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Knutschattacken. Lea Draeger und Sonnyboy Jonas Dassler.
© Ute Langkafel

Premiere am Gorki Theater: Dunkle Energien in der Uckermark

Alltägliche Beziehungsniederungen: Yael Ronens „A Walk on the Dark Side“ am Maxim Gorki Theater über einen höllischen Wochenendausflug.

Der Naturwissenschaftler Immanuel neigt zu grantig-egomanischen Aussetzern. Und seine Frau Mania kontert diese sozialdefizitären Auffälligkeiten mit derart bösartigen Pointen, dass man befürchten muss, sie munitioniere sich allabendlich mit sämtlichen Ehehöllenklassikern der Weltliteratur. Kein schöner Anblick, diese Fleisch gewordene Beziehungsdepression. Auch Immanuels Bruder Mathias laboriert an einem Partnerschaftsproblem. Er hat soeben seine Freundin Magda aus der Psychiatrie abgeholt, wo sie nach einem Suizidversuch wochenlang aus beschäftigungstherapeutischen Gründen Körbe flocht. Jetzt muss er zur Stimmungsaufhellung stereotypenverdächtige Sexrollenspielchen mit ihr veranstalten. Auch kein leichter Job.

Rein dramaturgisch betrachtet könnte das geballte Neurosenpotenzial also wirklich kaum aussichtsreicher sein, das in Yael Ronens „Walk on the Dark Side“ im Berliner Maxim Gorki Theater am Start ist. Und zwar, ganz konkret, zum Wochenendausflug in die Uckermark. Immanuel, die vergnatzte Naturwissenschaftskoryphäe, die von Dimitrij Schaad mit formvollendeter Stinkstiefeligkeit an die Rampe geätzt wird, ist von seiner Frau mehr oder weniger genötigt worden, dort mit der Restfamilie seinen frisch errungenen Nobelpreis zu feiern.

Und das auch noch ohne seinen geliebten Sohn. Den hat Mania, deren pointengestähltes Nervenkostüm in der Darstellung von Orit Nahmias schnell angemessen grobe Risse aufweist, aus pädagogischen Gründen zu Hause gelassen. Das hochbegabte Kind hatte – nichts als löbliche Wissenschaftsneugier, wie der stolze Vater meint – kürzlich den Bauch der Nachbarskatze aufgeschnitten, die bei dieser martialischen Operation freilich ihr fideles Leben ließ.

Der Urknall für Dreijährige

Anders als Abende wie „The Situation“ über den Nahostkonflikt oder „Common Ground“ über die Ex-Jugoslawien-Kriege lebt Yael Ronens aktuelle Produktion nicht vordergründig von den Biografien und Herkünften der Akteure. „A Walk on the Dark Side“ ist – wiewohl auch diesmal zusammen mit den beteiligten Darstellern entwickelt – vielmehr ein well made play über alltägliche Beziehungsniederungen. Allerdings mit deutlicher Überbau-Ansage.

Zu Beginn dozieren sich Schaads zugeknöpft-bebrillter Immanuel und sein kleiner Hipster-Wissenschaftler-Bruder Mathias, der den Urknall auf seinem YouTube-Kanal notfalls sogar Dreijährigen nahebringen kann, buchstäblich durchs Universum. Denn Ronens Gebrüder begegnen sich gewissermaßen als personifizierte Astrophysik-Kategorien: Der buchstäblich asoziale Immanuel tritt als „dunkle Materie“ gegen die vitale „dunkle Energie“ des Sunnyboys Mathias an, der von Jonas Dassler trefflich an die Rampe gegrinst wird.

Und dann gibt es natürlich noch das berühmte schwarze Loch. „Eigentlich ungefährlich“, verkündet Immanuel mit Angeber-Experten-Aura. „Es zerfetzt und frisst dich nur dann, wenn es dir nahesteht.“ Und wie sollte es das nicht in einer ordentlichen Paar- und Familienhölle? Die uckermärkische Sprengkraft, die durch das Aufkreuzen des dritten Bruders David aus Israel entsprechend potenziert wird, lässt an Zerfetzungsenergie nichts zu wünschen übrig. Auch wenn David – wie der Rest der Wochenendbelegschaft – sein Destruktionspotenzial in Jeff Wilbuschs Darstellung zunächst dramaturgisch klug unter dem Deckel hält.

Ein solide-gruseliger Familienclinch

„A Walk on the Dark Side“ ist ein durchaus unterhaltsamer Abend. Vor allem, wenn Schaad und Dassler ihr verbissenes Brüderduell in einem hochnotkomischen Zeitlupen-Tennismatch austragen. Oder wenn Lea Draeger als psychisch labile Magda ihren Geliebten mit den möglicherweise grobmotorischsten Knutschattacken überfällt, die je auf einer Bühne zu sehen waren. Und wenn Orit Nahmias’ Mania ihren trockenen Humor in wechselnden Heul- und Lachkrämpfen aufweicht.

Auf Magda Willis Gerüst-Bühne spielt sich ein solide gruseliger Familienclinch ab, der durch Benjamin Kriegs gelegentliche Video-Autobahnbilder in Richtung David Lynch äugt. Die gewaltigen Universumsdimensionen, die Titel und Materientheorie andeuten, bleiben eher nett-lustiger Behauptungsüberbau. Die uckermärkischen Sprengkräfte, Zankäpfel, dunklen Energien und Geheimnisse, die hier nach und nach enthüllungsdramaturgisch zutage treten, sind durchaus bewährt-irdischer Natur: Jede und jeder hat – so viel steht fest – mindestens eine dunkle Seite. Voilà.

Wieder am: 1.5, 4.5 und 14. 5.

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