Debütalbum von Jungle: Auf Kurs in die Schwerelosigkeit
Josh Lloyd-Watson und Tom McFarland bilden zusammen mit befreundeten Musiker die britische Discopop-Gruppe Jungle. Jetzt ist ihr erstes Album erschienen - ein perfekte Sommerplatte.
Jetzt, da sich der Fußballtunnelblick wieder weitet, kann man auch die Ohren für das wochenlange Erdulden von monotonen Fangesängen und stumpfen Pausenfüllerhits belohnen. Keine Platte wäre dafür besser geeignet als „Jungle“ (XL Recordings/Beggars), das Debütalbum der gleichnamigen britischen Band. Jungle entwerfen den perfekten Soundtrack für diese zu schwülen, zu tropischen Tage, an denen sich der Himmel dräuend über der Stadt wölbt, einem die Klamotten am Leibe kleben und man am liebsten mit der eigenen Jacht in See stechen würde.
Aber wer diese eigenartig der Realität entrückten, schwerelos groovenden, von betörenden mehrstimmigen Falsettgesängen bekrönten Songs hört, braucht keine Jacht, bewegt sich stattdessen in einer Wohlfühlblase, die den Vorteil hat, dass sie auch in einer überfüllten U-Bahn oder in den eigenen vier Wänden nicht platzt. In seiner beglückenden Wirkung ähnelt „Jungle“ Daft Punks letztjährigem Meisterwerk „Random Access Memories“, auch wenn die Produktionsbedingungen kaum unterschiedlicher sein könnten.
Am Anfang dieses musikalischen Sommermärchens stand ein Video, das seit letztem Herbst im Internet kursierte. Ein Mädchen im fliederfarbenen Trainingsanzug tanzt darin zu einem Song. Die Kleine hoppelt aufgedreht rum, fast zu hibbelig für den entspannten Beat. Doch dann legt sie eine dieser Bodenchoreografien hin, die seit den frühen 80ern zur Hip-Hop-Ikonografie gehören und deren Tricks – etwa, sich auf dem Kopf stehend wie ein Kreisel um die eigene Achse zu drehen – Normalbeweglichen wie Hexerei vorkommen. Erst recht, wenn sie von einer cool in die Kamera blickenden Sechsjährigen ausgeführt werden.
Das Lied, „Platoon“, ein distanziertes, von unaufdringlich nostalgischer Melancholie durchzogenes Stück, ja was, Zeitlupendisco?, Spieldosenfunk?, kybernetischer Soul?, wurde millionenfach angeklickt. Wobei es dem Hype nicht abträglich war, dass die Netzgemeinde über die Identität der Musiker rätseln durfte. Waren Jungle die beiden schwarzen Rollschuhtänzer aus dem nächsten Video, „The Heat“? Nö. Auch unter dem Bandnamen veröffentlichte Fotos, auf denen bis zu einem Dutzend hipper Menschen verschiedener Geschlechter und Hautfarben posierten, führten in die Irre. Mittlerweile hat sich das Geheimnis gelüftet.
Jungle verknüpfen schicke Oberflächenreize mit Tiefenschärfe
Jungle, das sind in erster Linie Josh Lloyd-Watson und Tom McFarland, zwei seit langem befreundete, weiße Twentysomethings aus dem Westlondoner Stadtteil Shepherd’s Bush, dessen Multikulturalität sie als Hauptinspirationsquelle für ihre Musik angeben. J und T, wie sie sich der Einfachheit halber nennen, bekennen sich in Interviews zu ihrem Nerdtum, zu ihrem Fanatismus, wenn es darum geht, pophistorische Einflüsse zu analysieren, in kleinste Elemente zu zerlegen und in ihren Soundkosmos zu integrieren.
Dieser Perfektionismus verleiht den Songs von Jungle eine Qualität, die bei Mainstream-Pop oft zugunsten greller Oberflächenreize vernachlässigt wird: Auch wenn sie ähnliche Stilmittel nutzen – Midtempo, abgedämpfte Gitarrenlicks, analoge Synthesizer, Filtergesang – differenzieren sich die zwölf Stücke mikroskopisch aus. Dabei kommt ihnen nie der Popappeal abhanden. Anders ausgedrückt: Man kann diese Stücke auf einer Ohrwurm-Ebene genießen und sich exquisit berieseln lassen. Oder man kann sich in den Abgründen der Arrangements, in instrumentalen Verästelungen und virtuos geschichteten Satzgesängen verlieren, kann den süßen Schauder spüren, wenn man sekundenbruchteilkurze Zitate von Kraftwerk bis Beach Boys, von Steely Dan bis Curtis Mayfield, von Shuggie Otis bis James Blake zu erkennen glaubt.
Daft Punk haben Ähnliches durch enormen Studioaufwand und mit der Hilfe großartiger Musiker wie Nile Rodgers erreicht. Diese Zauberlehrlinge brauchten dazu nur ein kleines Studio mit einem beachtlichen Arsenal historischer Klangerzeuger. Der Sommer der Popmusik ist wieder einmal gerettet.
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