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Silberschopf im Mittelpunkt. Simon Rattle dirigiert die szenische Einrichtung von Peter Sellars, mit Paulina Malefane als Försterin, Lucy Crowe als Füchsin, Burkhard Ulrich als Schulmeister und Anna Lapkovskaja als Dackel.
© Monika Ritterhaus

Rattle dirigiert Oper in der Philharmonie: In Mährens Wald und Flur

Die Berliner Philharmoniker mit Janáceks „Das schlaue Füchslein“ konzertant in der Philharmonie – mit Szenen von Peter Sellars und einem leidenschaftlichen Simon Rattle am Pult.

Man kann Simon Rattle keineswegs vorwerfen, dass er sich in seiner Zeit als Philharmoniker-Chef immer nur dem gewidmet hat, was ihm unmittelbar Spaß bereitet. Der Maestro, der nach dieser Saison scheidet, hat viele Werke deshalb auf den Spielplan gesetzt, weil er wusste, dass das Orchester sie braucht. Auch dann, wenn ihn das sichtbar Kraft gekostet hat. Nun, nachdem die Weichen für die Zukunft der Philharmoniker gestellt sind, erlaubt sich Rattle ein vielfaches Lust-Programm zum Abschied: das Wiederhören mit Lieblingswerken, Wiederbegegnungen mit geschätzten Weggefährten sowie Projekte, die er so in Berlin noch nicht präsentieren konnte.

Auf den Herbst seiner Philharmoniker-Beziehung wirft Rattle dabei einen durchaus ironischen Blick – aktuell in der Philharmonie mit seinem Herzenskomponisten Leos Janácek und dessen Oper „Das schlaue Füchslein“. Der amerikanische Regisseur Peter Sellars, Rattles guter Hausgeist für szenisches Ausagieren im Scharoun-Bau, ist abermals mit von der Partie. Er lässt vor allen Dingen weg: keine Tiermasken, kein Wald, keine Requisiten, nur ein kleines Podest auf dem Podium, unter das man zur Not auch kriechen kann wie in einen Dachs- oder Fuchsbau. Dazu ein paar verteilte Flachbildschirme, auf denen die Natur quasi dazugeschaltet wird, wenn sich Kaulquappen im Zeitraffer rasend schnell entwickeln, Mückenschwärme im Abendlicht tanzen oder Herbststürme in die Baumkronen greifen.

Eine Umarmung, aus der zu erwachen unmöglich scheint

Während die Musikerinnen und Musiker in sanft goldene Lichtsphären getaucht werden, steht ein Mann immer auf der Spielfläche und dirigiert in alle Richtungen: Sellars hat Rattles leuchtenden Silberschopf zum optischen Zentrum dieses Opernabends gemacht. Und er gibt damit die Blickrichtung vor, in der das traumhafte Ineinander von Menschen- und Tierwelt zwischen dem mährischen Wald, der Försterei am See und der nahen Gaststätte zu lesen wäre. Rattle steht dort für Janácek, der auf die 70 zuschritt, als er sein Musiktheater über sehnsüchtige ältere Männer, selbstbestimmte junge Frauen und das alle menschlichen Verwirrungen überwölbende Werden und Vergehen der Natur komponierte. Rattle hält sich hin für das große Liebesglühen, mit dem Janácek sich auf in den Wald macht. Und Sellars liefert dazu schon zu Beginn das Bild vom Förster, der eine junge Füchsin fängt, um gleich darauf einvernehmlich in inniger Umarmung mit einer jungen Frau zu versinken. Daraus zu erwachen, scheint unmöglich. Zumindest wider alle Natur.

So kommt das Füchslein unter die Menschen, erwehrt sich der Zudringlichkeiten eines ausgebufften Dackels, versucht die Hühner zum Streik gegen den Hahn zu bewegen und übernimmt die Erlösung vom Tyrannen dann gleich selbst. Lucy Crowes Stimme bewegt sich dabei ebenso geschmeidig wie ihr Körper, Gerald Finley als Förster gerät wie unter einen Bann – eine imposante Erscheinung noch immer, aber ausgehöhlt von einem Verlangen wie ein Baum, der jäh niederbrechen kann inmitten des Sturms.

Die Philharmoniker spielen herrlich mürbe

Alle Männer schwanken, der verliebte Schulmeister (schön begriffsstutzig: Burkhard Ulrich), der vergessliche Pfarrer (berührend in bockbeiniger Einsamkeit: Willard White), der prahlende Wilderer (orientierungslos kernig: Hanno Müller-Brachmann). Ihre Bewegungen gleichen denen von Greisen, wäre da nicht diese Musik, diese alles durchglühende Erregung, die vom Leben noch immer ausgeht, auch wenn es nicht mehr recht mit den eigenen Händen zu packen ist. Rattle spürt diese Differenz, diese Trauer auf, aber er ergibt sich ihr nicht. Sein Rhythmus bleibt hellwach und unstet, während selbst sommerliche Nächte einen herbstlichen Schmelz übergezogen bekommen. Die Philharmoniker spielen herrlich mürbe, mit einer vergänglichen Pracht, die doch zugleich unerschöpflich scheint. Das zutiefst Sterbliche und das Ewige umarmen einander wie die Liebenden des Waldes.

Musikalisch entfaltet sich das überaus stimmig, auch wenn Rattle manchmal beinahe mit zu viel drängender Leidenschaft dabei ist und zwischendurch ein bisschen weniger Dampf denkbar wäre. Doch wenn man so in den Mittelpunkt gestellt wird und dort das tut, wozu man Lust hat, fällt das selbst einem gereiften Maestro nicht leicht. Janácek hätte dafür volles Verständnis gehabt, seine Musik spricht durch Rattle zu einem hellauf begeisterten Publikum, ohne dabei ihre Eigenheiten einzubüßen.

Vor diesem Hintergrund fällt es glücklicherweise weniger auf, dass der viel beschäftigte Peter Sellars diesmal nicht allzu viel zum szenischen Gelingen beitragen kann. Seine Bildschirmbilder bilden keine eigene Erzählebene heraus, seine Ensembles wackeln mit amateurhaftem Charme. Das liegt auch daran, dass Kindersolisten – darunter auch philharmonischer Nachwuchs – und das Vokalhelden-Projekt der Philharmoniker eingebunden werden sollten. Ein schönes Zeichen, das aber auch ein Fremdkörper bleibt in einem Abend, der doch eine dezidiert erwachsene Sicht auf „Das schlaue Füchslein“ wirft.

Noch einmal an diesem Samstag um 19 Uhr, Restkarten. Aktuelle Meldung der Philharmoniker: Lang Lang muss auf Anraten seiner Ärzte seine Konzerte in Berlin und auf der kommenden Asien-Tournee des Orchesters absagen. Seong-Jin Chon und Yuja Wang werden ihn vertreten.

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