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Stützenwald mit Dach: Der BER-Entwurf ist banal.
© dpa

BER-Architektur: Berlin – Stadt der Mittelmäßigkeit

Am Flughafen BER rächt sich die heutige Einstellung zur Architektur. Der in Berlin lebende israelische Architekt Zvi Hecker über die Banalität und die Mutlosigkeit des Entwurfes.

Die Berliner verfolgen mit Verwunderung und Empörung die Saga des BER, unseres neuen Flughafens. Wie allgemein bekannt, sollte dieser vor Jahren bereits in Betrieb genommen werden. Aber es ergeben sich immer neue Schwierigkeiten. Man sucht ein neues Eröffnungsdatum und findet es nicht. Wieder und wieder wird über unerwartete Ereignisse und Fehlentwicklungen geschrieben. Der Öffentlichkeit wird mitgeteilt, dass Fehler bei der Planung und Ausführung des Flughafens gemacht wurden und werden. Es gibt niemanden, der dafür die Verantwortung übernimmt.

Die Architekten nehmen für sich in Anspruch, ihre Arbeit fehlerfrei geleistet zu haben, sie sehen mögliche Erklärungen für das Versagen auf der ganzen Linie außerhalb des architektonischen Entwurfs. Eine ähnliche Antwort können wir vermutlich von den Fachplanern erwarten. Die Bauaufsicht wiederum wird sicherlich glauben, dass sie ausreichend gedeckt ist, da sie schließlich nur das ausführt, was auf den Plänen steht, die man ihr bringt. Mit Sicherheit werden wir nie erfahren, was die wahren Gründe für dieses finanzielle, organisatorische und wirtschaftliche Fiasko sind. Eigentlich müssen wir es gar nicht erfahren. wir ziehen unsere eigenen Schlüsse.

Seit der Wiedervereinigung entstand in Berlin kaum erwähnenswerte Architektur

Das Scheitern der Flughafeneröffnung liegt fundamental in der Art und Weise begründet, wie wir mit der gebauten Umwelt in Berlin umgehen, insbesondere nach der Wiedervereinigung. Seitdem ist sehr wenig erwähnenswerte Architektur in Berlin gebaut worden. Keine neue Neue Nationalgalerie, keine neue Philharmonie, keine neue Staatsbibliothek, um nur einiges zu nennen. Ich bin überzeugt, dass der Architekt Hans Scharoun in der gegenwärtigen konservativen Stimmung keine Chance gehabt hätte, ein solches Meisterwerk wie die Philharmonie zu bauen.

Vor der Wiedervereinigung war Berlin eine Insel im Meer kommunistischer Regime. Als solche hatte es seine Wichtigkeit und seine Existenz unter Beweis zu stellen. Berlin musste besser sein als die Welt um sich herum; sichtbarer bei dem, was es tat und initiierte. Internationale Wettbewerbe wurden mit der Intention ausgelobt, nicht Banalität, sondern Originalität auswählen zu können. Das Jüdische Museum und die Jüdische Grundschule sind das Ergebnis dieser Politik. Es bedurfte denn auch mehr als nur als der Intention. Umsichtiges Denken und Mut zur Offenheit gegenüber neuen Lösungen waren notwendig. Außerdem – und dies ist das Wichtigste für die Entwicklung einer Stadt – benötigt man professionelle und sachkundige Architekten als Hauptverantwortliche in der Politik; wie den 2003 verstorbenen Ulrich Stange, an dessen engagierte Arbeit in der Senatsbauverwaltung wir hier erinnern wollen.

Wie wir in der Zwischenzeit leidvoll erfahren mussten, reicht es nicht, einen Wettbewerb für einen Flughafen auszuschreiben. Schon die Auswahl der Jurymitglieder ist ausschlaggebend für das Wettbewerbsergebnis. Eine mittelmäßige Jury ist nicht in der Lage, Qualität von Mittelmäßigkeit zu unterscheiden und eine erfolgversprechende Auswahl für ein solch wichtiges Projekt zu treffen.

In Berlin herrscht ein Mangel an Mut und Visionen

Stützenwald mit Dach: Der BER-Entwurf ist banal.
Stützenwald mit Dach: Der BER-Entwurf ist banal.
© dpa

Bemühungen vieler talentierter Architekten waren völlig vergebens. Wer weiß, was für ein Meisterwerk hätte entstehen können, wenn Grundstück und Raumprogramm des Stadtschlosses für die freie Interpretation hervorragender Architekten offen gewesen wären.

Berlin wurde nach der Wiedervereinigung Hauptstadt und war nicht länger eine Insel, welche um ihre Existenz kämpfen musste. Es sieht aber nicht so aus, als hätte die Stadt das Bedürfnis gehabt oder die Notwendigkeit erkannt, ihre Bedeutung zu untermauern. Der neue Status war Berlin genug.

Heute ist architektonische Banalität in Berlin Standard – so wächst und expandiert die Stadt. Sie leitet ihr positives Image nicht von dem ab, was heutzutage entsteht, sondern von dem, was frühere Administrationen zu bewilligen bereit waren, um dem Bauen der großen Architekten des 20. Jahrhunderts eine Chance zu geben. Heute sind wir, indem wir nichts Neues mehr ausprobieren, die Parasiten der Erfolge früherer Generationen.

Berlin bereitet seinen Gästen mit dem BER keinen würdigen Empfang

Der Mangel an Vision, der Mangel an Mut ist auch verantwortlich für die Katastrophe des neuen Flughafens. Die Wettbewerbsjury des BER hat die simpelste architektonische Banalität ausgewählt: ein flaches Dach auf einem Wald aus Stützen. Während andere Länder, andere Städte ihre Flughäfen als die wichtigsten Zugänge betrachten, hat Berlin hier weder ein Bild zum Erinnern noch einen würdigen Empfang zu bieten. Und diese ganze Banalität stellt sich überdies als nicht funktional heraus. Wäre es jedoch ein herausragender architektonischer Entwurf gewesen, ein wirklicher Wurf, hätte man diesen viele Male sorgfältig geprüft, bevor die Realisierung genehmigt worden wäre. Und wir müssten nicht für die unnötigen Fehler unnötig viel Geld bezahlen.

Zyniker könnten sagen, dass das die gerechte Strafe für diejenigen ist, die Berlin um die Möglichkeit einer neuen Philharmonie, einer neuen Neue Nationalgalerie gebracht haben – um ein neues Wahrzeichen, das den Geist und die Energie Berlins repräsentiert. Aber leider ist es eine Bestrafung all derer, die dafür bezahlen müssen. Jeder der an sich Verantwortlichen war der Meinung, man müsse sich um nichts kümmern und um nichts Sorgen machen. Das Geld anderer auszugeben kann so einfach sein.

Und selbst wenn der BER eines Tages eröffnet werden sollte, werden wir niemals stolz auf ihn sein. Hoffentlich bleibt der Flughafen eine Warnung, dass Banalität sich nicht auszahlt und Mittelmäßigkeit scheitern muss.

Zvi Hecker, geb. 1931, ist einer der bedeutendsten Architekten Israels. Er lebt und arbeitet in Berlin; hier baute er die Heinz-Galinski-Schule.

Zvi Hecker

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