Haußmann inszeniert am Berliner Ensemble: Bandenwerbung
Ewige Jugend: Leander Haußmann lässt Schillers „Räuber“ am Berliner Ensemble los.
Eines muss man Leander Haußmann lassen: Er hat hundertprozentig geliefert mit seiner „Räuber“-Inszenierung am BE. Laut ins Publikum zu rufen, dass das Stück jetzt wieder wahnsinnig aktuell sei, wolle er lieber den Musterschüler-Regisseuren überlassen, hatte er vor der Premiere verkündet. Ihm selbst mache an Schillers Jugendwerk eher „der romantische Gedanke Spaß, in den Wald zu gehen und eine Räuberbande zu gründen.“
Und nach pubertärer Wut sieht es dann auch aus auf dem Abenteuerspielplatz, den Bühnenbildner Achim Freyer als Startrampe für maximalen Budenzauber ins BE gebaut hat. Schon beim Einlass turnt die titelgebende Gang, die Karl Moor (Felix Tittel) um sich geschart hat, zu Evergreens des Revoluzzer-Fachs übers Szenario. Um später beim Räuberbanden-Schwur dann selbst vor einem Windrad zu posieren, das nicht nur mittlere Orkane, sondern auch leere Pseudo-Flugblätter in den Zuschauerraum bläst, während aus dem Off bombastisch der Beethoven-Soundtrack zur Schiller’schen „Ode an die Freude“ erklingt: Nur eine von gefühlt im Minutentakt abschnurrenden Nummern, die im Parkett spontan Ovationen auslösen.
Später treten Karl & Co. von der Live-Bühne scheinbar direkt in die idyllischen, von Jakob Klaffs und Hugo Reis kreierten böhmischen Video-Wälder hinein, die im Breitwandformat über der Szene prangen. Nicht ohne sich vorher noch schnell durch die komplette angelsächsische Genrefilm-Tradition zum Banden-Sujet parodiert zu haben.
Große Kunstblut-Show, gigantischer Zwischenapplaus
Und im Schloss des Grafen Maximilian von Moor, das vor allem gern mal als eine Art Matratzenlager reüssiert, geht es – schwer zu glauben, aber wahr – sogar fast noch munterer zu! Dass der Alte, motorisch stark eingeschränkt, abendfüllend in einer Art Nachthemd im Rollstuhl hockt, tut nicht das Geringste zur Sache: Das persönliche Lebenselixier funktioniert offenbar vitaler denn je. Roman Kaminski als Graf von Moor und Matthias Mosbach als Kanaillen-Sohn Franz lassen noch den unspektakulärsten Wortwechsel in erfrischend bösartige Handgreiflichkeiten kippen.
Übrigens nicht ihr einziges Talent: Franz wirft sich in seinem hypereng anliegenden fleischfarbenen Shirt auch immer wieder gern mit dem Ehrgeiz eines Westentaschen-Popstars in gewagte Rampen-Choreografien und schreckt noch nicht mal davor zurück, sich von Amalia (Antonia Bill), der Geliebten des wegintrigierten Bruders Karl, beim unzüchtigen Annäherungsversuch ein Stück Gesicht wegbeißen zu lassen: große Kunstblut-Show, gigantischer Zwischenapplaus. Und all das ist noch gar nichts gegen die Szene kurz vor der Pause, in der Franz seinen erschlafften Vater, den er für tot hält, marionettenartig zu Cat Stevens’ „Father and Son“ über die Bühne schleift, um sich anschließend minutenlang und mit wachsender Panik in dessen greisenhaftem Klammergriff zu verfangen.
Sieht tatsächlich so aus, als behalte Haußmann recht mit seiner nicht unsteilen These, bei der Räuberbanden-Gründung handele es sich um „einen tiefen Kinderwunsch, den jeder mal geträumt“ habe. So ironiefreudig Spielplatz-regressiv und bei sich selbst, so im besten Sinne aufgedreht und erfreulich weit weg vom Peymann-Stil der aufgerissenen Augen und handlungspathetisch mitrudernden Arme sah man die BE-Schauspieler jedenfalls selten. Und die Tatsache, dass der gelegentlich als Regisseur in Erscheinung tretende Schauspieler Lars Eidinger „Die Räuber“ vor ein paar Jahren im Studio der Schaubühne mit ähnlich konsequenter Ironiefreude in Queens „Bohemian Rhapsody“ hineinlappen ließ, während der alte Moor mit einem dauerrasselnden Beatmungsschlauch im voluminösen Fatsuit an der Rampe vor sich hin siechte, spricht ebenfalls für die Haußmann-Diagnose von der Omnipräsenz des spätkindlichen Räuberbandentraums.
„Ich werde mich jetzt für eine ganze Weile aus dem Theaterbusiness zurückziehen“
Allerdings übernimmt im BE nach der Pause das Pathos das Kommando. Aus der heiter-pubertären Familienaufstellung mit vergleichsweise kurzen Ernsthaftigkeitseinsprengseln wird proportional zur Grausamkeitszunahme der „Räuber“-Taten eine ziemliche Ergriffenheitsshow. Die könnte zwar theoretisch noch länger sein, was uns Haußmann dank szenischer Parallelmontagen des Rest-Plots erspart, zieht sich aber trotzdem dreimal so lange hin wie das vitale Abenteuerspielplatz-Entertainment bis zur Pause.
Selbiges wäre übrigens zumindest für die Räuberbandengründungsträumer unter uns Grund genug, sich zu wünschen, dass der 56-jährige Haußmann seine Drohung nicht wahr macht. „Ich werde mich jetzt für eine ganze Weile aus dem Theaterbusiness zurückziehen“, hatte er vor der Premiere verkündet. Denn mit dem anno 2017 anstehenden Intendanzende von Frank Castorf an der Volksbühne und Claus Peymann am BE würden im Theater „die Verrückten aussterben“. Er glaube allerdings daran, schob er nach, „dass die Zeiten sich immer wieder korrigieren“.
Nächste Vorstellungen am 1., 5. und 7. Juni, 19.30 Uhr.
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