„The Wake“ von Scott Snyder und Sean Murphy: Aus der Tiefe des Raumes
Mit dem Science-Fiction-Thriller-Comic „The Wake“ festigt Scott Snyder einen Ruf als einer der interessantesten Comicautoren der Gegenwart - auch dank Sean Murphys Zeichenkunst.
Die Tiefsee ist kein menschenfreundlicher Ort, genau wie die Zukunft: zu viel Druck, zu viel Wasser. Um das Jahr 2200 herum ist Land unter auf dem Planeten Erde. Die Pole sind geschmolzen, die Meere haben die Städte geschluckt. Gebrochen erheben sich die Ruinen von Amerika aus den Wassern.
In seinem Thriller „The Wake“ erzählt „Batman“- und „Swamp-Thing“-Autor Scott Snyder, wie es soweit kommen konnte. Dabei verquirlt er U-Boot-Survival-Horror à la „Abyss“, spekulative Anthropologie und Endzeit-Sci-Fi im Stile von „Waterworld“. Er mixt Seemansgarn wie die Legende von den Meerjungfrauen mit Verschwörungstheorien um den „Bloob“, jenem mysteriösen Geräusch, das Wissenschaftler in den tiefen des Meeres aufgezeichnet haben, und gießt alles in die Form der Abenteuergeschichte.
Jäger werden zu Gejagten
Der kürzlich bei Panini erschienene Sammelband vereint alle zehn Hefte der Serie, die in Amerika bei Vertigo verlegt wurde. Die ersten fünf erzählen in unserer Gegenwart die Geschichte der Meeresbiologin Lee Archer, die für ein geheimes Regierungsprojekt in der Tiefsee rekrutiert wird. Eine neue Spezies wurde entdeckt. Dann läuft alles schnell aus dem Ruder, die Jäger werden zu Gejagten. Zeit wird knapp. Luft auch. Die Kapitel sechs bis zehn dann blenden über in die kaputte Zukunft, in der die Menschheit über die gewachsenen Weltmeere schippert – mit zu Galeeren umgebauten Passagierdampfern zum Beispiel und sogar Piraten mit vollmechanischem Flugvieh auf der Schulterklappe hat es hier.
Mit dem Szenenwechsel geht allerdings auch ein deutlicher Stilbruch einher. Der klaustrophobische Schrecken des Anfangs weicht zunehmend einer ausschweifenden Lust am Basteln von skurrilen Welten. Die funktionale Härte der ersten Kapitel, deren Nachhall in der Zukunft noch zu vernehmen ist, wird zunehmen von einem verspielten Draufgängertum abgelöst. Das muss man mögen.
Über jeden Zweifel erhaben sind jedoch die kratzig-rauen Bilder, die Sean Murphy zu der Geschichte gezeichnet hat. Ähnlich wie in seiner gefeierten Satire „Punk Rock Jesus“ gelingt ihm auch hier das erst mal paradox anmutende Nebeneinander von Skizze und Detailreichtum. Manchmal verzichtet Murphy in einem Gesicht auf einen Mund, aber nie auf die Schrauben, Schalter und Knöpfe an dem technischen Gerät, mit dem die Schiffe ausstaffiert sind. Die entsättigte Farbpalette liefert Matt Hollingsworth, der die „Hawkeye“-Interpretation von Matt Fraction kolorierte.
Dass es Snyder am Ende gelingt, in dem Wust aus Action-Blockbuster-Plot, Kulturgeschichte, Pseudowissenschaft und Evolutionsbiologie nicht unterzugehen, untermauert seinen Ruf als einer der interessantesten Comicautoren der Gegenwart. 2014 gab es für „The Wake“ konsequenterweise den Eisner-Award für die beste Miniserie.
Scott Snyder, Sean Murphy: The Wake, Panini, 228 Seiten, 24,99 €
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