Klage gegen Filmförderung: Die Sorge um den deutschen Film
Ist unsere Filmförderung verfassungswidrig? Sind die Förderabgaben gerecht verteilt? Ein Großkinobetreiber klagt in Karlsruhe. Die Branche ist nervös: Sollte er Recht bekommen, könnte die gesamte Filmförderung kippen.
Wer hätte das gedacht, damals in den Sechzigern, als die neue Konkurrenz des Fernsehens und eine Generation engagierter Regisseure („Papas Kino ist tot!“) dafür sorgten, dass die Bundesrepublik ein Gesetz zum Wohl der Filmbranche auf den Weg brachte. Wer hätte gedacht, dass dieses Gesetz nun vor den höchsten Richtern der Nation landet: Um zu klären, ob der Bund Filmförderung regeln darf, trotz Kulturhoheit der Länder. Und ob es gerecht zugeht zwischen denen, die in den Fördertopf einzahlen. Am Dienstag um 10 Uhr ist es soweit, dann wird das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Beschwerdeträger und ihre Gegner anhören.
Die Branche ist nervös wie lange nicht. „Ohne diese Förderung gäbe es praktisch keine deutschen Filme“, warnt Alexander Thies, Vorsitzender der Produzentenallianz. „Es geht ums Ganze“, betont Iris Berben, Präsidentin der Deutschen Filmakademie. Um die Solidargemeinschaft. Um die Grundlage des Filmschaffens in Deutschland. Um die Zukunft. „Wer dieses System zum Einsturz bringt, zerschlägt unser gesamtes Filmfördersystem“, sagt selbst Kulturstaatminister Bernd Neumann
Angestrengt hat die Verfassungsbeschwerde die Odeon & UCI Cinemas Group. Das Unternehmen betreibt in Deutschland an 23 Standorten gut 200 Kinosäle, es gehört dem britischen Investmentunternehmen Terrafirma. Wie alle Filmtheater mit einem Jahres-Nettoumsatz ab 75 000 Euro zahlt auch die UCI Abgaben pro Kinoticket an die Filmförderanstalt, kurz: FFA, die damit kommerziell oder kulturell erfolgreiche Produktionen subventioniert. Die Details dieser staatlich verordneten Branchen-Selbsthilfe regelt das Filmfördergesetz: Rund 78 Millionen Euro befinden sich jährlich im FFA-Topf, etwa ein Viertel der gesamten deutschen Filmsubventionen, die sich ansonsten überwiegend aus Steuergeldern speist – im Deutschen Filmförderfonds wie in den Ländertöpfen.
Deutsche Kassenschlager bleiben die Ausnahme
Schon lange wird über die Gerechtigkeit bei den Abgaben gestritten. Alle, die von einem Film profitieren, sollen ihren Beitrag zur FFA leisten, so will es das Gesetz, vor allem die Kino- und die Video-Wirtschaft sowie die TV-Anstalten. Ungerecht war das von Anfang an. Das Fernsehen, auch das mit jährlich 7,5 Milliarden Euro Gebührengeldern fürstlich ausgestattete Öffentlich-Rechtliche, zahlte bloß freiwillig. Erst seit das Bundesverwaltungsgericht den klagenden Kinos Recht gab, sind auch die Sender in der Pflicht – rückwirkend ab 2004.
Die meisten Kinobetreiber sind damit zufrieden, zumal auch die Filmtheater von der FFA gefördert werden, 2012 allein mit 14 Millionen Euro. Bloß der UCI genügte die neue Fairness nicht. Gerechtigkeit ist etwas anderes, findet UCI-Geschäftsführer Ralf Schilling. Und weist darauf hin, dass die TV-Sender, seit sie zahlen müssen, noch weniger beisteuern als vorher, lächerliche 8,3 Millionen Euro pro Jahr.
Außerdem, so Schilling: Wieso soll die UCI Abgaben für etwas entrichten, wovon die Firma gar nicht profitiert? Deutsche Kassenschlager gebe es kaum, Bully Herbig, Til Schweiger, Matthias Schweighöfer bleiben die Ausnahme. „Wir würden gern mehr deutsche Filme zeigen, wenn sie nur annähernd Aussicht auf Erfolg hätten,“ versichert Schilling. Obendrein würden viel zu viele Filme FFA-gefördert. 2006 waren es 60, 2012 schon 90. „Zu einer solch verfehlten Förderung mit der Gießkanne wollen wir keinen Beitrag leisten.“ Auch um die die Zusammensetzung der FFA-Gremien soll deshalb in Karlsruhe auf den Prüfstand.
Wie der Hollywoodfilm den Markt verstopft.
Produzent Uli Aselmann hält solche Argumente für den puren Hohn. Wenn etwas den Markt verstopft, dann Hollywoodfilme, sagt er. Von wegen erfolglos. Ein deutscher Marktanteil von 20 bis 25 Prozent ist nicht nichts. „Alle deutschen Top Ten 2012 waren FFA-gefördert.“ Dass es weniger an Geld als an Zuschauern fehlt, gibt jedoch selbst Iris Berben zu. Zu viel Masse, zu wenig Klasse, zu viel TV-Konfektion – ein notorisches Dilemma der saturierten Branche.
Film ist von Natur aus beides: Kunst und Ware. Deutsche Filmförderung, auch die FFA, versteht sich explizit als kulturwirtschaftliche Subvention. Weshalb die Länder bislang auch kein Problem damit hatten, dass der Bund die Sache regelt. Und: Der Binnenmarkt ist klein, erläutert Aselmann, wie überall in Europa können Produzenten nicht aus eigener Kraft überleben. „Wir tragen das größte Risiko“ – und die Kinos das geringste. Wer will vor dem Dreh darauf wetten, dass ein Lowbudgetwerk wie „Oh Boy“ abgeht wie eine Rakete? Oder dass eine Geschichte über den Krankenpfleger eines bis gelähmten Millionärs zum Megahit avanciert? „Ziemlich beste Freunde“ wollten etliche Verleiher lieber nicht herausbringen.
Aselmann, bei der Produzentenallianz zuständig für die Kino-Sektion, weist darauf hin, dass es sich beim UCI-Mutterkonzern Terrafirma um einen rein profitorientierten Konzern handelt. Dem widerspricht UCI-Chef Schilling: „Wir sind nicht von einer Heuschrecke ferngesteuert. Ohne die Garantien der britischen Muttergesellschaft hätte UCI womöglich längst Insolvenz anmelden müssen.“
Amazon, iTunes, Telekom - auch neue Filmverwerter sollen Abgaben leisten
Stimmt schon, das Geschäftsrisiko ist mit der Digitalisierung auch für die Kinos größer geworden. DVD, Heimkino, die neue Mobilität der bewegten Bilder, die sich auch auf dem Smartphone anschauen lassen, all das sorgt seit zehn Jahren für ein großes Kinosterben. Zu viele Säle, gerade in den Multiplexen, die teure digitale Umrüstung (die allerdings kräftig staatlich subventioniert wurde) – die Kinobetreiber mussten sparen. Warum nicht auch bei der FFA-Abgabe, mag UCI sich gedacht haben.
Umgekehrt wird Zukunft draus. Im digitalen Zeitalter sind derart viele neue Verwerter hinzu gekommen – Video-on-Demand-Anbieter, Amazon, iTunes, die Telekom etc. –, dass das alte FFA-Modell sich tatsächlich überlebt hat. Alle sind sich einig darin, dass eine große Gesetzesnovelle her muss. Nur sorgt die juristische Fehde jetzt dafür, dass die dringliche gemeinsame Arbeit daran verschleppt wird: Bis zum Urteilsspruch des Bundesverfassungsgerichts werden Monate vergehen.
Sollte die Filmförderung tatsächlich kippen, könnte der Bund immerhin einen letzten Trumpf aus dem Ärmel ziehen. Denn damals, in den Sechzigern, machte die Politik einen Deal mit den Kinos. Ihr zahlt die FFA-Abgabe, wir gestehen euch niedrige Mehrwertsteuer zu, nur 7 Prozent pro Ticket. Ein Privileg, das den Kinos entzogen werden kann. Dann wäre ein Sieg in Karlsruhe ein Eigentor - nicht nur für die UCI.
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