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Der Alptraum als Dauerzustand. Asli Erdogan in Istanbul.
© Ozan Kose/AFP

Asli Erdogans Roman "Das Haus aus Stein": Angst ist ein spitzer Knochen

Asli Erdogans Gefängnisroman „Das Haus aus Stein“ von 2009 erscheint auf Deutsch. Wegen Kritik am türkischen Präsidenten saß die Autorin 2016 selbst in Haft.

Ist Schreiben „nicht die Kunst, in der Glut zu rühren, ohne sich dabei die Finger zu verbrennen?“. So fragt die 1967 in Istanbul geborene Schriftstellerin Asli Erdogan an einer Stelle ihres Gefängnis-Buches „Das Haus aus Stein“ (Asli Erdogan: Das Haus aus Stein. Roman. Aus dem Türkischen von Gerhard Meier. Penguin Verlag, München 2019. 122 Seiten, 15 €..) In ihrem Fall muss man die Frage verneinen. Diese Autorin hält die Glut fest umschlossen in der Hand, strategische Schmerzvermeidung ist nicht ihre Sache.

„Der Mensch muss mit dem Körper schreiben, dem nackten schutzlosen Körper“ – so formuliert sie ihre Poetologie. Endlose Qual, äußerste Verzweiflung, bodenloser Abgrund, das ist die dunkle Melodie ihres Schreibens. Ihr deutscher Verlag gibt noch eine Extraportion Pathos hinzu, wenn er im Klappentext und in der Nachbemerkung das Martyrium zum literarischen Gütesiegel erhebt. Und dem im Original 2009 erschienen Werk prophetische Kraft zuschreibt: Die Autorin habe im „Haus aus Stein“ ihre eigene Hafterfahrung „vorweggenommen“.

Asli Erdogan ist zur Stimme der Opfer, der willkürlich Verhafteten in der Türkei geworden. Sie hat den Staat ihres Namensvetters Recep Tayyip Erdogan als „ausgewachsene Diktatur“ kritisiert und selbst deren Zugriff zu spüren bekommen: Im August 2016 wurde sie im Zuge der Verhaftungswelle nach dem gescheiterten Militärputsch festgenommen. Wegen ihrer Mitarbeit für eine prokurdische Tageszeitung beschuldigte die Staatsanwaltschaft Erdogan der „Volksverhetzung“ und der „Propaganda für eine illegale Organisation“ und forderte lebenslange Haft; noch ist der Prozess nicht beendet. Aufgrund von internationalen Protesten wurde die Autorin nach viereinhalb Monaten Haft jedoch freigelassen; inzwischen lebt sie im Exil in Frankfurt.

Der „Stein“ ist eine Chiffre für die Härte des Lebens, für die Gefangenschaft hinter dicken Mauern, für das Verstummen und die Gewalt. Der Stein zerschmettert menschliche Glieder. Reales Vorbild für das Haus aus Stein ist ein fünfstöckiges, palastartiges Gebäude in Istanbul, das nach seinem Erbauer im 19. Jahrhundert Sansaryan Han genannt wird. Später wurde es von der Sicherheitspolizei übernommen und als Folterzentrum berüchtigt. Diesem erst 1990 geschlossenen Labyrinth des Schreckens, in dem auch der türkische Dichter Nâzim Hikmet gefoltert wurde, ist der Text gewidmet.2016 selbst

Glauben an den Sinn des Schreibens

Mit expressionistischer Kraft beschreibt die Ich-Erzählerin die verstörende Erfahrung, die Nächte in der engen Zelle mit der urinfleckigen Matratze zu verbringen, während die Geräusche im Hintergrund an den Horror eines Psychothrillers denken lassen: „Da knallen Absätze, Türen werden zugeschlagen, irgendwo klingelt lange ein Telefon, doch niemand hebt ab. Ein Schrei ertönt, verkümmert zu einem Wimmern, erklingt erneut … Schwillt an wie eine Lawine, lässt dich an die Wand zurückweichen, in tiefste Dunkelheit.“ Dieser Schrei gellt durch das ganze Buch. Die Szene wird dreißig Seiten später noch einmal variiert, wie überhaupt Wiederholungen auch längerer Passagen den Text kennzeichnen. Dadurch wird sein lyrischer Charakter verstärkt, so wird er zum dunklen Gesang. Es geht nicht um einen äußerlichen Realismus des Gefängnisalltags, sondern um dessen Verheerungen in der Seele: die Zerstörung der Identität, des Gedächtnisses und des Zeitempfindens.

Bewusst enthalte ihr Buch den Lesern „handzahme, zur Identifizierung einladende Charaktere“ sowie den „Trost des erzählerischen Zusammenhangs“ vor, schreibt Asli Erdogan im Vorwort. Diese Verweigerung des Erzählerischen kennt man von den Debatten um die Literatur des Holocaust. Aber bei allem „Unsagbaren“, das hier umkreist wird, gibt es bei Erdogan doch einen Glauben an den Sinn des Schreibens. Worte, heißt es, können „einen Stein in eine Melodie“ verwandeln. Und tatsächlich liest man hier viele Sätze, die in ihrer dunklen Musikalität an Verse Paul Celans erinnern.

In der gewollten Unschärfe der Beschreibung repräsentiert das „Haus aus Stein“ viele Orte, an denen Menschen inhaftiert und geschunden wurden. Der Besuch im Konzentrationslager Buchenwald im Jahr 2008, den die Autorin im Vorwort schildert, und die Lektüre von Jorge Semprun und anderen Klassikern aus der Bibliothek des Holocaust mag eine ebenso wichtige Inspiration gewesen sein wie die bedrückende Geschichte der polizeilichen Folter in der Türkei.

Die Konturen lösen sich auf

Die einzige Figur, die in diesem Schmerzensbuch halbwegs Umrisse bekommt, wird nur A. genannt. Es ist ein gebeugter Niemand, eine „fortgewischte“ Existenz, ein Ausgestoßener, ein psychisch Kranker mit seinem irren Lachen. Sein Gesicht ist von einer Narbe zerrissen, der Schädel eingedrückt. Er kauert verwahrlost im Dreck vor dem Haus aus Stein: ein ehemaliger Häftling, der selbst nach seiner Entlassung nicht loskommt vom Ort der Folterung. Schaurig hält er dem Gefängnis die Treue: „Alle Straßen gehören ihm, doch er geht nirgendwo hin. Verharrte schwankend vor dem Haus aus Stein, wie ein langsam auf und zu klappendes Augenlid.“ Auch von einem verlorenen geliebten Menschen ist immer wieder die Rede, einem „Engel mit gebrochenen Flügeln“. Ist er zu Tode geschunden worden? Oder verkörpert er gewissermaßen die Präexistenz von A.? Für beide Lesarten gibt es Anhaltspunkte. Die Konturen lösen sich in dieser Prosa auf wie in einem Albtraum, der zum realen Seinszustand geworden ist.

Zu konturenlos ist allerdings auch das Pathosvokabular. Zu oft ergeht sich die Autorin in Formulierungen und Begriffen, die extreme existenzielle Erfahrungen wuchten sollen, sich aber schnell abnutzen oder schematisch wirken: die Einsamkeit und das Nichts, das Dunkel und die Nacht. Zu oft werden Genitivmetaphern wie „die endlosen Strudel des Fürchterlichen“ bemüht.

Henker und Opfer umarmen sich

Bisweilen stürzen die Bilder geradezu übereinander und bringen sich gegenseitig um die Wirkung. Irritierend ist darüber hinaus die metaphysische Dimension des Textes. Jenseits des Schmerzes gibt es für Erdogan offenbar noch etwas anderes als das Nichts: „Dein Körper kann nicht mehr verletzt werden, er zittert wie ein gespannter Bogen, wartet an den Toren der Welt auf das letzte Exil … Schließlich wird die Nacht zu Ende gehen, und ein Morgen wird anbrechen, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat.“

Sind solche Passagen mehr als Trostfantasien des in die äußerste Verzweiflung getriebenen Menschen? Die messianischen Bezüge deuten darauf hin, dass das Martyrium des Körpers ein Erlösungsgeschehen in Gang setzen soll. Der Engel mit den gebrochenen Flügeln wird zur Christus-Gestalt, und auch der im Wahnsinn versunkene A. bekommt Erlöser-Attribute: „Wie ein mit den Sternen seiner eigenen Nacht gekrönter Gott nahm er die Mitschuld an der Existenz auf sich. Nahm sämtliche Lügen der Erde und des Himmels auf sich, alle Verbrechen und alle Schreie ...“

Solcher Mystik des Schmerzes lässt sich nur schwer folgen – selbst mit Respekt vor der Autorin, ihrem politischen Mut und ihrer Hafterfahrung. Und es ist schwarzer Kitsch, wenn sich an einer anderen Stelle Henker und Opfer umarmen und ihre „Tränen vermischen“. Dass Asli Erdogan viel bessere Prosa schreiben kann, zeigen die fünf Seiten, die lakonisch von der Verhaftung eines jugendlichen Taschendiebs erzählen. Vor allem zeigen es die einprägsamen Bilder des Seelenschmerzes und der Feindseligkeit der Welt: Bilder wie das „gehobelte Herz“ und das „splitternde Kopfkissen meiner Nacht“, wie die Wintersonne, die „am Horizont glänzt wie ein Beil“, oder wie die Angst, die als „langer, spitzer Knochen im Bewusstsein steckt“. Dieser Roman, eigentlich ein langes Gedicht in Prosa, hinterlässt zwiespältige Eindrücke.

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