Gurlitt und die Folgen: Am Brunnen vor dem Schlosse
Restitution und Raubkunst in Privatbesitz: Der Nymphenbrunnen von Burg Schlitz, wohl einst im Ehrenhof des Berliner Mosse-Palais, zeigt die Grenzen auf.
Die Geschichte ist sowohl einfach als auch kompliziert – wie so oft. Im Park von Burg Schlitz, heute ein gehobenes Hotel im Mecklenburgischen zwischen Teterow und Waren, steht ein Brunnen, der zu den Attraktionen der Region gehört. Hier hat sich schon so manches Paar ewige Liebe geschworen, hierhin pilgern sommerliche Ausflügler. Ein lauschiges Plätzchen.
Ein Schild am Rande nennt den Bildhauer Walter Schott als Erschaffer und dass es weitere Kopien seines bekanntesten Werkes im Central Park in New York, in der Nähe von San Francisco, in Antwerpen und in einer Dahlemer Villa gibt. Der mecklenburgische Nymphenbrunnen, wie er im Volksmund heißt, – der korrekte Titel lautet „Die drei tanzenden Mädchen“ – sei um 1935 über den damaligen Schlossbesitzer Emil Georg von Stauß, Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bank und im Vorstand der Ufa, in den Park gelangt. Mehr nicht. Das Jahr könnte schon zu denken geben, insbesondere bei einer Wirtschaftsgröße des „Dritten Reiches“ wie von Stauß.
Um das kapitale Werk ist prompt ein Streit entbrannt, denn eben jener Brunnen könnte sich ursprünglich im Ehrenhof des Berliner Mosse-Palais befunden haben. Der gigantische Wohnsitz am Leipziger Platz gehörte einst der jüdischen Verlegerfamilie Mosse, deren gesamter Besitz, insbesondere die Kunstsammlung, wurde nach 1933 durch die Nationalsozialisten zerschlagen. Von diesem Ursprung ist Rechtsanwalt Jan Hegemann von der Berliner Kanzlei Peter Raue überzeugt, die für die Nachfahren der Mosse-Familie, vertreten durch eine Stiftung in den Vereinigten Staaten, das Mandat zur Restitution früherer Besitztümer übertragen bekommen hat.
Öffentliche Museen müssen Raubkunst restituieren
Zahlreiche der verfolgungsbedingt entzogenen Stücke, wenn auch nur ein Bruchteil der in die Tausende gehenden Mosse-Sammlung, haben seitdem ihren Weg zurück an die ursprünglichen Eigentümer gefunden. Allein die Stiftung Preußischer Kulturbesitz restituierte acht Objekte, durfte sie als Leihgaben aber behalten. Für Aufsehen sorgte die von den Erben 2016 in eine Auktion der Villa Grisebach eingebrachte Inkunabel der Mathildenhöhe. Im letzten Moment, kurz vor der Versteigerung, sicherten Spender Ludwig von Hoffmanns „Frühlingssturm“ für das Darmstädter Museum.
Hier lagen die Fälle jeweils klar, die Provenienz war einwandfrei, für die öffentlichen Museen gibt es durch die „Washingtoner Erklärung“ eine verbindliche Ansage, Raubkunst zu restituieren. Wie aber verhält es sich mit Privatbesitzern? Wie sind sie davon zu überzeugen, dass zu Unrecht schon von früheren Vorbesitzern erworbenes Gut auch in ihrem Fall restituiert gehört? Dass zumindest eine Annäherung, manchmal auch nur eine erweiterte Informationstafel über mögliche Ursprünge angestrebt werden sollte? Der Fall Gurlitt hat hier eine Bresche geschlagen, indem sich der Sohn des NS-Kunsthändlers und Erbe der vor fünf Jahren überraschend an die Öffentlichkeit gelangten Sammlung kurz vor seinem Tod zur Restitution bereiterklärte.
Maria Eichhorn appelliert an das Verantwortungsbewusstsein aller
An Cornelius Gurlitts Beispiel lässt sich zugleich ablesen, wie mühsam der Prozess eindeutiger Nachweise ist. Bis heute wurden gerade einmal vier Bilder zurückgegeben. Ab November wird in der Bonner Bundeskunsthalle die gesamte Kollektion der ungeklärten Stücke gezeigt – immer in der Hoffnung, dass sich noch Spuren finden könnten. Das Kunstmuseum in Bern, von Cornelius Gurlitt als Erbe eingesetzt, präsentiert in einer parallelen Ausstellung die unbelasteten Werke. Die Affäre nimmt auch einen zentralen Platz auf der Documenta in Kassel ein. Die Berliner Künstlerin Maria Eichhorn hat dort den Fall zum Anlass genommen, an das Verantwortungsbewusstsein aller zu appellieren und das Rose Valland Institut gegründet, an das sich Privatpersonen wenden können, wenn sie belastete Stücke besitzen. Die Zeit ist reif dafür.
Das gilt umso mehr für Mosse. Im Frühjahr hatten sich in Berlin die Kulturstiftung der Länder, die Preußenstiftung, das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste, the Mosse Art Restitution Project und federführend das Kunsthistorische Institut der FU zum Forschungsprojekt MARI zusammengeschlossen, um in den nächsten zwei Jahren über Auktionskataloge, Fotos, Korrespondenzen die tausende Bilder, Möbel, Kunstobjekte aufzuspüren. Die ersten vier Stücke wurden bereits lokalisiert. Doch wie geht es weiter?
Vor dieser Frage steht auch Rechtsanwalt Hegemann mit dem Nymphenbrunnen – Stirn an Stirn mit Armin Hoeck, dem heutigen Besitzer von Burg Schlitz. Der fühlt sich zu Unrecht bedrängt und fordert „glasklare“ Beweise, am besten den Frachtbrief. Tatsächlich gibt es Unwägbarkeiten durch die vielen Abgüsse, womöglich gibt es einen weiteren. Trotzdem liefe alles auf Burg Schlitz hinaus, so auch Meike Hoffmann vom MARI-Forschungsprojekt der FU. So oder so, die Idylle am Nymphenbrunnen trügt. Ein Hinweis auf die komplizierte Geschichte wäre dort das Mindeste.
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