Berliner Philharmoniker: Auf dem Gipfel singt die Oboe
Zwei sind nicht genug: Die Berliner Philharmoniker gehen in die Vollen, mit orchestrierten Liedern von Schubert und Strauss’ „Alpensinfonie“.
Remixe gab es lange, bevor es Pop gab. Das Bedürfnis, bestimmte Musik anzureichern, Beats zu unterlegen, sie tanzbarer zu machen – es hat auch Komponisten im 19. Jahrhundert umgetrieben, vor allem, wenn sie sich mit so fragilen Gebilden wie den Liedern Franz Schuberts auseinandergesetzt haben. Ein Klavier und eine Stimme, diese Grundkonstellation hat nicht nur Max Reger als ungenügend empfunden. Auch Hector Berlioz oder Johannes Brahms fertigten Orchesterfassungen von Schuberts Liedern an – und ebneten ihnen damit nicht selten erst den Weg zum großen Publikum.
Die Berliner Philharmoniker haben jetzt Gerald Finley eingeladen, um fünf dieser Lieder in der Philharmonie zu singen. Der kanadische Bassbariton hinterlässt dabei einen zwiespältigen Eindruck. Sein schönes dunkelbraunes Timbre, seine majestätische Bruststimme kommen gleich im ersten Lied „Prometheus“ – auf Goethe, orchestriert von Reger – am besten zur Geltung. Vor allem kann Finley hier souverän inmitten der geballten Orchesterwucht bestehen, als ebenbürtiges Instrument unter vielen – sicher auch ein Verdienst von Daniel Harding, der am Pult die Dynamik der Philharmoniker klug zu deckeln weiß.
Leider verwischt sich das später, Finley hat zunehmend Mühe, sich zu behaupten. Schade auch, dass er im von Berlioz orchestrierten „Erlkönig“ nur wenig Akzente setzt, die Stimmen von Vater, Sohn und Erlkönig klingen fast gleich, das dramatische Potenzial dieses kleinen Schauerstücks, das etwa Dietrich Fischer-Dieskau so unnachahmlich für seine Interpretation zu nutzen wusste, wird verschenkt. Dass die folgenden Lieder – „Memnon“ und „An Schwager Kronos“ – von Brahms orchestriert wurden, merkt man schnell. Während Reger und Berlioz vor allem die Streicher zu Wort kommen lassen, setzt Brahms von Anfang an auch auf die Bläser. Seine Bearbeitungen sind am theatralischsten gedacht, obwohl oder gerade weil Brahms nie eine Oper schrieb. Die Bühne blieb ihm zeitlebens fremd.
Ein beeindruckend vollsatter Klang
Auch Schubert hatte mit ihr wenig Glück. Sein szenisches Oratorium „Lazarus“ etwa blieb unvollendet. Die Philharmoniker spielen daraus Rezitativ und Arie des Simon. Nach den kurzen Liedhäppchen erklingt jetzt erstmals an diesem Abend zehn Minuten ununterbrochen Musik. Und erst jetzt scheint auch das Publikum langsam auf Betriebstemperatur zu kommen. Finley kann hier noch mal glänzen, mit schaurig-schwarzen Tiefen und leuchtenden Höhen. Trotzdem: Die Dramaturgie dieser ersten Konzerthälfte lässt Wünsche offen.
Richard Strauss’ „Alpensinfonie“ nach der Pause dagegen nicht. Vielleicht ist es 103 Jahre nach der Uraufführung auch wirklich Zeit, Frieden zu schließen mit dieser so oft verspotteten Programmmusik und sich einfach über die fantastischen musikalischen Einfälle zu freuen. Aus dem Urgrund der Streicher-Sekundreibungen erhebt sich zu gleißenden Bläsern die Sonne – und das Motiv des Wanderers. Daniel Hardings Gestik ist unauffällig, fast brav. Das verleitet dazu, die Subtilität und den Detailreichtum, der in ihr steckt, zu übersehen. Er entlockt den Philharmonikern einen beeindruckenden, vollsatten Klang, eine tönend, trotzdem fein strukturierte Klangmasse.
Dazu die Kuhglocken, die Strauss nicht ironisch einsetzt wie Mahler. Auf dem Gipfel: das einsame Oboensolo. Dann das von der Windmaschine unterstrichene Unwetter, der Zorn der Natur, dem die Orgel eine Art von höherer Grimmigkeit verleiht, bevor alles in erleichterten Lyrizismen weiterfließt. Mit der „Alpensinfonie“ hat Strauss seine eigene Pastorale geschaffen. Sie ist Ausdruck einer nahezu buddhistischen Lebensweisheit, dass nichts komplett ist ohne sein Gegenteil, der Aufstieg nicht ohne den Abstieg. Dass der Wanderer schließlich nicht beseelt, sondern ausgemergelt, ernüchtert, in Stille und Dunkelheit zu Hause ankommt – das wird bei Harding und den Philharmonikern mit fahlem Strich und verebbendem Pianissimo ganz deutlich. Leider würgt Harding den letzten Ton ab, lässt ihn nicht ausschwingen, sonst würde dieser Trip sogar noch länger nachhallen.
noch einmal an diesem Samstag, 3. März, 19 Uhr, Philharmonie