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Judith Engel (M.), Constanze Becker (r.) und Performer des Ensembles Dance On.
©  Berliner Ensemble/Armin Smailovic

Premiere Berliner Ensemble: Schweigen im Tannenwald

Vom Tod erzählen: Ersan Mondtag inszeniert „Die letzte Station“ am Berliner Ensemble.

Liefert die Weihnachtsgeschichte Stoff für einen Zombiefilm? Sie beginnt mit einem Stern. Und sie endet „mit einem Untoten“. Diese unselige und wenig festlich stimmende Deutung jedenfalls rotzt Constanze Becker in einem großen Schlussmonolog ins Publikum („Also betet, ihr Säue, betet und singt“). Nicht gerade die christlichste Perspektive. Aber stimmt natürlich. Der Wiederauferstehung wohnt ein Grusel inne.

Der Regisseur Ersan Mondtag hat seit je ein Faible für den Horror. Seine Waldhüttenmär „Tyrannis“ zum Beispiel war eine einzige beklemmende Folge von referenzreichen Albtraum-Momenten. In „Die Vernichtung“ wiederum ließ er Paradies und Hölle so ununterscheidbar und bildstark ineinanderfallen, dass es einen auch frösteln konnte. „Horrorfilme“, hat der große Filmemacher David Cronenberg mal gesagt, „sind eine Meditation über den Tod.“ Vor diesem Hintergrund erscheint es nur konsequent, dass Mondtag – gern als „Shootingstar“ des deutschen Theaterbetriebs gehandelt – nun zum Kern aller Furcht vordringt.

Alter, Demenz, Tod sind die Themen seines Abends „Die letzte Station“. Der ist in Kooperation mit dem Ensemble entstanden und hat eine Recherche-Vorgeschichte. Die Theaterleute waren in einer Einrichtung für Demenzkranke unterwegs, in einer Seniorenresidenz, in einem Hospiz. Überall dort eben, wo sich das Sterben vollzieht, nicht selten in knochenbrechender Einsamkeit.

Abschied, Übergang, letzte Reise - wie vom Tod erzählen?

Clara Topic-Matutin, die als künstlerische Beraterin des Projekts geführt wird, schreibt im Programm über die Begegnung mit demenzkranken Alten: „Es ist eine unverstellte Direktheit und Offenheit, die diese Menschen (aus)zeichnet.“ Das mag sein, es klingt auch schön, blendet aber den Körper aus. Den Verfall, der zurückschrecken lässt. Im Stück spricht Constanze Becker einmal in Richtung ihrer verstorbenen Mutter: „Deine Gestalt sackte immer mehr in sich zusammen. Ich ekelte mich vor deinem Geruch, den schwarzen Flecken auf deinen Handrücken und deinem Blick.“ Das hört sich schon wahrhaftiger an.

Wie vom Tod erzählen? Das bleibt die große Frage. Der Bühnenbildner Stefan Britze hat für die „Letzte Station“ eine offene Holzhütte mit krippenartigem Stall und einen Tannenwald ins Kleine Haus des Berliner Ensembles gestellt. Vor dem Haus sitzt Judith Engel eingangs allein und schweigend im roten Dämmerlicht. Constanze Becker, im Nachthemd und mit Koffer, trippelt herein, will in den Wald, verharrt angstvoll und kann nicht mehr. „Sie müssen da aber durch. Sonst kommen Sie nicht weiter“, sagt Engel.

Abschied, Übergang, letzte Reise. Ein starker Moment. Ersan Mondtag beweist mal wieder, dass er Romantiker ist. Nicht im verkitschten Sinne, sondern wegen seines Hangs zur Nachtseite, auch zum Märchen- und Mythenhaften. Der Wald war ja schon bei den Brüdern Grimm ein seltsam sehnsuchtsgeladener Todesort.

Aus den Tannen hervor schälen sich Performerinnen und Performer des Ensembles „Dance On“. Eine großartige Truppe, die der allgegenwärtigen Jugendlichkeit des zeitgenössischen Tanzes mit Körpern begegnet, die aus der Norm fallen, Eigenarten haben dürfen. Ihre entrückten Choreografien, ihr klarer Gesang schaffen die schönsten Szenen dieses Abends. Der findet ansonsten leider selten zu sich.

Hilflos zwischen Parodie und Ernst

Es kommt ja häufiger vor, dass Theatermacher, die im prallen Leben stehen, sich mit dem Tod beschäftigen. Die Performancegruppe Gob Squad hat daraus mit Kindern und Jugendlichen das tolle Leben-im-Schnelldurchlauf-Stück „Before your very eyes“ entwickelt. Rimini Protokoll haben sich vor vielen Jahren in „Deadline“ Experten des Endes auf die Bühne geholt, vom Discountbestatter bis zur Krankenschwester. Noch heute klingt deren Erzählung im Ohr, dass kurz vor dem letzten Atemzug alle nach ihrer Mutter rufen. Die Regisseurin Susanne Kennedy beschreibt das Leben gern als eine einzige Vorbereitung aufs Sterben und bevölkert ihr Theater mit Scheintoten. Aber das alles bleibt in hohem Maße Theorie, zum Glück für die Künstlerinnen und Künstler. In „Idomeneus“, der letzten Arbeit von Jürgen Gosch, in den Abschiedsinszenierungen des krebskranken Christoph Schlingensief, hatte der Tod eine Dringlichkeit, die in vielerlei Hinsicht unvergesslich bleibt.

Mondtags „Letzte Station“ besitzt wenig davon. Was mit der Weihnachtsgeschichte beginnt und endet, läuft dazwischen allzu oft leer. Auch wenn der Regisseur sich von der radikalen Künstlichkeit vorangegangener Abende löst, um zu einer anderen Direktheit der Erzählung zu finden, fehlt diesem Ensembleprojekt doch der Kern. Parodie und Ernst wechseln ziemlich wahllos. Nur Fragmente von Geschichten wehen aus dem Tannenwald. Die vom Kennenlernen und Sichverlieren eines Ehepaars, Karl und Hannah. Die vom Tod eines Kindes, die Constanze Becker mit einem markerschütternden Schrei beendet. Immerhin, der Text hat seine leuchtenden Momente. Etwa, wenn Judith Engel mit ruhiger Abgeklärtheit bilanziert: „Sie wurden in die Windel geboren und gehen in die Windel zurück, nur ohne den liebevollen und besorgten Blick einer Mutter.“ Da blitzt der wahre Horror einer Existenz auf. Und für den braucht es keine Zombies.

Wieder am 17., 19., 20., 21., 28., 29. sowie 31. Dezember, Berliner Ensemble, Kleines Haus

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