Pergamon Museum: Auferstehung einer Metropole
Die Antike hautnah: Yadegar Asisi hat auf wissenschaftlicher Basis auf 103 Metern Länge und 24 Metern Höhe einen Tag im Leben Pergamons geschaffen. Ab 30. September ist die Ausstellung im Pergamon Museum zu sehen.
Es ist Nacht. Im fahlen Blau schimmern die Bauwerke, die Landschaft ist plastisch zum Greifen nah. Die Vögel beginnen ihr Zwitscherkonzert, die Sonne wirft erste Strahlen auf das Theater, Musik ertönt, schwillt an, ein Chor stimmt ein, Rauch steigt auf, es ist eine wunderbare, friedliche Atmosphäre, ein atemberaubender Anblick. Der Blick schweift über eine weite Landschaft, dann über Tempel und antike Bauten – nein, es kann nicht wahr sein, die Perfektion des Alltagslebens, die Menschen in ihren griechischen Togen, all das muss eine Sinnestäuschung sein – nirgends gibt es eine so erhaltene griechische Stadt. Stimmt. Aber einer hat sie geschaffen, hat es möglich gemacht dank engster Kooperation mit den Archäologen der Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin, dank der Fortschritte der Technik und dank seiner künstlerischen Inspiration.
Yadegar Asisi, der Panorama-Künstler, der Visionär, hat es geschafft, in den Ehrenhof des Pergamonmuseums ein Panorama zu stellen, das 103 Meter im Umfang misst, 24 Meter Höhe und 34 Meter Durchmesser. Was von außen aussieht wie ein Gasometer zwischen den hehren Flügeln des Pergamonmuseums, entpuppt sich nach dem Aufstieg über unzählige Stufen bis auf eine Plattform in 15 Metern Höhe als eine perfekte Illusion. Vergessen sind Kupfergraben und Berlin, Baustellen und Ärger, man schaut und schaut und schaut.
In neuneinhalb Minuten erlebt man das rekonstruierte Pergamon im Jahre 129 nach Christus im Zeitraffer. Kaiser Hadrian besichtigt seine Baustellen und wird gleich zu dem Zelt am Theater gehen, während von unten vom Berg her der Dionysos-Umzug naht. „Das ist die Klammer meiner Geschichte“, sagt Asisi, der gerade die Musikprobe zu seiner Zufriedenheit hinter sich hat. Zur Geschichte gehört aber auch der richtige Standpunkt für den Beobachtungsturm.
Den hat er vor Ort nicht gefunden, immer stand ein Baum im Weg oder hat ein Hügel etwas verdeckt. Also hat er einen fiktiven Punkt ausgewählt und einen 30 Meter hohen Beobachtungsturm in Bergama aufgebaut, um von dort oben in einem Rundumschlag die ganze Landschaft mit Bergen, Hügeln, Bächen, Häusern und Ruinen zu fotografieren. „Ich habe Steine im Theater fotografiert von dort oben und sie kommen in meinem Bild vor. Das ist wichtig, ich brauche Anhaltspunkte für Dimensionen der Perspektiven“, sagt er.
Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie viele Fotos Asisi für sein Panorama brauchte.
70 Statisten in historischem Gewand wurden durch die Ruinen geschickt und immer wieder fotografiert. Überhaupt die Fotos. 50 000 hat er in diesem Monumentalwerk verarbeitet. „Ich nehme alles, was mir nutzt“, sagt er und zeigt auf drei würfelnde Mädchen. Eines hat eine antike Figur zum Vorbild, die beiden anderen sind seine beiden Töchter, die er beim Würfeln fotografiert hat. Am Computer hat er sie zusammengebracht, die drei spielen gedankenverloren – und sein Neffe hat alle drei Vorbilder am Rechner griechisch eingekleidet. Zwischen der Figur und den Töchtern liegen fast 2000 Jahre, und dennoch wirken sie wie aus einem Guss. „Das zeigt doch, dass der Mensch in seinem Wesen sich nicht geändert hat.“
Man kann sich in Asisis Bild verlieren, unendlich schauen und entdecken. „Im Panorama bin ich mein eigener Regisseur. Ich entscheide, was ich sehe, wie lange und wann.“ Je länger man auf die Leinwand schaut und oben und unten nicht mehr wahrnimmt, desto mehr verschieben sich die Dimensionen – man sieht Tiefe, Raum, eine weite Landschaft – vergessen ist die Tatsache, dass sich in 13 Metern Entfernung eine Leinwand über 24 Meter senkrecht erhebt.
„Das Auge will betrogen werden, damit spiele ich“, sagt er. Nicht auszudenken, wie und wo er angefangen hat, wie er alle Fotos überzeichnet und gefüllt hat. Die Landschaft wirkt echt, wie von einem Foto. Wo ist die Zeichnung? „Die Archäologen haben mir gesagt, damals waren die Berge und Hügel bewaldet, es gab kleinteilige Landwirtschaft, alles war grün, viel grüner als heute. Aber nun überlegen Sie mal, wie begrünen Sie eine karge Landschaft? Sehen Sie diesen Baum dort. Täuschend echt, nicht wahr? Aber er besteht in Wirklichkeit aus fünf Bäumen.“
Asisi ist ein virtuoser Jongleur mit Realitäten, ein Zauberer, der aus Illusion Realität schafft – einen Kunstraum nennt er sein Projekt. Aber wie rekonstruiert man etwas, was nicht da ist? „Der Künstler darf etwas, was der Wissenschaftler nicht darf. Wenn etwa von der römischen Unterstadt nicht mehr viel überliefert ist, warum soll ich mir nicht eine römische Unterstadt auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse zeichnen?“
Asisi erzählt Geschichten, weckt Emotionen, stellt aber auch Zusammenhänge her. „Wenn Sie das Panorama studiert haben und anschließend in die Ausstellung gehen, werden Sie Zusammenhänge erkennen. Sie haben eine Vorstellung, wo was stand. Aber wenn Sie die 450 wunderbaren Objekte gesehen haben, was wird Ihr bleibender Eindruck sein? – Das Panorama - die Vision einer antiken Stadt.“
Davon ist Yadegar Asisi überzeugt. Das Panorama ist für ihn kein Medium des 19. Jahrhunderts. Es ist aktuell und bietet dem visuellen Menschen dank neuer Techniken ungeahnte Möglichkeiten, komplexe Zusammenhänge zu vereinfachen, Geschichte zu erzählen, ein Jahr lang. So lange läuft die Ausstellung. „Doch der Pergamonaltar wird fünf Jahre nicht zu sehen sein, wenn das Museum renoviert wird. Man könnte das Panorama stehen lassen. Man muss wissen, was man will.“
Wesentlichen Anteil an den geweckten Emotionen hat das Klangbild, das der Musiker Eric Babak komponiert hat. Harfen und Flöten wurden eingesetzt, aber niemand konnte ihm genau sagen, welche Art von Musik damals gespielt wurde. „Am Ende ging es darum, Emotionen zu schaffen“, erzählt er oben auf dem Turm in 15 Metern Höhe.
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