Kabarettistischer Jahresrückblick: Auch Schwalben leiden unter Flugscham
Merkel, AKK und die arme SPD: der Kabarettistische Jahresrückblick 2019 im Mehringhoftheater bleibt innenpolitisch.
Das ist schon mal eine gute Nachricht. Es geht auch ohne ihn. Trump lässt sich diesmal nicht blicken, und auch die anderen Polit-Rüpel, die in diesem Jahr die Welt in Atem hielten, kreuzen nicht auf. Beim Kabarettistischen Jahresrückblick im Mehringhoftheater bleiben die deutschen Politiker diesmal unter sich.
Für internationales Flair sorgt allein die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die noch ganz berauscht ist von ihrem „Green Deal“ und von sich selbst. Hannes Heesch spielt sie mit weißem Blazer, blonder Helmfrisur und Dauerlächeln. Glaubt man ihren Ausführungen, dann wurde ihr der Job als EU-Chefin gewissermaßen in die Wiege gelegt.
Wenn sie ihren politischen Werdegang Revue passieren lässt, macht sie auf ihre zahlreichen Talente aufmerksam: sie lässt en passant ein paar Brocken Französisch einfließen, wechselt dann ins Oxford-Englisch. Und wenn sie demnächst mal nicht schlafen kann, werde sie Schwedisch lernen und Ungarisch.
Auch ihre Verdienste als siebenfache Mutter hebt sie hervor. Am Ende ihrer Rede droht sie noch damit, die EU künftig so führen zu wollen wie ihre Familie.
AKK hält eine Büttenrede
Angela Merkel führt in Gestalt von Christoph Jungmann wieder durch den Abend, das hat ja Tradition. Sie knöpft sich erst mal Annegret-Kramp-Karrenbauer (auch von Heesch verkörpert) vor. AKK hat sich nämlich vorgedrängelt und hält zu Beginn eine Büttenrede.
Damit knüpft sie an ihren Aufritt beim Stockacher Narrengericht an, bei dem sie mit Witzen über Toiletten für das dritte Geschlecht für empörte Reaktionen sorgte.
Kabarett oder Kabinett? Merkel ist gar nicht amüsiert über das närrische Treiben ihrer Nachfolgerin und weist sie erst mal an, die rote Baskenmütze abzunehmen.
Es ist ein herrlicher Zickenkrieg, den sich Jungmann und Heesch liefern. AKK fragt Merkel sichtlich beleidigt, warum diese sie nicht mit zum Nato-Gipfel nach London genommen habe. „Du hattest doch Adventssingen“, kontert die Kanzlerin.
Das Jahresendzeitteam – Bov Bjerg, Horst Evers, Hannes Heesch, Manfred Maurenbrecher und Christoph Jungmann – blickt auch in seiner 22. Ausgabe auf ein Jahr des politischen Dauerstreits zurück.
Wenn bei GroKo die rote Sonne im Meer versinkt
Neben der CDU-Chaostruppe bekommen die Sozialdemokraten, die sich in einem anhaltenden Sinkflug befinden, ihr Fett ab. Die Wahl der neuen Doppelspitze kommentieren die famosen Fünf mit einen Song zur Melodie von „Caprifischer“.
„Wenn bei GroKo die rote Sonne im Meer versinkt / und Andrea die Nahles traurig zum Abschied winkt / fährt die Basis in ihren Urnen zur Wahl hinaus / und sie werfen in hohem Bogen Scholz Olaf raus.“ So schön kann Untergang klingen.
Bov Bjerg mokiert sich über das Tempo der journalistischen Nachrichtenverarbeitung. Und schwingt sich später als Nationaltrainer Jogi Löw zu einer Rechtfertigungsrede auf. Die Vergabe der Fußball-WM an Katar sei auf genau so legale Weise geschehen wie bei der WM 2006 nach Deutschland.
Die Kritiker, die über die extremen Bedingungen bei der Leichtathletik-WM in Doha berichteten, belehrt er. Ein Land zu kritisieren, das auf eine andere Temperaturtradition zurückblicke, zeuge von Eurozentrismus. Außerdem sei doch kein Sportler ernsthaft zu Schaden gekommen.
Wegen der großzügigen Spenden an die Al-Shabaab-Milizen, die Muslimbruderschaft und den IS sei Katar doch ein sehr sicheres Land, wenn es um den islamistischen Terror geht.
Daten über Horst Evers? Zu langweilig für den Algorithmus
Horst Evers steuert eine absurde Geschichte über die Macht der Internetkonzerne bei und schildert einen Anruf von Google. Das selbstlernende Sprachprogramm teilt ihm mit, dass die Algorithmen sich weigern, weiter Daten über sein Leben zu sammeln – zu langweilig.
Aber die Datensammelwut ist natürlich nicht beendet. Evers malt sich aus, wie wohl nach der Abschaffung der TAN-Liste aus Papier beim Online-Banking eine zukünftige 17-Faktoren-Authentifizierung aussehen könnte. Da könnte auch das Fitness-Armband biometrische Daten beisteuern.
Der Nutzer hätte in der Zukunft erst dann Zugriff auf sein Konto, wenn er sein sportliches Pensum ordentlich absolviert hat.
Manfred Maurenbrecher spinnt sich in seinem Song „Und auf einmal geht’s“ eine klimafreundliche Gesellschaft aus. Eine Verneigung des Liedermachers und Moralisten vor Greta Thunberg. Mit gewohnter Schärfe besingt er dann später den Rechtsruck in der Mitte der Gesellschaft.
[Vorstellungen bis 29.12. im Mehringhoftheater, 30./31.12. und 2. bis 5.1.20 im Schiller Theater.]
Witze zum Berliner Flugverkehr
Merkel lässt aufhorchen mit der Ankündigung, sie denke darüber nach, ihre Memoiren zu schreiben. Die Auszüge, die Christoph Jungmann vorliest, belegen, wie raffiniert die Frau aus dem Osten ihren Aufstieg geplant hat. All die „einsilbigen Alphamännchen“ – sie denkt dabei nicht nur an Merz – seien ihr in die Falle gegangen.
Die Klimakrise war auch beim Jahresrückblick das dominierende Thema. Dass auch Vögel heute unter Flugscham leiden, konstatieren die Fünf in dem Song „Fliege los, kleine Schwalbe“. Der mündet in der Zeile: „Ein Langstreckenflug im Jahr ist doch völlig okay.“
Mit einer gewissen Skepsis blicken sie der geplanten Eröffnung des Flughafen BER am 31. Oktober entgegen. Es bleibe die Frage: "Betrifft die Eröffnung auch den Flugverkehr?"