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Ewan McGregor in einer Doppelrolle: Hier als Unternehmer Emmit Stussy.
© Netflix

"Fargo", die dritte Staffel auf Netflix: Unter Brüdern

Kafka, Stasi, Minnesota: Die dritte Staffel aus dem „Fargo“-Serien-Universum setzt noch einen drauf. Und bringt einen berühmten Schauspieler gleich doppelt.

Ein Mann mit Vokuhila-Frisur kommt aus einer Mietskaserne. Im dritten Stock lehnt ein Pärchen am offenen Fenster, ein Typ mit schütterem Haar und seine aufgekratzte, leicht bekleidete Freundin. Beide wollen dem Mann unten ans Leder. Sie stemmen sich innen gegen die marode Klimaanlage, treten sie aus der Fensterwand. Die Maschine fällt runter, versenkt den Mann kerzengerade im Bürgersteig.

Da ist er wieder, dieser „Fargo“-Sound: Jener unbeteiligt-kühle Gestus des Erzählens, so schrecklich die dargestellten Dinge auch sein mögen. Daneben ruhige, weite Totalen über schneebedeckte Landschaften in der US-amerikanischen Provinz. Menschen, die im Dreck stecken, und je mehr sie sich bewegen, darin noch tiefer versinken. Und stets viel Blut. Wobei es in dieser ersten Folge von „Fargo3“, zu sehen beim Streamingdienst Netflix, noch recht gemächlich losgeht, anders als in den ersten beiden Staffeln und dem stilbildenden Film-Original der Gebrüder Coen aus dem Jahr 1996.

Und hier als Bewährungshelfer Ray Stussy
Und hier als Bewährungshelfer Ray Stussy
© Netflix

Da sitzen nun – fernab von Amerika – die deutschen Schauspieler Sylvester Groth und Fabian Busch in einer Ost-Berliner Stasi-Zentrale beim Verhör. Der Staatsbeamte (Groth) mustert einen Bürger (Busch), der angeblich ukrainischer Immigrant sein und seine 20-jährige Frau umgebracht haben soll. Dass das gar nicht sein kann, sieht man sofort: grauhaarig, mit Berlin-Akzent hockt da ein Mann, der nicht weiß, wie ihm geschieht.

Je mehr der Stasi-Mann auf ihn einredet, desto mehr glaubt er an die mörderische Tat. Alles, was der Mann aussage, „ist eine Geschichte, und wir sind nicht hier, um Geschichten zu erzählen“, sagt der Beamte. „Wir sind hier, um die Wahrheit zu erzählen.“ Die Wahrheit? Welche Wahrheit? Und wieso soll der Mann namens Jakob Ungerleider (!) schuldig sein? Ist sein Schicksal fremdbestimmt? Das erinnert ein wenig an Kafkas „Prozess“, wo der Protagonist über der Frage, warum er angeklagt wird, in den Wahnsinn treibt.

Auf Wunsch der Überlebenden wurden die Namen geändert

Kafka scheint nicht die schlechteste Referenzgröße sein, um das wie ein Solitär im Streamingserienkino stehende „Fargo“-Universum zu verstehen. Jede Staffel, kreiert von Noah Hawley, gibt ja im Insert vor, eine „wahre Geschichte“ zu erzählen. Die dargestellten Ereignisse in Teil drei hätten 2010 in Minnesota stattgefunden. „Auf Wunsch der Überlebenden wurden die Namen geändert, aus Respekt vor den Toten wurde alles andere so erzählt, wie es geschehen ist.“

Diese Als-ob-Tonalität verbindet alle „Fargo“-Staffeln, die, dem Plot nach, nichts miteinander zu tun haben (abgesehen vom Rollentyp alleinerziehende Polizistin, die wieder mit dabei ist). Billy Bob Thornton und Martin Freeman bereicherten „Fargo1“, diesmal glänzt Ewan McGregor in einer Bruder-Doppelrolle.

Bewährungshelfer Ray Stussy will ans Vermögen seines reichen Bruders Emmit und beauftragt einen Dieb, eine wertvolle Briefmarke aus dem Haus des Bruders zu stehlen. Der hat jedoch ganz andere Probleme. Als er ein altes millionenschweres Darlehen zurückzahlen will, stellt sich der zwielichtige Geldgeber quer. Die Summe sei gar nicht als Kredit gedacht gewesen, sondern als Investment … Auch des Bruders Briefmarkenraub, man ahnt es, funktioniert nicht wie geplant, sondern trifft komplett Unschuldige. Der platt gemachte Mann auf dem Bürgersteig bleibt nicht das einzige Opfer.

Netflix stellt den Zehnteiler wöchentlich ins Online-Regal, jeden Donnerstag eine Folge. Nach allem, was man hört, soll das Ganze – eine Melange aus Erpressung, Lügen, bad girls – noch düsterer und verrätselter sein als die ersten zwei Staffeln. Wahrscheinlich hat bei „Fargo3“ am Ende auch noch die Stasi ihre Finger im Spiel. Es kann zur Einstimmung auf diese Serie nicht schaden, ein wenig Kafka zu lesen.

„Fargo“, dritte Staffel, zehnteilig, jede Woche eine neue Folge auf Netflix

Markus Ehrenberg

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