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White Trash am Grünen Hügel. Norbert Ernst als Feuergott Loge trifft Mime (in einer Paraderolle: Burkhard Ulrich) an der Tankstelle.
©  Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

Bayreuther Festspiele: Sprit und Spirit

Gut geölt: Zum Auftakt seiner Neuinszenierung von Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ verflüssigt Frank Castorf am Grünen Hügel das „Rheingold“.

Verflucht ist dieser „Ring des Nibelungen“, denn wer ihn ergreift, wählt die Macht und entsagt der Liebe. Kein Wunder, dass sich Regisseure nicht leichtfertig dafür entscheiden, Richard Wagners Operntetralogie zu inszenieren – schon gar nicht in Bayreuth. Hier werden traditionell die gesamten 16 Stunden en bloc neu erarbeitet und in einem furiosen Rutsch präsentiert. Das verlangt nach entschlossenen Welterklärern mit mächtigen Theaterhänden, die sich nicht unnötig mit Zärteleien aufhalten, sondern ranklotzen können.

Die zu finden, erwies sich am Grünen Hügel zusehends als Problem. Schon für den vorangegangenen Zyklus musste mit dem Dramatiker Tankred Dorst eine Notlösung her, nachdem Lars von Trier nach zweijähriger Vorbereitungszeit einräumen musste, dass der „Ring“ seine Kräfte übersteigt. Ein mahnendes Zeichen, doch mit dem Jubiläums-„Ring“ zum 200. Geburtstag des Festspielstifters sollte die Lage ungleich prekärer werden. Lange sah es so aus, als würde Wim Wenders in Bayreuth sein Operndebüt geben wollen. Doch dann trennte man sich plötzlich, weil der Filmregisseur seine Inszenierung als Grundlage für ein 3-D-Kinoereignis nutzen wollte, das die Festspiele finanzieren sollten. Den Festspielchefinnen Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier lief die Zeit weg, das Vertrauen in ihren Überblick schwand.

Glaubt man dem, der lässig für Wenders einsprang, wäre das ganze „Ring“- Unterfangen ohnehin nichts für den Feingeist gewesen. Frank Castorf verglich kurz vor der Premiere die Bayreuther Produktionsbedingungen mit denen einer Daily Soap und die Atmosphäre in Wagners Festspielhaus mit der DDR. Wahrscheinlich wollte der Volksbühnenchef damit unter Zuhilfenahme seines Berliner Charmes lediglich ausdrücken, dass er sich hier wohlfühlt. Zur Pressekonferenz zeigte sich Castorf jedenfalls freundlich gewitzt und inszenierte sich und sein Team als „Außenseiter“ in Franken: ein Regisseur aus Ostdeutschland, eine Kostümbildnerin aus dem Favelas von Rio, ein Bühnenbildner aus Serbien und ein russischer Dirigent.

Auch Parallelen zwischen Brecht und Wagner fielen dem Regisseur auf, zwischen unbedingter Revolutionslust und späterer Abschottung inklusive Konservierung des eigenen Werks. Was heute unser Gold ist, aus dem der unheilvolle Ring geschmiedet wird, beantwortet Castorf flüssig: Es ist das Öl. Ohne Öl funktioniert nichts! Und damit biegt der Ironiker elegant auf eine Straße ab, auf der er sich bestens auskennt. Kapitalismus und Depression, das hat er an der Volksbühne rauf und runter spielen lassen, mit viel Musik und Video. Während Katharina schwört, der „Spirit“ des Urgroßvaters sei noch überall in Bayreuth zu spüren, auch wenn das Festspielhaus bröckelt, macht sich ihr Regisseur daran, Sprit für eine 16-Stunden-Reise in die Dämmerung abzufüllen.

{Selbst ohne sein gewohnte Ensemble transportiert Castorf ein Stück Berliner Volksbühne nach Bayreuth}

Sie beginnt naturgemäß an einer Tanke, die zugleich Bar und eine schmierige Absteige mit Pool ist, irgendwo an der Route 66 gelegen. Die Rheintöchter hängen Glitzerhöschen auf die Leine, schlürfen Cocktails und wenden lasziv Bratwürstchen. Das alles ist auf einem riesigen Videoschirm in Details, wenn auch nur sporadisch zugespitzt, nochmals zu sehen. Nichts deutet darauf hin, dass dies ein besonderer Tag werden könnte im „Golden Motel“, einem Ort, der auf keinerlei Ehrgeiz und gar Illusionen schließen lässt. Da regt sich auf einer Liege Gast Alberich (Martin Winkler), der mit dem Treiben der Rheintöchter nicht vertraut scheint und ihnen daraufhin wütend das Gold aus dem Pool klaut, bei dem es sich um die raschelnde Thermofolie aus dem Verbandskasten handelt, rein materiell betrachtet.

Unterdessen erwacht ein Stockwerk höher Wotan in den Armen von Frau Fricka und deren Schwester Freia. Castorf zeigt die umtriebige Beschränktheit des Chefgotts ungeschminkt schweißtreibend und krümmt Wagners Intentionen dabei kein Haar, auch wenn Wotan später Urmutter Erda noch schnell von hinten nimmt. Alles gedeckt vom Meister, sieht man den Ironiker lächelnd sagen. Die Sänger gewöhnen sich schnell an Videoüberwachung und pausenloses Agieren auf der an ein Filmset erinnernden Einheitsbühne von Aleksandar Denic. Und das ist die eigentliche Überraschung des Abends: Ohne sein vertrautes Ensemble, ohne seine eigene Musik- und Verschleppungsdramaturgie, die sich im partiturtreuen Bayreuth verbietet, gelingt es Castorf, ein Stück Volksbühne zu exportieren. Dabei helfen Zitate. Könnten die Riesen nicht von den tumben Entführern aus „Fargo“, dem Meisterwerk der Coen-Brüder, inspiriert sein? Sieht Mime mit seiner Wuschelperücke nicht ein bisschen wie Schlingensief selig aus? Und die nächtliche Tankstelle mit dem schwarz funkelnden Vintagecabrio davor, ist das jetzt eher David Lynch oder gar ein Stückchen Wenders?

Soweit, so kurzweilig. Doch das ist „Das Rheingold“ als komödiantisches Vorspiel ohnehin. Noch agiert Castorf klug: Er motiviert die Sänger, sich seinem kleinkriminellen Kosmos spielerisch zu ergeben. Das tun sie auch deshalb für ihn, weil der Regisseur sie im Gegenzug ungestört singen lässt. Wolfgang Koch als Wotan nutzt das lustvoll, um zu einem rollenfüllenden Zuhälter Wotan zu wachsen. Loge Norbert Ernst zündelt ebenso gewandt mit dem Zippofeuerzeug wie mit dem Stimmband. Claudia Mahnke muss ihre prächtige Fricka mal nicht gleich frigide abwürgen. Castorf zeigt die gänzlich heruntergekommene Göttersippe, wie es auch Wagner tut, nur dass der White Trash nicht kennen konnte.

Noch wird nicht ernsthaft an irgendetwas gekratzt. Noch amüsiert man sich ganz gut, und Buh-Rufe verhallen rasch. Doch die Temperaturen am Grünen Hügel werden weiter steigen, gen fantastische 40 Grad. Und die Durststrecken für das Castorf-Theater werden größer. Da muss noch viel Regie-Öl ins „Ring“-Getriebe gegossen werden, um die Götterdämmerung erschöpft, aber glücklich zu erreichen. Einer wird sicher triumphieren, so viel lässt sich jetzt schon heraushören: Kirill Petrenko hat mit schier endloser Energie das Festspielorchester erobert, das zuletzt als feste Thielemann-Burg galt. Ihm gilt unser ganzes Ohr, wenn die Stürme des „Walküre“-Vorspiels losbrechen.

Kulturradio überträgt „Siegfried“ am 29.7. und „Götterdämmerung“ am 31.7. live.

Ulrich Amling

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