Zwischen Protest und Propaganda: Wie geht es polnischen Filmemachern unter Kaczýnski?
Polens rechte Machthaber wollen das Kino zum Instrument ihrer Politik machen. Wie reagieren die Filmkünstler? Eine Recherche im herbstlichen Warschau.
Sonnig und kühl ist dieser Warschauer Herbstsonntag, an dessen spätem Abend Andrzej Wajda stirbt. Freundlich verschlafen wirkt der Wilson-Platz im Prominentenviertel Żoliborz, wo der berühmte Filmregisseur und auch Leute wie Jarosław Kaczýnski wohnen, seit dem Wahlsieg seiner nationalistischen Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) vor genau einem Jahr der eigentliche Machthaber Polens. Das Kino „Wisła“ (Weichsel) aber hat am Vormittag geöffnet, und in einem seiner kleineren Säle lädt es zur Matinee. Gegeben wird „Smolensk“ von Antoni Krauze, und am Ende werden die rund 60 überwiegend älteren Zuschauer, nachdem sie still den gesamten Abspann abgewartet haben, andächtig applaudieren.
„Smolensk“, gedreht letztes Jahr mit Sponsoren- und Spendengeldern, beschäftigt sich mit dem Absturz der Regierungsmaschine nahe der im Titel genannten westrussischen Stadt, bei dem im April 2010 der polnische Präsident Lech Kaczynski, Zwillingsbruder des heutigen PiS-Anführers, und 95 weitere Insassen ums Leben kamen. Und hält sich, als erster Film dieser Art im rechtsgerichtet dominierten neuen Polen, exakt an die Zeitgeschichtsschreibung der Partei: Nicht die – von russischen und polnischen Untersuchungskommissionen bestätigte – durch mitfliegende polnische Militärs erzwungene Landung bei dichtem Nebel führte zur Katastrophe, sondern ein Attentat. Am Ende zeigt der Film zwei Explosionen, erst an der Tragfläche, dann im Rumpf – nicht als Argument für eine These, sondern als Beweis.
"Smolensk": die Hauptrolle spielt eine Kusine der Kaczýnskis
Seit fünf Wochen läuft das hölzern inszenierte Werk im polnischen Kino, keineswegs erfolglos, schließlich hat es sein Budget von umgerechnet etwa 2,5 Millionen Euro inzwischen eingespielt. Bekannte Schauspieler wollten freilich bei dem Vorhaben nicht mittun, und so verkörpert die TV-Serienschauspielerin Beata Fido, eine Kusine der Kaczýnski-Brüder, in ihrer ersten Hauptrolle die wackere Fernsehjournalistin Nina. Ganz allein deckt sie das Komplott auf, als dessen Urheber der Film die damaligen Ministerpräsidenten Polens und Russlands, Donald Tusk und Wladimir Putin, verdächtigt. Und sie kopiert dabei höchst schlicht das mutige Auftreten, das einst Krystyna Janda als recherchierende Dokumentaristin in Andrzej Wajdas Klassiker „Der Mann aus Marmor“ (1977) auszeichnete.
Tatsächlich wirkt „Smolensk“ wie eine besonders bizarre Pointe der Propaganda, mit der die PiS via Medien und Kino das Volk auf Linie zu bringen sucht. Eindeutig auch vertieft ein solcher Film den Riss, der bis in die Familien hinein durch das ganze Land geht. Hier die Parteigänger des durch „Selbstquälerei“ und „sadistische Fantasien“ befeuerten rechtsgerichteten „Messianismus“, den die große alte Dame unter den Intellektuellen, Maria Janion, soeben beim Warschauer Kulturkongress den Machthabern diagnostizierte; dort die im Sejm-Parlament seit der Wahl überhaupt nicht mehr vertretenen Linken und Liberalen, die Kaczýnski als „gorszy sort Polaków“ (Polens schlimmere Sorte) bezeichnet. Prompt drucken die entsprechend Diffamierten den Slogan allenthalben stolz auf Pin-Sticker und T-Shirts; sie auch dürften mit ihren Tausenden von Voten dafür gesorgt haben, dass „Smolensk“ auf der Top-Webseite International Movie Database (IMDB) rekordverdächtig durchfällt – mit gerade mal 1,1 von zehn möglichen Punkten.
Drastischer Vergleich mit Vaseline
Immerhin, hier sind die Fronten klar, ähnlich wie unlängst bei der Eröffnung des Internationalen Warschauer Filmfestivals. Dessen Leiter Stefan Laudyn fehlt zwar wegen Krankheit, lässt aber ein unmissverständliches Grußwort verlesen. Darin erinnert er an eine Rede des Bildhauers Xawery Dunikowski aus den 1950er Jahren, der angesichts einer neuen Skulpturen-Sammelausstellung bekannte, ihm seien bei der Arbeit zwar Materialien wie Holz oder Gips bekannt, „nicht aber Vaseline“ – ein drastischer Hinweis darauf, hier sei wohl mancher Kollege den Mächtigen mächtig in den Hintern gekrochen. Laudyn selbst berichtet später im Gespräch mit dem Tagesspiegel, das vom PiS-Politiker Piotr Glinski geführte Kulturministerium habe dem Festival zwar für diesen Jahrgang kommentarlos ein Drittel seines Subventionsanteils gekürzt, aber „wir bewahren unsere Unabhängigkeit. Und die ist jedes Opfer wert.“
Mag sein, die Vaseline-Vokabel galt auch den Machern des wichtigsten nationalen Filmfestivals in Gdynia. Schließlich hatten die gerade erst im September, zwar außer Konkurrenz, „Smolensk“ eingeladen. In den Grauzonen der Diplomatie und der Deutungsschlachten bewegte sich dort auch „„Wołyń“, der sechste Spielfilm des Starregisseurs Wojciech Smarzowski. Der 53-Jährige verursachte einen Eklat, als er einen Sonderpreis des seit Januar amtierenden neuen Chefs des öffentlich-rechtlichen Senders TVP, Jacek Kurski, ablehnte – der für die massiven Kündigungswellen im Sender Verantwortliche gilt in Polen weithin als Kaczýnskis „Bullterrier“. Smarzowskis Produktionsfirma „Film it“ nahm den Preis für den vom TVP mitfinanzierten Film allerdings später an, leitete das damit verbundene Geld – umgerechnet rund 25 000 Euro – aber schleunigst an zwei Stiftungen weiter.
„„Wołyń“, in Polen binnen zwei Wochen zum Super-Hit durchgestartet, ist als kontroverser Stoff von ganz anderem Kaliber als „Smolensk“. Das Familiendrama, das vom Massaker der Ukrainer an über 50000 Polen in Wolhynien, der heutigen Nordwest-Ukraine, erzählt, versteht sich – so schildern es Produzent Feliks Pastusiak und sein Regisseur im Gespräch – als Geschichtsaufarbeitung aus Opferperspektive, getrieben von einem tabubrechenden, humanistischen Impetus. Andererseits wirken die Gräuel jener ethnischen "Säuberungen", die die Ukrainer 1942/1943 unter deutscher Besatzung der polnischen Minderheit antun, das Abbrennen von Dörfern und die Morde mit Äxten und Mistgabeln derart drastisch, dass der Film auch als nationalistisch und antiukrainisch empfunden werden kann.
Zwischen allen Stühlen: die Macher von "Wołyń"
„Es ist wohl nie die richtige Zeit für so einen Film“, sagt Pastusiak. Aber im Kopf hatte Smarzowski den Stoff seit Jahren und wollte ihn – Maidan hin, Donezk her – nun auch mal drehen. Mit dem Ergebnis höchst unwillkommener Instrumentalisierung: In der linken Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ wird gemutmaßt, an dem Film „freut sich nur Moskau“. Das rechte Wochenmagazin „Do Rzeczy“ dagegen titelt „Sie wollten uns alle töten“ und folgt der im Juli vom Sejm verkündeten Linie, wonach die Massaker „Völkermord“ gewesen seien – dabei war die Ukraine, was diese Definition widerlegt, damals alles andere als ein eigenständiger Staat.
Zur glasklaren Klärung seiner Position wiederum bekräftigt Smarzowski, er würde auch einen Film über das polnische Schuldtrauma drehen, das sich mit dem Namen Kielce verbindet. Bewohner dieser Stadt nördlich von Krakau verübten 1946 ein Pogrom an 40 jüdischen Heimkehrern, das damals eine Emigrationswelle unter den KZ-Überlebenden und Rückkehrern aus der Sowjetunion auslöste. Schon auf Pawel Pawlikowskis Oscar-Siegerfilm „Ida“, der vom Mord an Juden durch polnische Bauern erzählte, hatte die PiS allergisch und aufarbeitungsfeindlich reagiert. Der Film wurde zwar im Februar im TVP ausgestrahlt, allerdings verstümmelt durch zwischengeschobene Texttafeln - und im Anschluss an eine Diskussion, deren „Experten“ die „jüdische Perspektive“ des Regisseurs brandmarkten.
Regierungsfilme? Ohne Mitwirkung des Filminstituts
Der lupenrein nationale Film, der der Regierung zur 2018 anstehenden Hundertjahrfeier der polnischen Unabhängigkeit vorschwebt, ist auch „Wołyń“ nicht. Das renommierte, 2005 gegründete Polnische Filminstitut (PISF) unter der Leitung der noch vor dem absoluten PiS-Wahlsieg eingesetzten Magdalena Sroka, ohne dessen Förderpolitik der jüngste Aufschwung des heimischen Kinos nicht denkbar ist, ist mit den Vorbereitungen der Regierungsgroßfilme unter Mitwirkung Hollywoods nicht befasst; die 800 zu einem Extra-Wettbewerb eingereichten Drehbücher prüft unmittelbar das Kulturministerium, das auch die Pflege des "nationalen Erbes" ausdrücklich im Titel führt. Regisseur Smarzowski freut sich einstweilen sarkastisch auf „Denzel Washington und Morgan Freeman als Helden eines Films über den Warschauer Aufstand, gedreht von Spike Lee“.
Auch Andrzej Jakimowski, hierzulande bekannt geworden mit zarten, feinsinnigen Filmen - „Kleine Tricks“ (2007) und „Imagine“ (2012) - feiert mit seinem neuen Projekt, Drehbeginn demnächst, das Jubiläum auf seine Weise vor. Für „Es war einmal im November“ über eine Mutter (gespielt von „Ida“-Star Agata Kulesza) und ihren 19-jährigen Sohn, die aus Geldnot aus ihrer Wohnung ausziehen müssen und in einem besetzten Haus unterkommen, benutzt er eigenes Dokumentarmaterial von Ausschreitungen bei der jährlichen Unabhängigkeitskundgebung vom 11. November 2013 in Warschau. Damals versuchten polnische Neonazis, ein besetztes Haus in der Innenstadt in Brand zu setzen. „Ich hasse Politik“, sagt Jakimowski im Gespräch, aber unter den neuen Verhältnissen bleibe ihm keine Wahl. Seine früheren Filme jedenfalls empfinde er mittlerweile als „Lichtjahre entfernt“.
Kann man noch unpolitisch sein in einem Land, dessen Regierung die Gewaltenteilung unterhöhlt, die Meinungsvielfalt bedroht und die Freiheit überhaupt? Andrzej Wajda huldigt in seinem letzten Film „Powidoki“ (Nachbilder), den man durchaus als Vermächtnis verstehen darf, dem konstruktivistischen Maler Władysław Strzeminski, der als kompromissloser Regimegegner und Stalinfeind in den frühen 1950er Jahren aus allen Ämtern entfernt und in den Hungertod getrieben wurde. Der Vorführung seines pessimistischen Films, mit einem grandiosen Bogusław Linda in der Hauptrolle, schickte er beim Festival in Gdynia einen flammenden Appell voraus: „Filmemachen ist das Werk einer Gemeinschaft. Je stärker sie ist, je höher ihre Spannung, Temperatur und Energie, desto größer die Chance, dass diese Energie auf der Leinwand sichtbar wird, ganz unabhängig vom Drehbuch und Stoff des Films.“
Diese Energie, diese Vitalität, dieser Widerstandsgeist sind zu spüren bei vielen Begegnungen im Warschau dieser Tage, mal in heißkalte Wut gekleidet, mal in hintergründigen Humor. Im Kino Wisła etwa muss die „Smolensk“-Sichtungsgemeinde auf ihrem Weg zum Saal an einem großen „Conspiracy Theory“-Plakat vorbei (der Film von 1997 lief in Deutschland unter dem Titel "Fletcher's Visionen"). Sollte das etwa Absicht sein, dieser Hinweis auf die Regierungspolitik gewordene Verschwörungstheorie in Sachen Flugzeugabsturz? „Wieso?“ sagt ein Kartenabreißer und schaut betont arglos auf Mel Gibson und Julia Roberts, als sähe er das Poster zum allerersten Mal.
Jan Schulz-Ojala
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