Iván Fischer und die Berliner Philharmoniker: Gott wohnt in den Trompeten
Ein Weltschöpfungsungetüm: Iván Fischer dirigiert bei den Berliner Philharmonikern Mahlers 3. Symphonie.
Fast überirdisch schön scheint die Sonne in den Hörnern der Berliner Philharmoniker aufzugehen. Doch was für eine Welt ist es, die sie bescheint? Im ersten Satz von Gustav Mahlers 3. Symphonie, einem Weltschöpfungsungetüm von 95 Minuten Länge, türmen sich schroffe Felsen, liegt die unbelebte Natur brach da – und doch kündigt sich Leben an. Es steckt in den Militärmarschfragmenten, die anrennen gegen die Trümmer eines Trauermarsches. Als Gast am Philharmoniker-Pult hat Iván Fischer in der Philharmonie seine Augen überall: auf den bräsig schnarrenden Posaunen, den wüst auffahrenden Streichern. Trotzdem fehlt noch der Überblick, der kosmische Atem, beißt sich der musikalische Fluss immer wieder an Details fest. Was durchaus Mahlers Intentionen entspricht.
Das Ziel ist der Eintritt des Menschen in die unbewusste Natur. Albrecht Mayers Oboe eröffnet den zweiten Satz, ein liebliches Menuett, von Fischer rasch dirigiert, sodass hier statt Blumen eher Irrlichter tanzen. Was auf dem Planeten kreucht und fleucht, findet im dritten Satz seinen Platz. Bei aller Fratzenhaftigkeit eine tierische Idylle, in die aus der Ferne ein Posthorn einbricht. Solo-Trompeter Tamás Velenczei intoniert so sauber, dass Gott, sollte er irgendwo in dieser Symphonie anwesend sein, in der Trompete wohnen muss. Dem „skandalös gewagten“ (Adorno) Solo folgt Unruhe in der Partitur, als wüssten die Tiere, dass sie von dem, der sich hier ankündigt, nichts Gutes erwarten können.
Mit dem tief empfundenen, fein alle Klangschatten ansteuernden Mezzo von Anna Larsson ist er endlich da, der Mensch – und bei Fischer erstirbt der Klang, ertrinkt in jener tiefen Ewigkeit, nach der laut Nietzsche alle Lust strebt. Biblisches, von Mahler keck im Tonfall spielender Kinder auf der Straße vertont, singen die Damen des Rundfunkchors (Gijs Leenaars) und die Knaben des Staats- und Domchors Berlin (Johannes Stolte), bevor sich die 25 Minuten des Finalsatzes über den Saal senken. Geschickt lässt Fischer die Intensität an- und abschwellen, nach jedem Gipfel geht’s hinab: ein Panoramaflug über Berg und Tal, die Landschaft am Attersee reflektierend, wo Mahler das Werk geschrieben hat. Mit dem er - und das macht diese Interpretation ganz spürbar - nicht nur die Geschichte der Schöpfung erzählen wollte. Sondern zugleich die des atmenden Individuums, das sie erlebt.