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Ernst von innen, komisch von außen: Wes Anderson unterhält sich am Set von "Grand Budapest Hotel" mit Schauspieler Jude Law (rechts)
© Fox

Regisseur Wes Anderson: Willkommen im Puppenhaus

Wes Anderson hat sich als Regisseur die Kinderseele bewahrt: Seine Filme sind bunt und großäugig. Und immer sind sie auch mit Freunden, sprich: Filmstars, gemacht. Beim Berlinale-Eröffnungsfilm „Grand Budapest Hotel“ gibt es gleich ein ganzes Aufgebot.

Einen Anderson erkennt man sofort. Er ist zwar ein Sammler, der sich die Dinge zusammenklaubt wie sonst nur Tarantino: Das französisches Kino, Abenteuerromane, Beat der Sechziger, J. D. Salinger, Meeresbiologie oder die „Peanuts“ bereichern seinen Fundus. Aber er bringt alles zu einem ganz eigenen Ganzen zusammen. Selten trat ein junger Filmemacher mit einer solchen Stil- und Selbstsicherheit aufs Parkett wie Wes Anderson in den Neunzigern mit „Durchgeknallt“ und „Rushmore“.

Wes Anderson, 1969 in Houston geboren, ist selbst ein bisschen wie Max Fisher in „Rushmore“, jener überambitionierte Schüler, der an seiner Schule mit wachsendem Aufwand Theaterstücke zur Aufführung bringt. Gedreht wurde der Film in der Privatschule, die Anderson selbst besucht hatte.

Er war acht, als ihm der Vater eine Super-8-Kamera überließ. Wes machte Kurzfilme mit Brüdern und Freunden, immer drei Minuten, so viel erlaubte eine Filmrolle. Während des Studiums lernte er Owen Wilson kennen, sie schrieben zusammen „Durchgeknallt“, „Rushmore“ und „Royal Tenenbaums“. Owen und seine Brüder traten darin auf. Den Hang, mit Freunden zu arbeiten, behielt Anderson bei: Jason Schwarzmann, Bill Murray, Adrien Brody und andere gehören zur Familie. Man könnte sie das „Royal Anderson Ensemble“ nennen.

Egal wie klein die Rolle ist, so Schwarzmann, er sage immer zu, und nach getaner Arbeit mag er gar nicht abreisen. „Es ist nicht wie sonst, mit Kaffee, Chaos und öden Wartezeiten in Wohnwagen, sondern wie ein geselliger Nachmittagstee – aber vom frühen Morgen an.“ Oft wohnt man gemeinsam in einem Haus (oder, während „Darjeeling Limited“, in einem kleinen Palast).

Nach dem Erfolg von „Royal Tenenbaums“ (2001) bekam Anderson von Disney für „Tiefseetaucher“ (2004) erstmals ein großes Budget. Genug Geld, um endlich eine exorbitante Fantasiewelt ganz nach seiner Laune zu schaffen. Der Film aber floppte. Auch „Darjeeling Limited“ (2007) blieb unter den Erwartungen. Der Vorwurf: Anderson hätte bei all der Ausstattungslust die Figuren aus den Augen verloren. Was in seinen ersten Filmen noch originell war und der Geschichte diente, droht zu einer Angewohnheit zu werden.

Anderson schafft Szenen wie Kinderbücher, drapiert Schauspieler wie Puppen

Es ist ein eigenwilliger Barock, der dabei entsteht, eine erfundene, figurative Realität. Wie ein Kinderbuch zum Aufklappen, Seite für Seite, Einstellung für Einstellung. Auch die Figuren wirken nie, als träten sie zufällig ins Bild, sie sind platziert wie Puppen. Die Kamera dagegen scheint ganz eigenständig zu agieren: Sie führt willkürliche Zooms und Swipes aus sowie die berüchtigten „Dollhouse Shots“, wenn Anderson ein aufgeschnittenes Haus (oder U-Boot) ganz langsam abfährt. Mitunter wirkt das manieristisch und ein bisschen selbstgefällig.

Über „Moonrise Kingdom“ (2012) sagte Anderson: „Ich wollte die Erinnerung an das Gefühl der ersten Liebe wachrufen“. Die Erinnerung – nicht das Gefühl selbst. Und weiter: „Der Film ist wie eine Fantasie, die man in diesem Alter haben könnte“. Er zeigt nicht die Liebesgeschichte, sondern wie man sich selbst dabei träumt. Solche Geschichten können nicht in der Welt spielen. Sie sind die Welt. Und so spielt „Royal Tenenbaums“ nicht in New York, sondern in einer übertriebenen Version eines imaginären New York. Für „Grand Budapest Hotel“ ließ er sich zwar von Stefan Zweigs „Welt von gestern“ inspirieren. Doch Anderson will nicht die Vergangenheit zum Leben erwecken – sondern die Imagination der Vergangenheit. So ruft er hier kein reales Osteuropa wach, sondern ein Europa, wie es Hollywood in den Dreißigern erträumte.

In diesen Welten leben neurotische Sonderlinge, die sich nach Zugehörigkeit sehnen – eine Zugehörigkeit, die in privilegierter Lage – sie gehören fast immer der weißen Mittel- oder Oberschicht an – partout über die Familie konstruiert werden muss. „Andersons Welten sind künstlich“, sagt Owen Wilson. „Aber die Gefühle in diesen Welten sind echt.“ Er mag einen fast aristokratischen Sinn für Stil haben, Ironie ist seine Sache nicht.

Andersons Sonderlinge sind daher auch keine schlichten Exzentriker. Sie sind redselig, unbesonnen und mit sich selbst beschäftigt, aber auch introvertiert, naiv, aufrichtig. Max Fisher aus „Rushmore“ ist ein Prototyp: Anderson konzipierte ihn als eine Mischung aus Snoopy und Charlie Brown – dem einen gelingt alles, dem anderen nichts.

Die Welten, die Anderson entstehen lässt, sind also das fabelhafte Zwischenreich zwischen Kindheit und Erwachsensein. Er singt weder das Lob der Kindheit noch empfiehlt er das Erwachsenwerden. Aber den Ort dazwischen, den hält er fest wie in einer Glaskugel. Mal ist das Mannskind erst acht Jahre („Moonrise“), dann wieder um die 50 (Max Blume in „Rushmore“). „In zwölf Jahren wird er elfeinhalb“, sagt Jane in „Tiefseetaucher“ über ihr ungeborenes Baby. Und Kapitän Zissou antwortet: „Das war mein Lieblingsalter“.

Das ist es auch, was Anderson an François Truffaut so bewundert: das feine Auge dafür, wie die Kinderseele im Erwachsenen weiterlebt – enthusiastisch, egozentrisch, verletzlich. Andersons Filme sind deshalb auch nicht kindisch, sondern ernst. Es ist der heilige Ernst des Kindes. Es wird nie laut bei Anderson. Und es wird selten gelacht oder gelogen.

Wenn er eine Szene schreibt, wisse er oft nicht, ob sie traurig ist oder komisch, sagt Anderson. Natürlich nicht. Heiliger Ernst ist immer beides. Ernst von innen. Komisch von außen.

6.2., 19.30 Uhr (Berlinale Palast), 6.2., 20.30 (Friedrichstadt-Palast), 7.2., 12/18 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 7.2., 18 Uhr (Haus d. Berliner Festspiele), 8.2., 21.30 Uhr (Eva Lichtspiele)

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