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Mensch und Maschine. Filmstill aus einer Fabrik in Rio de Janeiro.
© Cristián Silva-Avária

Videoinstallation von Harun Farocki: Alter Affe Arbeit

"Eine Einstellung zur Arbeit": Harun Farockis und Antje Ehmanns Videoinstallation über das globale Dorf im Haus der Kulturen der Welt

Zum Beispiel der Erhu-Spieler im chinesischen Hangzhou. Die wenigen Passanten, die seine Kniegeige hören, laufen achtlos an ihm vorbei. Mit jedem Meter, den sich die Kamera von ihm entfernt, wirkt er verlorener: eine lebende Randnotiz im toten Gelände einer Unterführung. Weiter und weiter rückt er aus dem Blick, bis sich in seinen Tönen eine zweite Melodie verfängt und eine Kreuzung ins Bild gerät, hinter der ein nicht weniger verlorener Erhu-Spieler auf einen Obolus hofft. Oder der Bestatter, der in einem Berliner Krematorium eine Katze in rotes Tuch einschlägt, mit einer Rose bedeckt und mithilfe einer hydraulischen Bühne und einer in die Wand eingelassenen Touchscreen-Steuerung ins Feuer schiebt: halb Hightech-Diener, halb Ritualpriester im Licht eines sechsarmigen Kerzenleuchters. Oder der Lissabonner Gefängniswärter, der sich erkundigt, was die Filmemacherin vor den schrundigen, statisch aufgenommenen Mauern seiner Anstalt verloren hat. Er bleibt so unsichtbar wie sie: die Andeutung einer Parallelwelt, die der Stein verschluckt.

Drei von 90 Kürzestfilmen aus 15 Städten rund um den Globus. Mit den maximal zwei Minuten multipliziert, die jeder Film dauert, ergibt das drei Stunden aus der jüngsten Geschichte der Menschheit. Drei Stunden, die im Berliner Haus der Kulturen der Welt in Endlosschleife rotieren. Aus langen Tagen gesprengte Momente, die durch die Wiederkehr des Immergleichen auch etwas vom Repetitiven der in ihnen festgehaltenen Vorgänge erzählen, von Routinen zwischen Stumpfsinn und stiller Poesie, und von Berufen, die gar keine sind, weil sie eher auf Bettelei, Beschäftigungstherapie und Zeitvernichtung hinauslaufen, auf Tätigkeiten, die heute unter die Kategorie informelle Arbeit fallen.

„Labour in a Single Shot“ heißt das Projekt, das der im vergangenen Juli mit 70 Jahren überraschend verstorbene Harun Farocki und seine Partnerin Antje Ehmann 2011 begannen. Die Besucher ihrer Workshops in Bangalore, Berlin, Boston, Buenos Aires, Genf, Hangzhou, Hanoi, Johannesburg, Kairo, Lissabon, Lodz, Mexiko City, Moskau, Rio de Janeiro und Tel Aviv waren aufgefordert, in einer einzigen Einstellung, also ohne Schnitt, einen Aspekt von Arbeit in ihrer jeweiligen Gesellschaft zu untersuchen. Mit einem Hauch mehr Doppelsinn lautet der deutsche Titel „Eine Einstellung zur Arbeit“. Wenn man allerdings entscheiden sollte, ob dabei auch so etwas wie eine gemeinsame Haltung entstanden ist, gerät man schon durch die pure Internationalität dieser Enzyklopädie ins Zweifeln. Keine Theorie lässt sich ableiten, keine Diagnose, nicht einmal ein durchgängiges Gefühl. Was in dieser Auswahl aus der vollständigen Sammlung zusammenfindet, die sich unter www.eine-einstellung-zur-arbeit.net findet, ist so disparat, dass es höchstens die unendliche Disparatheit dessen illustriert, was als Arbeit gilt – obwohl der Schwerpunkt eindeutig auf ihren materiellen Varianten liegt.

Der Ton kommt aus Soundduschen

Mensch und totes Getier. Im Naturkundemuseum von Lodz.
Mensch und totes Getier. Im Naturkundemuseum von Lodz.
© Magda Kulak

Die Installation im Haus der Kulturen tut das Ihre, die Dialektik von Vereinheitlichung und Differenz auf die Spitze zu treiben. Denn im Halbrund einer riesigen Dunkelkammer begibt man sich in ein globales Dorf, unter dessen nächtlichem Himmel Monitore aufgehängt sind, auf die jeweils die Filme einer Stadt projiziert werden. Deren Identität lässt sich zwar meist mithilfe von Gesichtsschnitten, Schriftzeichen oder Sprachfetzen erraten, aber nur mithilfe einer Karte in der Programmzeitung sicher bestimmen. Der Ton kommt aus Soundduschen, die zwar ein babylonisches Gewirr verhindern, aber gleichzeitig dazu einladen, einmal beim Nachbarn zu lauschen – wie die Monitore auch so aufgestellt sind, dass man immer zwei oder drei von ihnen in den Blick bekommt. Die entgrenzte Ortlosigkeit des Ganzen ist also absichtsvoll inszeniert und wird nur in Schach gehalten von den hochspezifischen Lebensbedingungen vor Ort. Die Website gibt über die Infrastruktur der Städte dabei sehr viel genauer Auskunft als die mit Piktogrammen von Alice Creischer und Andreas Siekmann versehenen Infoseiten der Katalogzeitung.

Wenngleich dies alles keine Filme von Harun Farocki sind, der sich als unverwechselbarer Ethnograf kapitalistischer Verhältnisse und der Überwachungsgesellschaft einen Namen gemacht hat, so tragen sie doch etwas von seinem Blick – und von seiner Aufforderung, nicht den nächstliegenden Zufallsfund heranzuziehen, sondern sich mit einer Erzählidee an schwer zugängliche Orte zu begeben. Durch die formale Beschränkung entsteht weder lupenreines direct cinema, das sich als fly on the wall fühlt, noch jene überinszenierte Dokumentarkunst, die der verstorbene Michael Glawogger in „Megacities“, „Workingman’s Death“ und „Whore’s Glory“, seiner Trilogie über die globalisierte Arbeitswelt, in rauschhafte Bilder verwandelte. Farockis Workshop-Teilnehmer, darunter viele Filmstudenten, suchen das Spannende gerade im Unspektakulären.

Karl Marx und Friedrich Engels für das 21. Jahrhundert

Mensch und Transportesel. Ein Mann in Bangalore liefert Wasser aus.
Mensch und Transportesel. Ein Mann in Bangalore liefert Wasser aus.
© Nikhil Patil/Arav Narang/HKW

Die Schlüsse aus den single shots muss schon jeder selber ziehen – zumal ein Film wie der Einminüter der Gebrüder Lumière über die 1895 zur Mittagspause aus der elterlichen Fabrik strömenden Arbeiter heute in einem ganz anderen Kontext steht: Die 15 Clips über die ihren Heimweg antretenden Arbeiter, die in ebendieser Tradition die Filme aus der Dunkelkammer im Licht des Tages ergänzen, zeigen ein Personal, mit dem Fabrikbesitzer vor allem in den Billiglohnländern nicht mehr renommieren, sondern das sie möglichst unsichtbar halten wollen.

Solche und ähnliche Umstände will eine zweitägige Konferenz erkunden, die sowohl den intellektuellen Überbau zum Thema wie zu Farockis Werk liefert. Sie wird auch erst einmal klären müssen, was unter Arbeit überhaupt zu verstehen ist. Denn wortgeschichtlich etablierte sich Arbeit erst, als die Jäger- und Sammlerkultur von der Agrarkultur abgelöst wurde: Sie steckt im lateinischen arvum, dem Ackerland, wie im germanischen arba, dem Knecht, und bezog sich lange nur auf Mühe, Not und Qual. Begriffsgeschichtlich beginnt ihre große Karriere erst mit der industriellen Revolution. Karl Marx und Friedrich Engels befreiten sie aus Adam Smiths rein nationalökonomischem Verständnis und stellten zugleich Hegels Geistphilosophie vom Kopf auf die politökonomischen Beine. Dabei wurde Arbeit zum anthropologischen Schlüsselbegriff, den Engels in seiner Schrift über den „Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen“ mit den Worten charakterisierte, „dass wir in gewissem Sinne sagen müssen: Sie hat den Menschen selbst geschaffen.“ Wie der Film der Gebrüder Lumière lässt sich auch das sicher ins 21. Jahrhundert übersetzen.

Haus der Kulturen der Welt, bis 6.4., täglich außer Di 11–19 Uhr, Eröffnung von Ausstellung und Konferenz Do 26.2., ab 18 Uhr mit einem Vortrag von Thomas Elsaesser (Eintritt frei), ganztägige Lectures und Präsentationen ab 11 Uhr am Fr 27.2., und Sa 28.2., Details unter www.hkw.de

Gregor Dotzauer

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