First-Steps-Preisverleihung: Der provokante Adolf-Mercedes-Spot gewinnt - und Rosa von Praunheim schmettert einen Chanson
Die 14. Verleihung der Nachwuchsfilmpreise "First Steps" ging am Montagabend im Berliner Musical-Palast am Potsdamer Platz über die Bühne: kurzweilig, charmant, witzig und mit politischem Sprengstoff.
So eine Preisverleihung muss man erstmal hinlegen: Mit gut 100 Minuten hält sie sich an Spielfilmlänge, birgt politischen Sprengstoff ausgerechnet wegen eines Werbespots und präsentiert Heldinnen, wie die Welt sie noch nicht gesehen hat. Dame Rosa von Praunheim singt, nein schmettert zum Dank für den First-Steps-Ehrenpreis in schwarzer, mit roten Rosen besteckter Glitzerrobe einen Chanson in apart fingiertem Französisch. Und die 91-jährige Ruth Bickelhaupt, Darstellerin in "Dicke Mädchen", dem Debütfilm des Laudators Axel Ranisch (der auch ihr Enkel ist), tanzt für Rosa einen hinreißenden Walzer.
First-Steps-Gala zum 14. Mal: Die Nachwuchs-Filmpreise wurden am Montagabend im Berliner Stage Theater am Potsdamer Platz vergeben, ein halb legeres, halb glamouröses Spätsommer-Event, in der Berliner Filmbranche nicht zuletzt wegen seines unprätentiösen Charmes äußerst beliebt. Für Furore sorgte diesmal der ausgezeichnete Studenten-Werbespot von Tobias Haase, Absolvent der Filmakademie Ludwigsburg. Schon im Vorfeld war der Spot in den sozialen Netzwerken heftig diskutiert worden: Der kleine Adolf (Hitler) wird in Braunau von einem Mercedes überfahren, anders als bei anderen spielenden Kindern versagt bei ihm die Anti-Kollisions-Automatik. Das Unfallopfer liegt mit kurzen Hosen in Hakenkreuz-Positur auf der Wiese, folgt der Slogan "Erkennt Gefahren, bevor sie entstehen".
80 Sekunden Tyrannenmordsspaß, nach dem Motto: "Was wäre, wenn der Brems-Assistent früher erfunden worden wäre und eine Seele hätte?". Darf man über Hitler Witze machen? Haase setzt eine verblüffende, streitbare Pointe, bietet provokante, professionell gemachte Werbung. Mercedes hatte sich im Vorfeld von dem Clip distanziert, zumal das Unternehmen zu den Sponsoren von First Steps gehört. Die Spannung im Saal war also groß, die Jury lobte die Idee und Risikofreude des Regisseurs - so etwas brauche die Kreativbranche. Und die Vertreterin des Autoherstellers hatte ihrerseits die Größe, die mit 10.000 dotierte Auszeichnung dennoch persönlich zu überreichen. "Dieser Spot ist ein studentischer Film", heißt es mittlerweile im distanzierendem Vor- und Abspann: Es bestehe keinerlei Verbindung zur Daimler AG.
Ein starker Jahrgang, sagen einmütig alle Preis-Juries, denen unter anderem Sherry Hormann, Ina Weisse, Franz Dinda, Uli Gaulke, David Sieveking, Simon Verhoeven und Gerd Ruge angehörten. Unter den Preisträgern finden sich besonders viele Absolventen der Ludwigsburger Akademie Baden-Württemberg und der Züricher Hochschule der Künste. Die Auszeichnung für den besten abendfüllenden Spielfilm (25.000 Euro) ging an das stille Drama "Lamento" des Potsdamer HFF-Absolventen Jöns Jönsson, in dem eine Mutter nach dem Selbstmord ihrer Tochter Trauer, Verlustschmerz und Schuldgefühle mithilfe ihrer Alltagsroutine zunächst verdrängt, um sich der Tragödie dann doch zu stellen. Jurorin Sherry Hormann nannte Ingmar Bergman als Bezugsgröße, die gerade erst fertig gestellte Produktion sucht noch einen Verleih. Den wünscht man auch der Züricher Dokumentarfilmerin Anna Thommen, die in "Neuland" einen Schweizer Lehrkurs für ausländische Migranten beobachtet, mit einem hinreißend stoisch-empathischen Lehrer. "Habt ihr das Fußballspiel Manchester United gegen den FC Basel gesehen?" Manchester, sagt der Lehrer, ist die bessere Mannschaft, hat immer gewonnen, und doch hat der FC Basel dieses eine Mal gesiegt. Weil sie an sich glaubten, obwohl sie wegen denkbar schlechter Voraussetzungen keine Chance hatten: "Ihr seid der FC Basel".
Der Kurzfilmpreis ging an "Parvaneh" von Talkhon Hamzavi (ebenfalls Zürich), der Preis für einen Spielfilm bis 60 Minuten an Barbara Otts lakonischen sozialrealistische Tragikomödie "Sunny" (Ludwigsburg), und der im Gedenken an Bernd Eichinger gestiftete No Fear Award an die Produzentin Cosima Maria Degler (ebenfalls Ludwigsburg) für "Zwei Mütter". Ein lesbisches Paar will seinen Kinderwunsch erfüllen und stößt auf schier unüberwindliche bürokratische und praktische Hindernisse.
Vier Frauen und drei Männer in der Siegerrunde: Finden sich künftig wieder mehr Frauen unter den namhaften deutschen Regisseuren? Zum Glück gibt es Rosa. Regisseur Axel Ranisch war von Praunheims Student und verrät in seiner Laudatio, dass er von Professor Praunheim gerne mit den Worten "Er ist ein großartiges Talent und hatte noch nie Sex" öffentlich vorgestellt und wie alle Studenten ins wahre Leben geschickt wurde. Auf Weltreise, nach New York oder Kalkutta, in SM-Studios, die Pathologie, den Knast. Oder es erging die Aufforderung, ihn, den Lehrer, seinerseits beim Sex zu filmen. "Erleben, nicht lernen", so Praunheims Maxime. Und Ranisch dankt es ihm mit dem Auftritt seiner Großmutter. Bevor Ruth Bickelhaupt live auf der Bühne tanzt, sieht man sie auf der Leinwand mit prominenten Tanzpartnern, mit Andreas Dresen, Tom Tykwer, Eva Mattes und anderen Rosa-Freunden, beschwingt, federleicht, mit vollendeter Grazie. Ovationen für Praunheim und Bickelhaupt: Die Frauen im Saal haben jetzt ein neues Ich-Ideal.
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