Frank Castorfs Bayreuther "Siegfried": Am Alex kuscheln die Krokodile
Unheiliges Effektgewitter: Frank Castorf lässt es in Bayreuth mit seinem „Siegfried“ richtig krachen.
Natürlich hat er das gewittert, als altes Theaterkrokodil. Dass sich bei seinem „Rheingold“ die meisten noch ganz gut amüsieren und sie bei der „Walküre“ die Abwesenheit des Regisseurs auch nicht wirklich betrauern. Und gerade in dem Moment, wo man sich vorgenommen hat, endlich einmal in Ruhe die Bayreuther Sängerschar zu würdigen, da lässt er es knallen, spielt sich auf, legt sich mit allen an – egal, ob das auch nur im Ansatz sinnvoll ist. Ja, Frank Castorf meldet sich im „Siegfried“ lautstark zurück auf dem Grünen Hügel, mit Salven aus der Kalaschnikow und einer Messerstecherei auf dem Alexanderplatz zu wilden DDR-Zeiten.
Alles beginnt unter dem National Memorial von Mount Rushmore, wo statt Washington, Jefferson, Roosevelt und Lincoln nunmehr Marx, Lenin, Stalin und Mao verewigt sind. Unter den Ikonen des Kommunismus wächst in einem verwahrlosten Mobile Home ein Held heran, dem es in seiner Glitzerweste vor nichts graust. Unfroh klettert er zwischen den Monumentalköpfen umher und schwingt auch mal den Hammer: Schlag nach bei Marx. Siegfried, ein Opfer von Indoktrination und frühkindlichen kollektiven Klobesuchen, darauf gedrillt, den Klassenfeind zu besiegen? Jedenfalls schmiedet er sich eine Kalaschnikow und macht sich auf zur Neidhöhle, die ganz nah bei der Welt liegen soll. Plötzlich steht er neben der Weltzeituhr auf dem Alex, wo Fafner nicht einfach nur auf seinem Hort liegt, sondern für Osttussis schon mal was springen lässt.
Nachdem in Düsseldorf unlängst die Kombination aus Wagneroper und Erschießungen auf offener Bühne zu gesundheitlichen Problemen mit folgender Absetzung der Inszenierung führte, weist die Festspielleitung kleingedruckt auf eine Gewehrsalve im zweiten Akt hin. Sie sei als ungefährlich gemessen worden. Katharina Wagner wertet den Waffengang in Interviews als Beispiel dafür, dass Castorf und sein Dirigent Kirill Petrenko intensiv miteinander reden. Petrenko waren die Schüsse zu laut. Es kracht immer noch gewaltig, wenn Siegfried den Ex-Riesen Fafner niederstreckt – und prompt muss ein Zuhörer aus dem Saal gerettet werden. Den Zwerg Mime sticht Siegfried quälend langsam ab und setzt ihn unter die Weltzeituhr in einen Plastestuhl. Er muss jetzt dringend noch den Waldvogel, der als verschreckte Sambatänzerin über den Alex flattert, hart an einem Laternenmast rannehmen.
Wahrscheinlich ist gar nichts dran an der tröstlichen Vorstellung, dass Wagnerfan Merkel und Regisseur Castorf bei diesem Ost-Berliner Bühnentreiben zusammen in der Königsloge sitzen und fest in ihre Programmhefte beißen müssen, um das Festspielhaus nicht mit hemmungslosem Lachen zu erschüttern. Castorf demontiert zielstrebig auch noch die letzten Elemente, die er zum Weitererzählen hätte nutzen können. Der dritte Akt, die Begegnung von Siegfried und Brünnhilde, ist für ihn nicht mehr als ein flauer Witz mit kopulierenden Krokodilen (!). Das Unangenehme daran ist nicht, dass hier einer beweisen will, dass ihm nichts heilig ist. Das erwarten wir so von unserem Castorf. Nur möchte er an diesem Abend obendrein alle als Spießer bloßstellen, die sich nicht mit lieblos hingehauenen kalten Spaghetti auf dem Alex abspeisen lassen wollen. Die Buhs für den „Ring“-Regisseur werden substanziell.
Nun aber endlich zu den Sängern: Lance Ryan hat sich als Bayreuther Siegfried noch weiter in Richtung Charaktertenor entwickelt, der sich im direktem Stimmkontakt nur wenig vom Mimen Burkhard Ulrichs unterscheidet. Für ein stechendes Wortduell zwischen den beiden müsste Ryan aber noch weiter an seiner Diktion feilen. Mehr richtig getroffene Töne indes dürfte zurzeit wohl kaum ein anderer Siegfried-Sänger über die Rampe bekommen. Wolfgang Koch nutzt die von Petrenko minutiös gesetzten Effekte, um sein eindrucksvolles Porträt des fertigen, zornig-virilen Göttervaters Wotan auch im „Siegfried“ fortzusetzen. Catherine Foster hat sich für ihre Brünnhilde diesmal mehr Kraft zugebilligt, die sie gerade noch in Einklang mit ihrem eigentlich wunderbar schlanken Ansatz bringen kann. Noch hat sie sich in Bayreuth nicht ganz ins Freie singen können. Martin Winklers Alberich lässt zwischen drängendem Misstrauen und gelenkiger Gier keine vokalen Wünsche unbefriedigt.
Wird sich nun aus den starken Scheiten – Petrenko und seinem Orchester, einem Sängerensemble auf Niveau, den filmischen Bühnenräumen – doch noch ein feuriger „Ring“ schichten? Nach einem reichlich verkaterten spielfreien Tag wissen wir mehr beim Weltenbrand der „Götterdämmerung“. Ulrich Amling
RBB-Kulturradio überträgt „Götterdämmerung“ am heutigen Mittwoch ab 16 Uhr
Ulrich Amling