Konzert: Zwei in der Zwischenzeit
Hohe Musikalität und fieses Muckertum: Steely Dan spielen in Berlin ein fast perfektes Konzert.
Es gibt an diesem Abend in der Zitadelle Spandau einen außermusikalischen Moment, der viel über Steely Dan und ihre Musik sagt. Donald Fagen zeigt zwischen zwei Stücken in den dunkelblauen Himmel hinein und lobt diesen tatsächlich schönen, wettermäßig perfekten Abend, gerade auch im Angesicht der baumumstandenen Festungsanlage. Was er nicht sehen kann und sich gleichfalls sehr schön und perfekt macht, ist das Flugzeug, das in diesem Moment hinter der Bühne in den Himmel aufsteigt – die Abflugschneise des Flughafen Tegel liegt direkt hinter der Zitadelle Spandau.
Während es nun heutzutage zum guten Ton gehört, schon mal zu fragen, ob das jetzt alles mit klimakorrekten Dingen zugeht, die weit über zwanzig Grad auch um neun, halbzehn Uhr noch, die Flugzeuge, die alle zehn Minuten in den Himmel steigen, hätte Fagen das alles in seiner Gesamtheit vermutlich noch schöner und perfekter gefunden.
„Two against nature“ hieß das Album, mit dem im Jahr 2000 der Keyboarder Donald Fagen und der Gitarrist Walter Becker, die beiden Masterminds der aus New York stammenden Steely Dan, nach sieben Alben in den siebziger Jahren und zwanzigjähriger Abwesenheit in die Popwelt zurückkehrten, zumindest als Steely Dan – zu dem einen oder anderen Soloalbum konnten sich beide in dieser langen Zeit immerhin aufraffen. Zwei gegen die Natur, das ist ein für Steely Dan typischer Zynismus, aber eben auch ein Sinnbild für ihre Musik, die vor allem ein Ziel hat: perfekt zu sein, keine Irritationen zuzulassen. Dazu so künstlich, wie es mit analogen Instrumenten nur möglich ist, so oberflächlich und so kühl wie möglich, auf dass niemand mehr zu sagen vermag, ob das jetzt noch Popmusik in reinster Form ist. Oder schon Jazz. Oder doch Funk. Oder, und damit kommt man der Sache am nächsten, irgendetwas dazwischen.
Man weiß das auch bei Steely Dans Berliner Konzert nicht genau zu sagen. Man registriert aber einmal mehr, dass es überhaupt keinen Unterschied macht, ob Becker und Fagen mit ihrer zehnköpfigen, aus vier Bläsern, einer Rhythmussektion und zwei Backgroundsängerinnen bestehenden Band nun ein Stück aus ihrem Frühwerk oder von ihren beiden neueren Alben „Two Against Nature“ und dem 2003 veröffentlichten „Everything Must Go“ spielen ( wobei im übrigen die älteren Stücke überwiegen und vor allem von den Alben „Aja“ und „Gaucho“ stammen).
Die Dekaden sind an der Musik von Steely Dan spurlos vorübergegangen. Man darf wohl inzwischen Zeitlosigkeit dazu sagen, zumal diese Musik schon in den siebziger Jahren nicht gerade zeitgemäß war. Damals schafften Steely Dan es zwar mit Stücken wie „Do It“, dem so sonnig vor sich hin treibenden „Reelin’ In The Years“ und später mit „Ricky Don’t Lose That Number“ in den Kanon der immergrünen Songs der siebziger Jahre. Nur schien ihre arschglatte, arschkalkulierte Musik trotzdem nichts anderes als ein einziger Abwehrversuch gegen die Zumutungen der Zeit zu sein, gegen Post-Hippies und Bombastrocker. Aber auch gegen den Konzeptrock, auf den Becker und Fagen nur zu gern mit dem Sound des Easy, der Unterhaltung, dem Pop reagierten.
Heute stellt sich das naturgemäß anders dar. Heute umkreisen Steely Dan ausschließlich ihren eigenen Orbit, setzen sie sich in ihr eigenes Recht, sorgen sie dafür, dass auch live alles seinen perfekten Lauf nimmt. Das fällt inzwischen leichter als noch vor dreißig, fünfundreißig Jahren, da sie nach einigen missglückten Auftritten beschlossen, nur noch im Studio zu werkeln. So manches Solo einer Gitarre, eines Tenorsaxophons oder auch Fagens anfängliches Spiel auf einer Melodica suggerieren zwar, dass Steely Dan in ihren zumeist neu arrangierten Songs Raum für Improvisationen lassen. Dazu gehört auch der Witz Fagens bei der Vorstellung seiner Musiker, dass diese morgen schon wieder ganz anders heißen würden. Doch wirkt Stück für Stück perfekt einstudiert und ausarrangiert, sitzt hier jeder Ton und jedes Lick, sei es beim uralten „Dirty Work“ vom allerersten Steely-Dan- Album, sei es beim schmissigen „Godwhacker“ vom jüngsten. Ein bisschen Illusion, ein bisschen Gaukelei muss sein, sonst würde ja überhaupt keiner im Publikum tanzen oder mitsingen und nur den vielfältigen Reizen der Musik auf die Schliche kommen wollen.
Allerdings schwankt man während des Konzerts immer wieder mal, ob sich hier tolle Musikalität und ödes Muckertum nicht doch manchmal sehr die Waage halten, Genialität und folgenlose bloße Daddelei. Ob hier nicht ein Biedermann und ein Dandy ihre Rollen spielen, um ihr Publikum einerseits schön einzuseifen und nicht zu nah an sich rankomnmen zu lassen, andererseits immer wieder wachzurütteln: hier Donald Fagen, der fast alle Stücke etwas quengelig und sanft krächzend singt, zumeist hinter seinem Piano sitzend. Von weitem hat er etwas diabolisch Dennis-Hopper-Haftes hat, mit rotgeränderter Sonnenbrille, im Anzug und in Turnschuhen. Und dort Walter Becker, der liebe, gutmütige Vatter mit den lichten Haaren, der Brille, dem Bierbauch und in Jeans, der seine blaumetallische Gitarre mehr an der Brust als am Bauch hält und seine Finger sachte-filigran über die Saiten streifen lässt.
Unter der Oberfläche die Emotion: Walter Becker und Donald Fagen merkt man das zwei Stunden lang kaum an. Als sie zur Zugabe schreiten, erhebt sich jedoch das Publikum plötzlich von seinen Sitzen und hört stehend das Konzert zu Ende. So viel gefühlige Aufwallung muss bei aller von Steely Dan dargebotenen Perfektion und Kühle dann doch sein.
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