Flüchtlinge als Museumsführer: Ein Stück Heimat in der Fremde
Das Projekt „Multaka“: Auf der Berliner Museumsinsel führen syrische Kunstkenner Flüchtlinge durch die Sammlungen.
„Als ich vor drei Monaten über das Meer nach Europa kam, war das eine Reise ins Ungewisse. Aber wenn ich jetzt Kontakt zu meinen syrischen Kollegen habe und wir zusammen ins Museum gehen, erinnert mich das an meine Arbeit in Syrien“, erzählt Mohamed Al Subeh, Restaurator und Fachmann für byzantinische Kunst am Museum von Maaret al-Naaman in der Provinz Idlib in Nordsyrien, das für seine Mosaiken berühmt ist. „Wer weiß, wo ich ohne dieses Projekt gelandet wäre?“ Das Projekt heißt "Multaka" – arabisch für Treffpunkt Museum. Geboren wurde die Idee beim Syrian Heritage Archive Project, das vom Berliner Museum für Islamische Kunst zusammen mit dem Deutschen Archäologischen Institut organisiert wird.
Im Museum für Islamische Kunst entstand die Idee, geflüchtete Wissenschaftler, Künstler, Museumsfachleute und Architekten in die Arbeit mit Geflüchteten einzubinden. Wie wäre es, jungen Menschen aus Syrien und Irak ein Angebot zu machen jenseits der Flüchtlingsunterkunft? Gemeinsam mit Landsleuten ins Museum gehen und auf Arabisch eine kostenlose Führung zu bekommen?
Der Kunsthistoriker Robert Winkler und die syrische Kulturmanagerin Razan Nassreddine, die seit vier Jahren in Deutschland lebt, wurden von Stefan Weber, dem Direktor des Museums für Islamische Kunst und Cornelia Weber vom Freundeskreis des Museums für Islamische Kunst beauftragt, das Projekt zu koordinieren, das 2015 im Rahmen des Programms „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ vom Bundesfamilienministerium gefördert wird. 2016 übernimmt Kulturstaatsministerin Monika Grütters die Finanzierung. Die Schering Stiftung unterstützt ebenfalls das Projekt. Beteiligt sind das Museum für Islamische Kunst, das Vorderasiatische Museum, die Skulpturensammlung, das Museum für Byzantinische Kunst und das Deutsche Historische Museum.
Auch das Deutsche Historische Museum ist stark nachgefragt
Über soziale Netzwerke und Mund-zu-Mund-Propaganda wurden 19 Tutoren ausgewählt – bis auf einen Iraker kommen alle aus Syrien –, die jetzt an den Museen zusammen mit den Besucherdiensten eine Schnellausbildung zum Ausstellungsführer erhielten. Seitdem geleiten an jedem Museum je vier bis fünf Guides Gruppen zwischen sechs und zwölf Geflüchteten eine Stunde lang zu ausgewählten Objekten.
„Für uns war es überraschend, dass eigentlich alle ins Deutsche Historische Museum wollten“, erzählt Razan Nassreddine. Für den jungen Architekten Baschar Al Mahfoud aus Hama ein logisches Interesse: „Es ist für alle wichtig, die deutsche Geschichte kennenzulernen. Ich habe das DHM gewählt, um die deutsche Geschichte zu verstehen. Die Syrer müssen diese Geschichte kennenlernen, um sich zu integrieren. Und als Architekt wollte ich etwas Neues sehen.“ Vor allem die Zeit nach 1945 interessiert ihn.
„Vielleicht können wir von den Deutschen lernen, wie man es schafft, ein so zerstörtes Land wieder aufzubauen, das heute groß und stark ist. Darüber müssen wir uns für Syrien Gedanken machen. Das Interesse am Gelingen des Wiederaufbaus ist sehr groß.“
Ähnlich formuliert es auch Restaurator Mohamed Al Subeh: „Die Deutschen haben ein starkes Bewusstsein für den Wiederaufbau gezeigt, das macht uns Hoffnung.“ Er hat lange an den Mosaiken in seiner Heimatstadt Maaret al-Naaman gearbeitet, die noch erhalten sind. Ihn begeistert das große Mosaik aus Ravenna im Museum für Byzantinische Kunst, besonders fasziniert ihn ein Stein aus Qala’at Seman: „Das ist für mich ein Stück Heimat.“ Dieses Gefühl möchte er auch an seine Landsleute weitergeben.
"Multaka" führt Religionen und Menschen zusammen
Für Bachar Al Chahin, ehemals Reiseführer und Guide im Nationalmuseum von Damaskus, verwirklicht sich ein Traum, im Vorderasiatischen Museum arbeiten zu dürfen: „Ich war am ersten Tag im Ägyptischen Museum, im Pergamonmuseum und im Bode-Museum, am zweiten Tag im Deutschen Historischen Museum, am dritten Tag in Dresden und Leipzig. Nach zehn Tagen habe ich schon Menschen durch das Museum geführt.“ Nach zwei Monaten erfuhr er von dem Projekt „Multaka“ und war sofort dabei.
Auch Bachar Al Chahin ist begeistert vom DHM und Kaiser Wilhelm II., der sich so für den Nahen Osten interessiert habe. Für ihn stellt „Multaka“ ein Projekt dar, das alle Religionen und alle Menschen im Museum zusammenführt. Schließlich hätten sich die Europäer schon im 19. und 20. Jahrhundert für den Orient begeistert und diese Museen aufgebaut. Allerdings macht ihm gegenwärtig der Kunsthandel mit antiken Gütern Sorge. Und noch etwas liegt ihm am Herzen: „Die Deutschen sollen wissen, dass wir motiviert sind. Wir stammen aus einer alten Kultur und wollen helfen, hier etwas Neues zu entwickeln – zusammen mit den Deutschen.“
Die Reaktionen auf das Angebot der neugebackenen Guides sind noch unterschiedlich. Syrer, die schon länger hier leben, sehen es positiv, Neuankömmlinge haben erst einmal andere Sorgen mit der Bürokratie. Außerdem spielt die Bildung eine wichtige Rolle. Der Restaurator Mohamed Al Subeh bietet die Führungen deshalb nicht als pädagogische Maßnahme an, sondern als einen Ausflug, als willkommene Abwechslung.
Auch Koordinator Robert Winkler versteht „Multaka“ als Freizeitangebot, als Bereicherung. Die Ansprache erfolgt über arabische Medien und soziale Netzwerke. Die Führungen für Geflüchtete sind kostenfrei. Gesucht wird nun ein Sponsor für die Fahrtkosten. Weitere Pläne gibt es bereits: 2016 soll es Workshops geben.
Die Führungen finden mittwochs und samstags um 15 Uhr statt. Weitere Informationen: info@multaka.de und Facebook.com/MultakaTreffpunktMuseum
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