BGH-Urteil: Geschlechterkampf auf dem Formular
Auf Vordrucken der Sparkasse darf nur von „Kunden“ die Rede sein, auch wenn es um "Kundinnen" geht. Nun geht der Streit zum EuGH.
Eines kann Marlies Krämer gar nicht leiden: „Ich sehe es überhaupt nicht ein, wenn ich als Frau totgeschwiegen werde“, sagt die 80-Jährige. Das treibt sie auf die Barrikaden und in die Gerichtssäle. In den 1990er Jahren hat Frau Krämer so lange auf einen Reisepass verzichtet, bis sie als „Inhaberin“ unterschreiben durfte und nicht mehr als „Inhaber“ unterschreiben musste. Sie hat es geschafft, dass Wetterdienste heute nicht nur Tiefdruck-, sondern auch Hochdruckgebieten weibliche Vornamen geben.
Jetzt legt sich die Sparkassenkundin aus dem saarländischen Sulzbach mit der Kreditwirtschaft an. Sie will in Vordrucken ihrer Sparkasse nicht länger als „Kunde“ oder „Kontoinhaber“ angesprochen werden, sondern sie will „Kundin“ oder „Kontoinhaberin“ sein. Mit ihrem Protest hat sie es bis vor das höchste deutsche Gericht geschafft. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat ihre Klage am Dienstag abgewiesen. Nun will Marlies Krämer vor den Europäischen Gerichtshof ziehen.
Schon das Landgericht Saarbrücken, das als erste Instanz mit der Sache befasst war, hatte die Seniorin abblitzen lassen und dazu einen Ausflug in die deutsche Grammatik unternommen. Die männliche Form („der Kunde“, „der Leser“, „der Patient“) werde schon „seit 2000 Jahren“ als Kollektivform für Personen beiderlei Geschlechts verwendet, erklärte das saarländische Gericht.
Bekommt die Klägerin recht, müssen 1600 Banken ihre Vordrucke ändern
Auch die Deutsche Kreditwirtschaft, der Spitzenverband des Geldgewerbes, hat sich offensichtlich bei Linguisten und Linguistinnen erkundigt und zeigt sich vertraut mit dem „generischen Maskulinum“ , das Männer wie Frauen meine. Zudem werde man mit der Bezeichnung „männlich/weiblich“ der aktuellen geschlechtersoziologischen Diskussion gar nicht mehr gerecht, erklärt der Verband. Immerhin habe das Bundesverfassungsgericht ja jüngst das „dritte Geschlecht“ anerkannt. „Somit würde eine Regelung, die künftig neben dem männlichen nur das weibliche Geschlecht aufführt, zu kurz greifen“, stellt die Banken- und Sparkassenlobby spitzfindig fest.
Neben der Sorge um das „dritte Geschlecht“ dürfte allerdings auch eine ganz handfeste Überlegung die Kreditwirtschaft zur gendersensiblen Bedenkenträgerschaft bewogen haben: Hätte Frau Krämer gewonnen, hätten die mehr als 1600 Banken und Sparkassen ihre Vordrucke ändern müssen. Das würde Geld kosten und jede Menge redaktionelle Probleme nach sich ziehen. Mit Doppelnennungen, Sternchenlösungen oder Partizipien („Kontoeröffnende") würden die schon jetzt wenig Lesespaß bereitenden Formulare noch komplizierter. Marlies Krämer ist das egal: „Sprache, die 2000 Jahre falsch rübergebracht wurde, muss ja nicht noch die nächsten 2000 Jahre falsch rübergebracht werden“, meint sie.
Mit ihrem Kampf für gendergerechte Formulierungen steht die streitbare Rentnerin nicht allein da. Jüngst hatte die Gleichstellungsbeauftragte im Bundesfamilienministerium, Kristin Rose-Möhring, für heftige Diskussionen gesorgt, als sie die deutsche Nationalhymne umschreiben lassen wollte. Formulierungen wie „Vaterland“ und „brüderlich mit Herz und Hand“ hält die SPD-Politikerin für frauenfeindlich und will die Textpassagen durch „Heimatland“ und „couragiert mit Herz und Hand“ ersetzen. Mut machen ihr Kanada und Österreich, die ihre Hymen geändert haben. So feiert unser Nachbarland schon seit 2012 nicht mehr nur seine „großen Söhne“, sondern seine „großen Töchter und Söhne“. Aus „Bruderchören“ wurden „Jubelchöre“. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Idee der Gleichstellungsbeauftragten allerdings nicht zu Jubelchören veranlasst, sie ließ erklären, dass sie „sehr zufrieden“ mit dem traditionellen deutschen Text sei.
Gewissensbisse beim Bundesfinanzministerium
Nun ist die Kanzlerin zwar als erste Frau an der Regierungsspitze in Deutschland qua Karriere eine feministische Erfolgsgeschichte, ihre Selbstinszenierung tendiert aber eher zum generischen Maskulinum. Als Feministin ist Frau Merkel bisher nicht in Erscheinung getreten. Dagegen hadert die feministische Linguistik schon seit den achtziger Jahren mit dem generischen Maskulinum. Wörter wie „Lehrer“, „Denker“, „Sportler“ seien nicht geschlechtsneutral, vielmehr werde das Maskulinum sexualisiert, heißt es. Was den Linguisten Peter Eisenberg in der „FAZ“ kürzlich zu der provokanten Frage veranlasste, ob nicht eigentlich Männer durch die deutsche Pluralform „die“ diskriminiert werden. Würden sich Männer vielleicht ausgeschlossen fühlen, wenn es um „die“ Menschen gehe?, stichelte Eisenberg. Ganz ernsthaft stellt sich die Genderfrage aber für Ministerien und die Verwaltung. In Berlin ist das Thema in der „Gemeinsamen Geschäftsordnung der Berliner Verwaltung“ geregelt. Die Gleichstellung von Mann und Frau als „durchgängiges Leitprinzip“ soll sich auch in der Sprache ausdrücken, heißt es dort. Empfohlen werden geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen, notfalls auch die „Ausschreibung der jeweils männlichen und weiblichen Form“, teilt die Senatsinnenverwaltung mit.
Beim Bundesfinanzministerium spürt man Gewissensbisse, weil in den Vordrucken zur Einkommensteuer noch heute – wie in den 50er Jahren – der Ehegatte zuerst genannt wird und dann erst die Frau, wenn beide eine gemeinsame Steuererklärung machen. Das Ministerium erklärt das damit, dass Ehegatten/Lebenspartner zweifelsfrei identifiziert werden müssten, auch über mehrere Steuerjahre hinweg. Da die meisten Steuererklärungen inzwischen von Maschinen erledigt werden, sei eine gleichbleibende, eindeutige Zuordnung wichtig. Die Reihenfolge auf dem Formular sei aber nicht als „wertende Rangfolge“ zu verstehen, betont ein Ministeriumssprecher und versichert, das Bundesfinanzministerium verkenne keinesfalls die „gesellschafts- und gleichstellungspolitischen Belange, die für eine geschlechterneutrale Gestaltung der Steuererklärungsvordrucke sprechen“. Man strebe Lösungen an, die unter Gendergesichtspunkten wünschenswertere Eintragungsoptionen schaffen. „Eine lediglich vordruckmäßige Umbenennung der Eintragungsfelder würde hier jedoch zu kurz greifen“, skizziert der Sprecher einen offensichtlich größeren Handlungsbedarf.
Eine allgemeine gesetzliche Regelung, die Unternehmen zu geschlechtsneutralen Anreden in Formularen oder Stellenausschreibungen zwingt, gibt es nicht. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz aus dem Jahr 2006 verbietet nur die tatsächliche Benachteiligung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts. Wenn eine Frau einen Job wegen ihres Geschlechts nicht bekommt, ist das ein Fall für das AGG, nicht aber, wenn die Stellenausschreibung männlich formuliert ist. Wie oft so etwas vorkommt, lässt die Allgemeine Diskriminierungsstelle allerdings derzeit in großem Stil überprüfen.
Auch deutsche Gesetzestexte nutzen das generische Maskulinum. So spricht etwa das Bürgerliche Gesetzbuch vom „Käufer“, „Erblasser“ oder „Mieter“. Allerdings stammt der Ursprungstext aus dem Jahr 1896. Dennoch gebe es derzeit, keine Bestrebungen, für eine Grundüberholung des Werks, heißt es im Bundesjustizministerium.
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