkapital hatte, weiß Witiko Adler nicht mehr. Aber er erinnert sich gut daran, was in der Familie über die Firmengründung in den Wirren des Herbstes 1918 erzählt wurde. Nachdem Hans Adler nämlich seine Konzertdirektion im Berliner Handelsregister hatte eintragen lassen, ging er zur „Vossischen Zeitung“, um dort Anzeigen für seine ersten Veranstaltungen zu schalten. „Sind Sie wahnsinnig, gegen Wolff & Sachs anzutreten?“, entgegnete der Mann am Schalter. In der Tat dominierte Louise Wolff damals den Klassikmarkt der Reichshauptstadt. Mit ihrem 1902 verstorbenen Mann hatte sie die Berliner Philharmoniker groß gemacht, dem selbstverwalteten Orchester durch ein professionelles Management den Weg an die Spitze geebnet. Gegen diese Konkurrenz, so schien es dem Anzeigenverkäufer, war kein Ankommen.
Doch Hans Adler ließ sich nicht abschrecken. Er war 27 Jahre jung, hatte in Brünn Klavier studiert, in Wien Richard Strauss kennengelernt und Uraufführungen von Gustav Mahler erlebt, war vor dem Kriegsdienst in Breslau zum Musikalienhändler und Verlagskaufmann ausgebildet worden. Und er reüssierte tatsächlich: Die berühmten Pianisten Artur Schnabel und Alfred Cortot werden seine ersten Kunden, bald veranstaltet er Konzerte von Bruno Walter, Paul Hindemith lässt sich seine Auftritte als Dirigent von Hans Adler organisieren, 1925 präsentiert Adler das Deutschlanddebüt von Vladimir Horowitz.
Als die Nazis die Macht übernehmen, ist die Konzertdirektion in der Kulturszene etabliert – und der Prinzipal versucht, moralisch sauber weiterzumachen, hält zu seinen jüdischen Kunden, so lange es geht. Als 1943 das Propagandaministerium anruft und verlangt, der Vertrag mit der Avantgardetänzerin Gret Palucca müsse aufgelöst werden oder man werde die Firma dichtmachen, antwortet Hans Adler: „Das geben Sie mir bitte einmal schriftlich, sonst tanzt die Palucca nämlich.“ Wenn sein Sohn diese Geschichte erzählt, schwingt Stolz mit. Am Ende konnte die Künstlerin tatsächlich auftreten.
Der 20-jährige Sohn übernimmt die Konzertdirektion
Als Berlin dann 1945 in Trümmern liegt, hat die beharrliche Aufrichtigkeit allerdings auch den Firmengründer zermürbt. Kurz nachdem bei ihm Knochentuberkulose festgestellt worden ist, stirbt Hans Adler 1948, mit nur 57 Jahren. Die Mutter will daraufhin den Geschäftsbetrieb einstellen, doch der Sohn rebelliert. Obwohl er dafür seinen Traum, Architekt zu werden, aufgeben muss, erklärt der gerade 20-jährige Witiko, er werde die Leitung der Konzertdirektion übernehmen.
Er arbeitet sich ins Metier ein, lernt viel vom Pianisten Alfred Cortot, den er mehrfach auf Tourneen begleitet, gewinnt den Dirigenten Otto Klemperer als Kunden, holt 1950 den blutjungen Friedrich Gulda für einen ersten Klavierabend nach Berlin – und erhält die Deutschlandvertretung für Yehudi Menuhin. Mit dem Weltstar unter den Violinvirtuosen und großen Humanisten wird er mehr als ein halbes Jahrhundert zusammenarbeiten, bis zu Menuhins Tod 1989.
Weil das Stammhaus der Firma in der Nähe des Bayerischen Platzes den Bomben zum Opfer gefallen ist, finden Mutter und Sohn zunächst verschiedene Notquartiere in Wilmersdorf. 1954 ergibt sich dann die Gelegenheit, eine repräsentative Altbauwohnung in Schmargendorf zu beziehen. „Auguste-Viktoria-Straße“ lautet die Anschrift der Konzertdirektion bis heute. Von den zwei Räumen, in denen das Büro ursprünglich untergebracht war, hat es sich längst auf die ganzen sieben Zimmer ausgebreitet. Witiko Adler und seine Frau Jutta haben ihre Privatwohnung in der Etage darüber.
Adler präsentierte auch Ella Fitzgerald und Roy Black
Verlässlichkeit ist eine der Haupttugenden im Hause Adler. Der „Pro Musica“-Konzertzyklus existiert seit 64 Jahren, bei seiner Erfindung war er das erste Kammermusik-Abonnement in der Stadt überhaupt. Bald folgte das „Pro Arte“-Abo für Klavierabende, 1963 die „Musikalische Akademie“ mit Gastspielauftritten internationaler Orchester. Und seit 1963 wird auch Daniel Barenboim schon von den Adlers vertreten. Grund genug für den Staatsopernchef, am Donnerstag beim Gründungsjubiläum als Künstler aufzutreten. Zusammen mit Anne-Sophie Mutter, deren folgenreiche Begegnung mit Herbert von Karajan 1976 durch Witiko Adler herbeigeführt worden war. Veranstaltungsort des Festkonzertes ist, natürlich, die Philharmonie (19.30 Uhr, Restkarten: www.musikadler.de). Einen anderen Ort als das Kulturforum akzeptieren Adler-Kunden nicht. Die Konzertdirektion ist eben ein West-Berliner Traditionsbetrieb. Jeden Versuch, Konzerte auch am Gendarmenmarkt zu veranstalten, hat die Stammklientel durch eine Abstimmung mit den Füßen schnell wieder unterbunden.
Eine kuriose Anekdote in der Firmengeschichte ist, dass die Adlers auch mal jenseits der Klassik Geld verdient haben: Es war der Verleger Axel Springer, der Witiko Adler 1967 bat, ihm ein Konzert mit Sammy Davis jr. zu organisierten – und weil der Abend glatt über die Bühne ging, meldeten sich bald andere Popmusikveranstalter. „Zehn Jahre lang haben wir Ella Fitzgerald präsentiert und Fats Domino, Mireille Mathieu und Roy Black“, erzählt Witiko Adler, „bis sich die Szene änderte, sowohl ästhetisch als auch, was das Geschäftsgebaren der Manager betraf.“
Die Berliner Philharmoniker machen Konkurrenz
Manchen Konkurrenten haben Witiko Adler und seine Frau Jutta, die aus der Berliner Musikalienhändler-Dynastie Riedel stammt, kommen und gehen sehen. Einer aber macht ihnen zunehmend zu schaffen: die Berliner Philharmoniker. Die gerieren sich seit einigen Jahren selber als Veranstalter: Neben den orchestereigenen Aktivitäten gibt es allein in dieser Saison fünf Abo-Reihen, in denen sie Stars wie Jordi Savall oder Krystian Zimerman präsentieren, oder auch den derzeit am heißesten gehandelten Dirigenten der jüngeren Generation, Teodor Currentzis.
Dieses Verhalten der Philharmoniker verzerrt den Markt. Sie engagieren die Gastkünstler ja mit ihrer staatlichen Subvention im Rücken und können die Eintrittspreise entsprechend kalkulieren, während die Adlers jeden Cent selber verdienen müssen. Was sie auch in Zukunft tapfer tun wollen. Denn das Geschäftsmodell der Konzertdirektion sehen sie nicht grundsätzlich in Gefahr, ebenso wenig das Prinzip von Abo-Reihen. Weil es immer genug Klassikfans geben wird, die sich gerne im Voraus festlegen, wann sie zu welchem Konzert gehen – weil sie wissen, dass sie sonst das eigene Trägheitsmoment nicht überwinden können oder weil sie sich schlicht überfordert fühlen, selber zu entscheiden, was sie aus der Vielzahl der Angebote in Berlin wählen sollen.
Und dann sind da ja auch noch die aufregenden jungen Künstler, die immer wieder nachwachsen und die es bekannt zu machen gilt. „Hätten wir diese Hoffnung nicht“, sagt Jutta Adler, „könnten wir den Laden gleich zumachen!“