First Steps Awards für Nachwuchsfilmer: Anders leben, woanders leben
Von Nomaden, Flüchtlingen und jodelnden Flamingos: Am Montag werden in Berlin die First Steps Awards für die besten Nachwuchsfilme vergeben. Wer wird in den jeweiligen Kategorien gewinnen?
Was nützt die Globalisierung, wenn man doch immer wieder an Grenzen stößt? Am Ende heißt die Erkenntnis: Die Welt steht längst nicht jedem offen. Einige der besten Filme, die in diesem Jahr für die First Steps Awards nominiert sind, erzählen von Nomaden der Gegenwart. Zum 15. Mal vergibt die Deutsche Filmakademie morgen Abend am Potsdamer Platz den Nachwuchspreis für Abschlussfilme deutschsprachiger Hochschulen.
In „Backpack“ von Thorsten Wenning macht sich der gescheiterte Referendar Daniel (Sebastian Urzendowsky) zu einer Asientour auf. Mit dem Motorrad will er durch Vietnam fahren, doch schon die erste Station im indonesischen Jakarta führt zur Ernüchterung. Das Gepäck geht verloren. Und der einzige Einheimische, den Daniel kennenlernt, klaut ihm das Geld. Nicht, ohne den abgebrochenen Ethik-Lehrer zuvor für seinen Unglauben bedauert zu haben („Everybody is religious here!“). Auch als Daniel sich in die Globetrotterin Clara (Henrike von Kuick) verliebt und ihr nach Bali folgt, wenden sich die Dinge nicht zum Besseren. Der Junge hat mehr Probleme, als in einen Rucksack passen.
„Backpack“ ist in gleich drei Kategorien nominiert. Als Langfilm. Für den neu geschaffenen Michael-Ballhaus-Kamerapreis. Und für den „No Fear“-Award, die Medaille für wagemutige Produzenten. Wennings Film ist unter widrigen Bedingungen entstanden, unter anderem brach kurzfristig eine Senderfinanzierung weg. Dennoch ist ein packend fiebriger, nur gelegentlich etwas holpriger Trip über einen Sinnsucher mit finsterer Psyche herausgekommen.
Der 17-jährige Mateo (Meteo Bautista Matias) hat andere Probleme. Wie so viele junge Männer aus seinem mexikanischen Dorf bereitet er sich darauf vor, von einem Schlepper nach Kalifornien gebracht zu werden. In Los Angeles soll er Geld für die Familie verdienen. Doch in der Latino-Community, die ihn erwartet, geben wie daheim Gangs den Ton an. Von Mateo wird als Aufnahmeritual ein Mord verlangt. Der amerikanische Regisseur Damian John Harper hat mit „Los Ángeles“, seinem Abschlussfilm an der HFF München, eine archaische Geschichte über die Unentrinnbarkeit der Verhältnisse inszeniert.
Film noir mit Streichholzbeleuchtung
Noch größere Verlierer des Nord-Süd-Gefälles zeigt Regisseur Simon Dolensky in „Nirwana“, nominiert in der Kategorie der mittellangen Spielfilme. Er begleitet in Bangladesch zwei junge Männer nach Chittagong, wo sie sich für ein Taschengeld als Tagelöhner verdingen, um das sie auch noch geprellt werden. Die Nacht verbringen sie in einem leeren Container im Hafen. Der wird aber unversehens geschlossen und auf die Reise geschickt. Was folgt, ist ein streichholzbeleuchteter Film noir, der beklemmender nicht sein könnte. Das krasse Gegenstück zum Empowerment-Spot „Finde dein Schicksal“ von Theo von Asmuth, der bei den Werbefilmen nominiert ist und von einem Ghetto-Aufstieg erzählt. „Nirwana“ findet dagegen das stärkste Bild seit langem für die Ware Mensch.
Bei den Dokumentationen dieses sehr guten First-Steps-Jahrgangs setzt sich der Trend zum internationalen Schauplatz fort. Sie erzählen von einem Linienbus an der ukrainischen Grenze zu Ungarn („Balazher. Korrekturen der Wirklichkeit“ von Lesia Kordonets). Von einer Schneiderin in Burkina Faso, die von Europa träumt („Bintou“ von Simone Catharina Gaul). Oder von den Ritualen einer Männergesellschaft in Süditalien (Michele Ciriglinos „Padrone e sotto – Herr und Knecht“). Wobei sich starke Themen natürlich auch mitten unter uns finden lassen. Maximilian Haslberger beweist das mit „Die Menschenliebe“.
Seine Protagonisten heißen Jochen und Sven. Psychisch krank der eine, körperbehindert und im Rollstuhl der andere. Was sie gemeinsam haben: Sie wollen Sex. Während Jochen im Bordell zu „Grenzüberschreitungen“ neigt, bestellt Sven (Normann, der auch beim Berliner Theater RambaZamba spielt) sich gern Callboys oder Callgirls ins Wohnheim. Er gesteht: „Ich achte leider sehr viel aufs Äußere.“ Haslbergers (teils inszenierte) Doku ist unverkrampft, komisch, direkt.
Nachwuchsfilmer entdecken Großartiges in der Historie
Insgesamt aber wissen die deutschen Nachwuchsfilmer mit der Gegenwart ihrer Heimat nichts anzufangen. Dafür entdecken sie bisweilen Großartiges in der Historie. Wie Regisseur Timm Kröger, dessen Ludwigsburger Abschlussfilm „Zerrumpelt Herz“ 1929 spielt und die Eheleute Anna und Paul sowie ihren Freund Willi (beachtlich: Eva Maria Jost, Thorsten Wien und Daniel Krauss) tief in den Wald führt. Dort wollen sie den Komponisten Otto treffen. Eine erotisch aufgeladene Konstellation, die Kröger in ein famos komponiertes Traumspiel über die Nachtseiten der Romantik münden lässt.
Klar, Romantik liegt den Deutschen im Blut. Komödie weniger. Da haben die Österreicher die Nase vorn. Noch ein Höhepunkt unter den abendfüllenden Spielfilmen: „High Performance – Mandarinen lügen nicht“ von Johanna Moder. Moder erzählt eine hochkomische Mischung aus Dreiecksgeschichte und Konzernkrimi um zwei ungleiche Brüder. Rudi (Manuel Rubey) ist erfolgreicher Manager. Daniel (Marcel Mohab) Schauspieler in der freien Szene. Allein die Geburtskanal-Performance seiner Off-Truppe lohnt das Ansehen.
Von sehr speziellem Humor ist auch „Musik“, ein mittellanger Film des Wieners Stefan Bohun. Der erzählt von einem geschiedenen, ziemlich armseligen Beamten des Wohnungsamts, der über die Quadratmeter-Zuweisungen an Migranten zu entscheiden hat. Als Bestechung nimmt er auch mal einen jodelnden Flamingo. Aber eigentlich träumt er von einem anderen Leben. Irgendwas mit Musik. Im Grunde stehen dem Mann alle Möglichkeiten offen. Was ist es nur, das ihn zurückhält?
Patrick Wildermann
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