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Der Klang springt das Publikum förmlich an. Musiker der Dresdner Philharmonie beim Eröffnungskonzert am Freitag auf der Bühne des Dresdner Kulturpalastes.
©  Oliver Killig/dpa

Eröffnung Dresdner Kulturpalast: Auf der Suche nach der neuen Seele

Der generalsanierte Dresdner Kulturpalast ist eröffnet: erste akustische Eindrücke aus dem Konzertsaal - und eine Betrachtung der Architektur des Hauses.

Wenn es um Kunst geht, kommt Dresden aus den Schlagzeilen nicht heraus: Erst am Dienstag dieser Woche, als gegenüber der Frauenkirche eine Installation mit dem Titel „Denkmal für einen permanenten Neuanfang“ aufgestellt wurde, störten 300 Demonstranten mit Trillerpfeifen und Zwischenrufen wie „Schande!“ und „Schämt euch!“ die Rede von Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch. Oberbürgermeister Dirk Hilbert hatte im Februar sogar Morddrohungen erhalten, als er das aus zwei hochkant gestellten Bussen bestehende Mahnmal des deutsch-syrischen Künstlers Manaf Halbouni auf dem Neumarkt gegen Kritiker verteidigte.

Damals solidarisierten sich alle großen Dresdner Kulturinstitutionen in einer gemeinsamen Erklärung mit Hilbert. Denn der FDP-Politiker fördert die Künste, wo er kann. Er möchte 2025 den Titel der „Europäischen Kulturhauptstadt“ nach Dresden holen und versucht darum, die Bürgerschaft einzubinden, den Dialog innerhalb der Stadtgesellschaft zu stärken. Was sich angesichts der hartnäckigen Pöbler aus dem Pegida-Lager als äußerst mühselig herausstellt.

Um so angenehmer sind für Hilbert Termine wie die Eröffnung des für 100 Millionen Euro generalsanierten Kulturpalasts am Freitagabend. Festlich gekleidete Menschen füllen den neuen 1750-Plätze-Saal, ein Ort der klassischen Konsenskultur wird in Besitz genommen. Und dennoch versäumt es Hilbert beim Festakt nicht, darauf hinzuweisen, wie er sich die Dresdner Identität wünscht, nämlich „offen, bunt und kreativ“. Weil er aber auch ein Mann von Humor ist, bemerkt er in seinem Grußwort, wenn dieses Prestigeprojekt viermal so teuer wie geplant geworden wäre, hätte sicher der Bundespräsident als Ehrengast zugesagt. So wie bei der Hamburger Elbphilharmonie. Die kostenbewussten Dresdner müssen stattdessen am Freitag mit Finanzminister Wolfgang Schäuble als Festredner vorliebnehmen.

Erstklassige Bedingungen für sinfonische Musik und Pop

Ein offenes Haus soll der Kulturpalast künftig sein, tagsüber bevölkert von den Nutzern der städtischen Zentralbibliothek, abends von den Besuchern des im Keller untergebrachten Kabaretts „Herkuleskeule“ sowie dem Konzertpublikum. Für Pop, Jazz und Rock wird der Saal auch genutzt werden, in erster Linie aber hatten die Architekten den Auftrag, erstklassige Bedingungen für sinfonische Musik zu schaffen. Das größte Manko des alten Kulturpalasts bestand nämlich darin, dass „trotz engagierten Spielens der Klang auf der Bühne stecken blieb“, wie es Wolfgang Hentrich beschreibt, der Konzertmeister der Dresdner Philharmonie. So sehr sich die Orchestermusiker auch mühten, der Funke wollte einfach nicht in den Saal überspringen.

Das ist nun anders. Sobald Chefdirigent Michael Sanderling und seine Musiker mit der „Festlichen Ouvertüre“ von Dmitri Schostakowitsch loslegen, springt der Klang das Publikum förmlich an. Im glanzvollen Cinemascope-Sound entfaltet sich das Werk, das hier fast wie eine Parodie auf übertriebenen Hollywood-Pomp wirkt. Der satte Schlussakkord schießt förmlich zur Saaldecke hinauf, um sich dort wie der finale Prachtböller eines Brillantfeuerwerks aufzufächern. Julia Fischer, die Solistin in Mendelssohns Violinkonzert, sagte nach ihrem Auftritt: „Ich hatte den Eindruck, vor allem für den 1. und 2. Rang zu spielen.“ Denn von dort, so schien es ihr, kam akustisch am meisten zurück. In der Tat bestätigen die Hörer auf den billigen Plätzen, dass sie dort genau jene Mischung von Transparenz und Wärme erlebt haben, die das Team des niederländischen Akustikbüros Peutz angestrebt hat. Im Parkett dagegen bleibt der Höreindruck unausgewogen: Oberhalb vom Mezzoforte wird das Orchester schnell gleißend, in den leisen Passagen wiederum verschwinden die Streicher geradezu. Durchgehend überpräsent wiederum wirken die Bläser.

Yasuhisa Toyota, der weltweit berühmteste Akustiker, vertritt die These, dass Orchester mindestens drei Jahre brauchen, um sich an einen neuen Saal so zu gewöhnen, dass sie sein klangliches Potenzial voll ausreizen können. Die Dresdner Philharmonie hatte – weil die Bauarbeiten bis zur letzten Sekunde weitergingen – bislang gerade einmal drei Probentage in ihrem neuen Zuhause. Also kaum Zeit, sich einzuhören, geschweige denn, alle Möglichkeiten der Orchesteraufstellung auszuprobieren, mit der Höhe der einzelnen Bühnenpodeste zu experimentieren.

Der Schlusssatz aus Beethovens Neunter, auf den man auch in Dresden nicht verzichten mochte, macht immerhin schon einmal deutlich, dass die menschliche Stimme sich hier gut entfalten kann. Jetzt muss nur noch draußen auf den Straßen der Stadt Wirklichkeit werden, wovon der kulturaffine Oberbürgermeister Hilbert mit Schillers Ode träumt: „Alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt.“ Frederik Hanssen

Ein offenes Haus

Der Dresdner Kulturpalast ist ein Zeugnis der DDR, die ihn errichten ließ und 1969 eröffnete. Zugleich ist er ein Stück Dresdner Identität. 24 Jahre nach der Totalzerstörung der Stadt im Februar 1945 war er ein Hoffnungszeichen auf eine bessere Zukunft. Oberbürgermeister Dirk Hilbert sagte bei der Eröffnung unter Beifall: „Die Dresdner bewundern Zwinger und Semperoper. Sie sind stolz auf die wiederaufgebaute Frauenkirche. Und sie lieben ihren Kulturpalast.“ Die wütenden Proteste gegen das Vorhaben, den „Kulti“ durch eine neugebaute Philharmonie zu ersetzen, und der Beschluss des Stadtrates von 2008, stattdessen eine umfassende Renovierung plus Einbau eines geeigneten Konzertsaales für die Philharmoniker auszuschreiben, sprechen eine deutliche Sprache. Nun hat das durch den Wettbewerb 2009 bestimmte Hamburger Architekturbüro von Gerkan, Marg und Partner (gmp) ein neues Haus im Haus realisiert. Dennoch behauptet Stephan Schütz, der verantwortliche Projektarchitekt von gmp, zu Recht, dass die Architektur „als Ganzes und bis ins Detail sorgfältig erhalten beziehungsweise wiederhergestellt“ worden sei.

Von außen sowieso: Da sieht der breite und im Verhältnis dazu nicht sehr hohe Quader des Kulturpalasts so aus wie eh und je; auch das seitliche, stramm ideologische Wandbild „Der Weg der Roten Fahne“ in Farbglas auf Betonplatten blieb an seinem Platz. Allerdings ist das Haus transparenter geworden, nachdem die braungold bedampften Wärmeschutzgläser der späten DDR ersetzt worden sind.

Mehr denn je ist es ein offenes Haus. Durch die neue, zusätzliche Funktion als Stadtbibliothek wird das Gebäude noch stärker zu einem Haus für alle Dresdner – und das von morgens bis nachts. Die verglasten Foyers waren so zeitgeistig wie nur irgendeines der alten Bundesrepublik; allerdings niedriger, so dass auch das Wandbild im ersten Obergeschoss mit seinem sozialistischen Zukunftsoptimismus als schmaler Fries zwischen Saaltüren und Decke verläuft. Diese Decke ist verkleidet mit Platten der Sorte „Moki“, was für „Moskauer Kino“ steht; gebildet aus kleinquadratischen Vertiefungen zur besseren Akustik. Nüchterne Vierkantpfeiler gliedern den weiten Raum, dem seitliche Wandtäfelungen aus dunklem Ebenholz eine elegante Note geben.

Beeinflusst von Scharouns Weinberg-Architektur

Die neue Stadtbibliothek ist ein größerer Eingriff. Sie legt sich in den beiden Obergeschossen um den Konzertsaal, möglich geworden durch den Wegfall der früheren, seitlichen Nebenbühnen, deren Raum jetzt Treppenhäuser zur inneren Erschließung der Bibliothek einnehmen. Mit 5500 Quadratmetern Grundfläche ist sie nicht eben üppig bemessen; nur ging mehr nicht in die vorgegebene Kubatur des Gebäudes hinein, und Platz für Lesesaal und Veranstaltungsraum musste auch noch bleiben.

Dann also der Konzertsaal, das Herzstück des Hauses. Die annähernd achteckige Grundform mit Parkettbestuhlung wird durch zwei aus gegeneinander versetzten Segmenten gebildeten Rängen zum „Weinberg“ veredelt, wie nahezu jeder Konzertsaalneubau in Anlehnung an Scharouns Berliner Geniestreich bezeichnet wird. Allerdings ist das Dresdner Exemplar streng symmetrisch – wie zur Betonung thront mittig und hoch droben die Saalorgel – und belässt das Orchester auf einer (variablen) Bühne, statt es annähernd in die Mitte zu rücken. Da kommt der Kompromiss zum Tragen, dass der Saal auch für andere Ereignisse als philharmonische Konzerte genutzt werden und verwandlungsfähig bleiben soll.

Die 1750 Sitze sind in jenem warmen Rotton bespannt, der auch die – allerdings melierten – Teppichböden der Foyers kennzeichnet, was mit dem hellen Holzton von Gestühl, Treppen und Wandverkleidungen eine wohnliche Stimmung unter der weißen, vielfach gefalteten Akustikdecke erzeugt. Einst wurde der Vorgängersaal, der bis zu 2700 Sitze aufwies und frontal auf eine breite Bühne ausgerichtet war, bei politischen Anlässen mit dem DDR-Staatsemblem geschmückt – das fand naturgemäß keine Wiederverwendung, sondern ist jetzt im Stadtmuseum zu sehen. Das in der Nähe gelegene Haus widmet dem Kulturpalast eine wunderbare Ausstellung zu dessen Geschichte, halb Betrachtung der DDR-Moderne in der Architektur, halb Sammlung von Memorabilia. Diese Ausstellung muss man gesehen haben, um das Wort zu verstehen, die Dresdner liebten ihren Kulturpalast – und keinen falschen Zungenschlag darin zu finden. Bernhard Schulz

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