Kirill Petrenko dirigiert "Die Walküre" in Bayreuth: Glühendes Wollen
Schneisen im Klanggefüge: Bayreuth geht in die zweite „Ring“-Runde. Und Kirill Petrenko begeistert mit seinem „Walküre“-Dirigat jeden.
Umzingelt ist der Grüne Hügel von einer Armee kleiner bunter Wagners. 102 Zentimeter groß, erreichen sie nicht ganz die Lebensgröße des Festspielgründers, doch es sind viele, und sie halten ihre Arme gebieterisch erhoben. 500 Wagners hat der Künstler Ottmar Hörl aus Kunststoff fertigen lassen, in fränkischer Handarbeit natürlich. Gegen Diebstahl sind sie fest verankert, ein eigener Wachschutz nimmt regelmäßig die Parade ab. Die Wagners wollen alle nur das eine: dirigieren, das Tempo vorgeben, den Einsatz bestimmen.
Diese Aufgabe liegt beim Jubiläums-„Ring“ in den Händen von Kirill Petrenko. Zum Glück hat ihn die lange Ungewissheit über seinen Regiepartner nicht zum Rückzug verleiten können. Lange und akribisch hat sich der 41-jährige Russe auf seinen Einsatz in Bayreuth vorbereitet, der nun auch zum Vorspiel für seinen neuen Posten geworden ist: Petrenko wird mit der nächsten Saison 2013/14 Nachfolger des in München glücklosen Kent Nagano. „Ring“-Musiker und Festspielbesucher aus der bayrischen Hauptstadt erkennt man heuer am wohligen Lächeln selbstverständlicher Gewinner. Der scheue Maestro hat sie alle für sich einnehmen können. Nicht mit selbstherrlichem Auftreten und welterklärenden Reden, sondern mit freundlicher Unnachgiebigkeit und Energie, Energie, Energie.
Der „Ring“ stand bei Petrenko ganz zu Beginn seiner Karriere, als er mit 28 Jahren Generalmusikdirektor in Meiningen wurde. Dort stemmte er mit zwei Orchestern Wagners Operntetralogie an vier aufeinanderfolgenden Abenden. Glühendes Wollen und Können eines geborenen Theatermusikers. Die Jahre nach seinem Ausscheiden als Musikchef der Komischen Oper nutzte Petrenko für rastlose Studien. Über das Ergebnis stöhnten zu Probenbeginn nicht wenige Festspielmusiker. Was der alles korrigieren, anders hören will! Dabei kennt und kann man hier doch schließlich seinen Wagner. Doch Petrenko breitete beharrlich seine Arme aus – und das Festspielorchester ließ sich nach und nach begeistert in sie hineinfallen.
Petrenko lässt Wagners zugespitzer Harmonik ihre Gewalt
Das spürt man auch im Vorspiel zur „Walküre“, dieser sturmgepeitschten Nacht, durch die die Wucht der Blitze zuckt und des Donners Grollen: Petrenko muss dabei keinen von Wagners Effekten zusätzlich aufladen, er kann sie sogar klären, parieren, bis auf die Sehnen freilegen, ohne dass die Faszination dadurch abflaute – im Gegenteil. Zügig schreitet der Dirigent voran, ruht sich nie auf geborgtem Pathos aus. Hier gibt es kein mystisches Wabern, kein Raunen, keine Runen. Dafür erscheint das, was oft in pastösen Mischklängen ausgepinselt wird, als das, was es ist: unerhört! Wer an der Modernität Wagners nach allzu altmeisterlichen Zelebrationen zu zweifeln begann, kann in Bayreuth aufatmen. Petrenko kehrt nichts unter den Klangteppich, lässt Wagners zugespitzter Harmonik ihre Gewalt, doch er drückt nicht nach. Was immer zart angelegt ist, wird mit größter Feinheit musiziert. Nur ins weihevolle Schreiten wechselt der Ausdauerläufer am Pult dafür nie.
Auch für die Sänger erweist sich Petrenko als Glücksfall, ist er doch einer der raren Dirigenten, die nie vergessen, wie unmöglich Wagner für Stimmen komponierte. Blitzschnell schlägt er Schneisen im Klanggefüge, bahnt seinen Sängern den Weg, ist eines Atems mit ihnen. Dank ihm findet Catherine Foster bei ihrem unsicheren Hügel-Debüt als Brünnhilde am Ende zu einem Applaus, der ihrem Stimmpotenzial gerecht wird. Franz-Josef Selig stemmt souverän einen sinistren Hunding, und Johan Botha kann als Siegmund seine Vokalmacht klug ausspielen. An seiner Seite steht die zu allem bereite Sieglinde von Anja Kampe. Einer aber wächst im Abschied von der Macht über sich selbst hinaus: Wolfgang Koch singt in dieser „Walküre“ den Wotan seines Lebens, der umso mehr ins Herz trifft, weil im Graben niemand auf die Theatertränendrüse drückt.
Und Frank Castorf? Der scheint sich in der „Walküre“ mal regiefrei genommen zu haben. Die Sänger geistern sich selbst überlassen durch einen Bohrturm. Könnte etwas von „There Will Be Blood“ haben oder auch von Lars von Triers „Dogville“, wenn Castorf nur darauf Lust gehabt hätte. Immerhin: Auf dem Videoschirm sehen wir, dass die Sahnetorte, die der Berliner Regisseur für Bayreuth spendieren wollte, aufgegessen wird. Wie geht es nun weiter, wenn mit „Siegfried“ die liederliche Kinderstube eines neurotischen Helden zu besichtigen sein wird? Ob die Regie dann noch einmal zurück ins Spiel findet? In jedem Fall kehren große Sänger zurück auf die Festspielbühne. Ihnen gilt unser Ohr – nach einem spielfreien Tag mit Blitzen über dem Grünen Hügel.
Kulturradio überträgt „Siegfried“ am 29.7. und „Götterdämmerung“ am 31.7. live.
Ulrich Amling