Herbert Blomstedt bei den Berliner Philharmonikern: Alter Schwede
Große schwedische Symphonik: Herbert Blomstedt dirigiert bei den Berliner Philharmonikern eine Novität von Franz Berwald.
Am 15. November 1917 erklang bei den Berliner Philharmonikern erstmalig ein Werk, das in ihrer Geschichte bislang lediglich in diesem einen Konzert nachgewiesen ist. Nun betritt der schwedisch-amerikanische Dirigent Herbert Blomstedt, Jahrgang 1927, mit seinem leichten sicheren Gang das Podium der Philharmonie, um diese Komposition der Vergessenheit zu entlocken. Die „Sinfonie singulière“ des Schweden Franz Berwald ist dem Maestro so ans Herz gewachsen, dass er sie auswendig beherrscht, nachdem er sie auch im Rahmen der Kritischen Gesamtausgabe betreut hat. Ein Juwel wird gehoben.
Berwald war gesellschaftliches Glück nicht hold. 1796 in Stockholm geboren, verbrachte er beispielsweise mehrere Jahre in Berlin als autodidaktischer Orthopäde, bewarb sich in Schweden hier und da vergeblich, bevor er am Konservatotium seiner Heimatstadt lehrte, in der er 1868 starb. Von seinen vier Symphonien erklang nur eine zu seinen Lebzeiten. Seltsames Schicksal eines bedeutenden Komponisten, dem offensichtlich seine Originalität geschadet hat.
Die Dritte, C-Dur, uraufgeführt 1905, liegt schon in einigen Plattenaufnahmen vor, ist aber unter Blomstedt eine Repertoire-Neuentdeckung. Das Klangbild dieser „Singulière“ steigt aus wenigen Tönen der Streicher auf, aus Flötentrillern, um heftig Sturm zu laufen und plötzlich zurückzugleiten ins Anmutige, gehegt von Blomstedt und den Philharmonikern, die in ihrer Glanzbesetzung spielen. Überraschung! Ein übermütiger Paukenschlag knallt ins melodische Adagio, um das Scherzo mitten in den Satz einzulassen. Viel Extravagantes, Kontraste, „Eigenart“ eben, wichtige Partie der Pauke, klingende Streicher, große schwedische Symphonik. Die Konzentration des Publikums spricht für Werk und Wiedergabe.
Folgt tschechische Schule: Feingetöntes Adagio, holzüberglänzte Volkstümlichkeit im Trio, enorme Dramatik und Intensität entfaltet der Dirigent mit dem Orchester in der Siebten von Antonin Dvorák. Nach dem anspruchsvollen d-Moll-Werk ist Blomstedt noch so frei und munter, die Philharmoniker zu einem Slawischen Tanz als Zugabe aufzufordern. Großer Jubel.
Sybill Mahlke