Serien auf der Berlinale: Bankerinnen und andere Eismonster
Von der Arktis über den Fußballplatz ins Mädchenpensionat: Viele der Berlinale-Serien gehen in diesem Jahr auf literarische Vorlagen zurück.
Die Serie zum Buch, natürlich. Die diesjährige Häufung von Literaturverfilmungen bei den Berlinale Series kommt nicht von ungefähr. Haben nicht Literaturverfilmungen immer daran gekrankt, dass komplexes Figurenpersonal zusammengestrichen und verzweigte Erzählstränge gekappt werden müssen? Beim langen Atem des horizontalen Erzählens ist ausdrücklich erwünscht, all das zu erhalten. Was passt also besser zum Roman, zum Sachbuch als die Serie?
Gleich vier der sieben aus den USA, Norwegen, Dänemark, Israel, Australien und Deutschland stammenden Serien gehen auf Buchvorlagen zurück. Einige davon auf Bestseller. Das läuft wie beim Film, wo literarischen Kassenschlagern verlässlich die Zweitverwertung als Kinoadaption folgt. Das gilt für den Zehnteiler „The Looming Tower“ (Hulu/Amazon), der auf dem gleichnamigen, mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Sachbuch von Lawrence Wright basiert. Und genauso für die ebenfalls zehn Episoden umfassende Serie „The Terror“. Sie wurde vom Sender AMC produziert, der die Serienhits „Breaking Bad“ und „Better call Saul“ herausgebracht hat. Vorlage ist der Mysterythriller „The Terror“ des amerikanischen Autors Dan Simmons.
Die dänische Serie „Liberty“ fußt auf einem Roman von Jakob Ejersbo. Das Familiendrama setzt sich mit den Spätfolgen des Kolonialismus auseinander und spielt in den achtziger Jahren in Tansania. Und auch der Sechsteiler mit dem bei Cineasten wohlbekannten Titel „Picnic at Hanging Rock“ war Literatur, bevor Regisseur Peter Weir 1975 daraus ein längst zum Klassiker avanciertes Mysterymelodram gemacht hat.
Augen- und Ohrenfutter
Die Siebziger sind allerdings verdammt lang her. Also greift bei dem Kultfilm das Modell „Fargo“: Der lakonische Kinofilm der Coen-Brüder inspirierte eine Krimiserie. Und der australische Sender Foxtel bereitet nun den „Hanging Rock“-Stoff für die Sehgewohnheiten der Generation Streaming auf. Die liegen bei allem Kostümgeraschel des historischen Settings vor allem im modernen Zugriff auf die Geschichte um die bei einem Picknick am Valentinstag des Jahres 1900 verschwundenen Zöglinge eines Mädchenpensionats.
Altmeister Weir setzte auf eine diskrete, poetische Bildsprache und eine ganz auf das unaufgelöste Verschwinden der Mädchen und dessen desaströse Folgen für das Internat von Mrs. Appleyard gerichtete Erzählung. Die im Zoo Palast, der neuen Heimat der Berlinale-Serien, gezeigte Version lässt es dagegen richtig knallen. Die von der charismatischen Britin Natalie Dormer gespielte junge, schöne und noch dazu falsche Witwe Appleyard hat nun eine in Albtraumsequenzen aufscheinende saftige Backstory. Eigenwillige, mal angeschrägte, mal auf dem Kopf stehende Kameraperspektiven und ein elektronisch wabernder, pumpender Score konterkarieren die historische Szenerie mutwillig als verschärftes Augen- und Ohrenfutter.
Dieser Frauenwelt, in der Herren als bedrohliche Eindringlinge fungieren, stehen hermetische Männerwelten gegenüber. In der Serie „Heimebane“ aus Norwegen kämpft die erste Fußballtrainerin in der ersten Männerliga um die Akzeptanz von Team und Sportapparat. In „The Looming Tower“ muss ein von Jeff Daniels verkörperter bulliger FBI-Chef seinen ignoranten Rivalen vom CIA im Prä-Nine-Eleven-New-York davon überzeugen, dass Al Quaida eine konkrete Bedrohung ist.
Und in „The Terror“ bekommt es die Royal Navy unter Sir John Franklin 1847 auf ihrer Arktis-Expedition zur Entdeckung der Nordwest-Passage nicht nur mit den üblichen Schrecken des Eises und der Finsternis zu tun. In den majestätischen und zugleich klaustrophobischen Weiten, für die als Produzent Ridley Scott verantwortlich zeichnet, lauert ein Monster, gegen das der Yeti ein Waisenknabe ist. Urplötzlich wird der eingangs eher lahme, Offiziersrivalitäten verhandelnde Historienstoff zum heftigen Horrorthriller. In der bisher – mal abgesehen von „The Crown“ oder „Babylon Berlin“ – eher zeitgenössischen Themen verpflichteten Serienproduktion erfreuen sich scheint’s auch die aufwendigen Kostüm- und Ausstattungsschlachten zunehmender Beliebtheit.
Duell zweier Bankerinnen
Abgesehen von diesen Entwicklungen ist in dem mehrere Hundert Neuerscheinungen pro Jahr umfassenden Markt, der im Zoo Palast samt den für das Fachpublikum angegliederten „Drama Series Days“ nur ausschnittweise abgebildet wird, höchstens noch das verstärkt aufkommende Thema der starken Heldin auszumachen, sagt Solmaz Azizi. Sie wählt das Programm seit der Aufnahme ins Festival im Jahr 2015 aus. Solche Frauenfiguren dominieren „Sleeping Bears“ aus Israel sowie „Bad Banks“. Der schon ab dem 1. März auf Arte ausgestrahlte Sechsteiler von Christian Schwochow wird – das ist nicht schwer vorauszusagen – sicher ebenso Stadtgespräch wie im vergangenen Jahr die Berlin-Serie „4 Blocks“, die ihren Siegeszug auf der Berlinale begann.
In kühlem Graublau verhandelt die sichtlich auf internationales Niveau getrimmte Serie ein Thema der Stunde: die riskanten Machenschaften von Investmentbankern. Und auch wenn deren Zeichnung als Workaholics mit psychischen Deformationen, Drogenaffinität und abseitigen Neigungen mitunter etwas kolportagehaft gerät, ist eine coole, spannende Show draus geworden. Gelungen auch deswegen, weil sie – flankiert vom üblichen Alphamänner-Gezicke – vom Duell zweier ausgebuffter Bankerinnen erzählt, die das fabelhafte Duo Paula Beer und Désirée Nosbusch spielt.
Die vor einer Pleitebank in Frankfurt am Main spielende Eingangssequenz der Serie hat man sich seit der Finanzkrise vor 2008 im Geist schon häufiger ausgemalt. Eine Karte verschwindet im Bankautomaten, doch was nicht kommt ist: das Geld!
Picnic at Hanging Rock: 23.2., Sleeping Bears: 19., 21.2.; The Looming Tower: 20., 23.2.; Liberty: 20., 21.2.; Heimebane: 20., 22.2.; The Terror: 21., 22.2.; Bad Banks: 21.2. (alle Zoo Palast 1–3)