Witiko Adler wird 90: Der Konzertmeister
Guter Draht zu Jahrhundertgrößen: Berlins dienstältester Klassikveranstalter Witiko Adler feiert 90. Geburtstag.
Witiko Adler ist die Diskretion in Person. Ein Gentleman der ganz alten Schule. Niemals würde er Details aus dem Privatleben oder gar kompromittierende Anekdoten über die Stars der Klassik-Branche erzählen. Dabei kennt er sie alle. Und zwar seit mehr als sieben Jahrzehnten. Als Adler 1948 die Konzertdirektion seines Vaters übernahm, musste er sich von den Behörden erst noch für volljährig erklären lassen – weil er die damals nötige Altersgrenze von 21 Jahren noch nicht erreicht hatte.
Dabei wäre der nach einem Roman von Adalbert Stifter benannte Witiko lieber Architekt geworden. In den letzten Kriegsmonaten noch war er zur Armee eingezogen worden, hatte mit Glück überlebt, das Abitur abgelegt, und wollte nun beim Wiederaufbau seiner Heimatstadt helfen. Er hat sogar schon Kontakte zum Sohn des berühmten Baumeisters Hermann Muthesius geknüpft, der ihm in seinem Büro aufnehmen will. Doch dann wird beim Vater Knochen-Tuberkulose festgestellt, mit nur 57 Jahren stirbt Hans Adler. Im Ringen darum, während der Nazizeit seine moralische Integrität zu wahren, hatte er seine Lebenskräfte vor der Zeit aufgebraucht, formuliert es der Sohn rückblickend. Die Mutter will daraufhin die Firma aufgeben – doch das kommt für den Junior nicht in Frage. Er arbeitet sich ins Metier ein, lernt viel vom Pianisten Alfred Cortot, den er mehrfach auf Tourneen begleitet. Und der kann berühmte Kunden wiedergewinnen, die der Firma seit 1918 ihren Aufstieg zu einem wichtigen Player in der Berliner Kulturszene gesichert haben.
Adler arbeitet mehr als fünf Jahrzehnte mit Yehudi Menuhin
Und es kommen neue hinzu, Altmeister wie der Dirigent Otto Klemperer, aber auch Jungstars. Den gerade 19-jährigen Friedrich Gulda präsentiert Adler 1950 erstmals in Berlin. Und er erhält die Deutschland-Vertretung für Yehudi Menuhin. Mit dem Geiger wird er mehr als ein halbes Jahrhundert zusammenarbeiten, bis zu Menuhins Tod 1999. Das Amadeus Quartett gehört ebenso zu seinen Stammkunden wie das Beaux Arts Trio, als erste amerikanische Formation holt er das Philadelphia Orchestra in die geteilte Stadt, unter Leitung von Eugene Ormandy.
Dabei bleibt er stets im Hintergrund, als dienstbarer Geist der Interpreten. Und als ihr persönlicher Betreuer, der ihre individuellen Wünsche und Bedürfnisse kennt, der sie mit dem Auto vom Bahnhof oder Flughafen abholt, vor dem Auftritt für organisatorische Eventualitäten zur Stelle ist, und sie anschließend, wenn der Künstlerkörper noch voll Adrenalin ist, zum Nachtmahl ins Restaurant begleitet.
Er trat auch als Künstlervermittler auf
Die so Umworbenen wissen das zu schätzen, 1954 verfügt Witiko Adler über eine so beachtliche Liste an Klienten, dass er etwas ganz Neues wagt: eine Abonnementserie für Kammermusikabende mit internationalen Gaststars. Den „Pro Musica“-Zyklus gibt es bis heute, später kommt mit „Pro Arte“ eine Veranstaltungsreihe für Klavierabende hinzu, unter dem Titel „Musikalische Akademie“ wird schließlich, nach der Eröffnung der Philharmonie 1964, die Serie von Orchesterkonzerten zusammengefasst. Im Jahr zuvor hatte Witiko Adler Daniel Barenboim als Kunden gewonnen. Er ist es bis heute. Kennengelernt haben sich der Konzertveranstalter und das Wunderkind allerdings schon 1954, als der gerade 11-jährige Barenboim in Salzburg einen Dirigierkurs bei Igor Markevitch belegte.
Doch Witiko Adler tritt nicht nur als Veranstalter auf, sondern auch als Künstlervermittler. Dem jungen Zubin Mehta verhilft er zum Debüt bei den Berliner Philharmonikern, ebenso Lorin Maazel, Seiji Ozawa oder Bernard Haitink. Und auch die folgenschwere Begegnung zwischen Herbert von Karajan und Anne-Sophie Mutter hat Adler 1976 arrangiert.
Mit Karajan verhandelt er auf Augenhöhe
Auf taube Ohren stößt Adler dagegen im Fall von Claudio Abbado beim Philharmoniker-Intendanten Wolfgang Stresemann. Also geht er zu Egon Seefehlner, der damals nicht nur Intendant der Deutschen Oper, sondern auch künstlerischer Berater des Radio Symphonie-Orchesters (heute DSO) ist. Der greift sofort zu, so dass Abbado seine ersten zwei Berlin-Auftritte 1963 und 1964 mit dem DSO hat. „Bei einem Auftritt erschien Karajan in der Generalprobe im Funkhaus, um sich den Italiener anzuhören“, erinnert sich Adler. „Danach wurde Abbado umgehend von Stresemann engagiert.“ Denn Karajan war immer neugierig auf junge Dirigenten. Allerdings konnte er auch richtig sauer reagieren, wenn seine Schützlinge zu früh flügge wurden. Nachdem er Abbado 1965 mit der 2. Mahler nach Salzburg eingeladen hatte, reagierte Karajan auf Adlers Nachfrage, wie das Konzert verlaufen sei, mit den Worten: „Lassen Sie mich mit dem zufrieden, der lässt sich von mir überhaupt nichts mehr sagen.“
Zu Karajan hat Witiko Adler einen guten Draht. Denn er traut sich, mit ihm auf Augenhöhe zu verhandeln, ganz im Gegensatz zur Entourage des Maestros. Selbst Intendant Stresemann wagt nicht zu widersprechen. Als Karajan einmal eine Zusatzprobe für sein Orchester ansetzt, just an einem Abend, an dem Witiko Adler eigentlich die Philharmonie für Yehudi Menuhin gemietet hat, sagt Stresemann nur: „Was soll ich denn tun?“ Also geht Adler direkt zu Karajan, redet mit ihm – und erwirkt, dass die Philharmoniker-Probe auf den Vormittag verlegt wird.
Tadelloses Outfit, Berliner Humor
Wer sich mit Witiko Adler über die Entwicklung seiner Konzertdirektion unterhält, die im September ihr 100-jähriges Bestehen feiern kann, erlebt einen feinen alten Herrn in stets tadellosem Outfit, der kerzengerade im Sessel sitz und sich mühelos an tausende Details aus der Firmengeschichte erinnern kann. Immer wieder blitzt dabei sein urwüchsiger, trockener Berliner Humor auf. Und er ist, wie viele hochmusikalische Menschen, ein guter Stimmenimitator. Extrem witzig vermag er beispielsweise den jaulenden Singsang des alten Otto Klemperer nachzumachen.
In den abendlichen Konzerten sieht man Witiko Adler nur noch selten. Den Großteil der tagesaktuellen Arbeit managt mittlerweile seine Ehefrau Jutta. Doch auch er ist noch regelmäßig in der Konzertdirektion präsent, nimmt an dem Schreibtisch Platz, an dem schon sein Vater gesessen hat. Weit haben es die Adlers zur Arbeit übrigens nicht – in dem repräsentativen Altbau in der Schmargendorfer Auguste-Viktoria-Straße wohnen sie direkt in der Etage über dem Büro.