Texte von Aslı Erdoğan: Das so dringend nötige Licht
Zwischen Hoffnung und Verzweiflung: In der „Fundstücke“-Kolumne geht es diesmal um Texte der türkischen Schriftstellerin Aslı Erdoğan.
Sie ist nicht mehr in Haft. Und fühlt sich doch wie in einer wirklich gewordenen Kafka-Geschichte, die mit dem Satz beginnen könnte: „Jemand musste Asli E. verleumdet haben, denn ohne dass sie etwas Böses getan hätte, wurde sie eines Morgens verhaftet.“
Asli E. ist die türkische Schriftstellerin Aslı Erdoğan. Sie war vor einem Jahr, im August 2016, nach dem gescheiterten Militärputsch im Zuge der an frühere diktatorische Zeiten erinnernden „Säuberungen“ zusammen mit 22 Mitarbeitern der kurdisch-türkischen Zeitung „Özgür Gündem“ (zu deutsch: „Freie Tagesordnung“) in Istanbul verhaftet worden. Nach 132 Tagen in einem Gefängnis, das so wenig wie das Verfahren den menschenrechtlichen Standards entsprach, ordnete ein Richter zu Prozessbeginn überraschend die Aussetzung der Haft an. Da war die 49-jährige Autorin schon schwer krank – noch heute sieht sie auf Fotos und nach eigenen Aussagen gezeichnet aus: von der Haft und Erniedrigung und der trotz aller internationalen Proteste anhaltenden Drohung einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe wegen angeblicher „Propaganda“ für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK.
Freiheit müsste hier eigentlich Unfreiheit heißen. Denn noch immer läuft Aslı Erdoğans Gerichtsprozess, mit fürchterlich ungewissem Ausgang. Auch in Kafkas „Prozess“, in dessen berühmtem ersten Satz wir oben den Namen ausgetauscht haben, bleibt der verhaftete Josef K. in scheinbarer Freiheit, während das Verfahren gegen ihn seinen Fortgang nimmt. Bis am Ende die Henker kommen. Das ist die fatale Absurdität jener anonymen absoluten Macht über den Einzelnen, mit der Kafka die Totalitarismen des 20. und jetzt 21. Jahrhunderts vorausgeahnt hat.
Erschütternde Essays, die in der Türkei verboten sind
Aslı Erdoğan darf ihr Land nicht verlassen. Also hat sie in Abwesenheit in diesem Jahr allein in Deutschland neben weiteren Auszeichnungen den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis und einen „Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien“ erhalten. Lesen kann man auf Deutsch ihre frühen Prosaskizzen mit dem Titel der „Der wundersame Mandarin“ von 1996 (nach mehreren Wechseln jetzt in der Edition Galata im Berliner Orlanda Verlag, 108 Seiten, 12, 50 €). Erdoğans namenloses Alter Ego streift da durchs nächtliche Genf, wo die studierte Physikerin einst am Forschungszentrum CERN gearbeitet hatte. Solche Wanderungen setzt die Autorin dann fort in ihrem ambitionierten Roman „Die Stadt mit der roten Pelerine“ aus dem Jahr 1998 (Unionsverlag Zürich, 205 Seiten, als Taschenbuch 20 €). Dieser spielt in Rio de Janeiro, wo Erdoğan gleichfalls gelebt hat. Der Glamour der Copa Cabana ist dort verflogen, das Elend der Favelas sinnlich erfahrbar, ein schwermütiges, poetisches Buch. Und beim Ende der Erzähl-Heldin erkennt man, dass die Autorin den „Prozess“ gelesen hat. Einst war es zuletzt der Anblick des Messers, jetzt ist es die Stille nach dem Schuss.
Schüsse fallen, in der Juni-Nacht des Militärputsches 2016, auch zu Beginn der jüngsten Essay-Sammlung „Nicht einmal das Schweigen gehört uns noch“ (Knaus Verlag, München 2016, 192 Seiten, 17,99 €). Es ist ein erschütterndes, in der Türkei verbotenes Buch, schnell und gut von mehreren Übersetzern ins Deutsche gebracht, mit einem informativen Vorwort des Grünen-Politikers Cem Özdemir. Trotz zahlreicher Anmerkungen fehlen leider nur die genauen Nachweise der wohl durchweg für die Zeitung „Özgür Gündem“ geschriebenen Stücke.
Mischung aus Reportage und Reflexion
Schöne, erschreckende Texte, die vom Leid der Kurden und aller Verfolgten erzählen, in einer Mischung aus Reportage und Reflexion, Essay und Dichtung. Dass Erdoğan dafür wie eine Schwerverbrecherin lebenslang büßen soll, ist das reale Verbrechen. Poesie und Wahrheit verwechseln die Handlanger ihres Namensvetters E. mit Propaganda und Lüge.
Manchmal droht die Autorin hierunter zu zerbrechen, denn „es ist nichts mehr da, was die Hoffnung noch von der Verzweiflung, die Angst noch von der Furchtlosigkeit, das Gestorbensein noch vom Nichtgestorbensein trennen würde“. Und doch steht am Ende jedes „verlorenen Tags“: „Licht. Erwachen ins Leben.“ Das muss man lesen.
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