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Gesetz des Dschungels. Eine Seite aus „Safari Honeymoon“.
© Rotopolpress

„Safari Honeymoon“ von Jesse Jacobs: Das Wort für Welt ist Wald  

Jesse Jacobs verhandelt in seinen Comics den menschlichen Umgang mit der Natur. In dem jetzt auf Deutsch veröffentlichten „Safari Honeymoon“ schickt er ein junges Paar auf eine verhängnisvolle Reise in den Urwald.

Ursula K. LeGuins Buch „The Word for World is Forest“, ein Science-Fiction-Roman über Ökologie und Kolonialismus, heißt hierzulande „Das Wort für Welt ist Wald“. Ein Titel der ebenso gut als thematische Überschrift für die Comics des Kanadiers Jesse Jacobs taugen würde, welcher sich in seinen Werken mit der Schöpfung und dem Umgang mit ihr beschäftigt. „Hieran sollst du ihn erkennen“, mit dem Jacobs in Deutschland debütierte und das sich frei nach Roald Dahl auch mit „Genesis und die Katastrophe“ überschreiben ließe, bietet ein philosophisch-humanistisch angehauchtes Szenario über Verantwortung und Vernunft im Widerstreit mit Lust und/an Zerstörung und behandelt damit Themen von zeitloser Aktualität. Was diese Schöpfungsgeschichte so besonders macht, ist ihre visuelle Umsetzung: Jack Kirby und Niki de Saint Phalle werden scheinbar mühelos in Jacobs' zwischen geometrischem Schaubild und Horror-Manga á la Junji Ito oder Hideshi Hino wechselnde Bilderwelten überführt, und die von Zärtlichkeit, Eifersucht und Egomanie befeuerten Geplänkel zwischen den Gottheiten werden auf eine mal allmächtige und mal alltägliche Weise vermittelt, die aber nicht immer die volle Anteilnahme des Lesers zu erwecken vermag.

Vom Wandel des Waldes und des Wesens

In seinem neuen Buch „Safari Honeymoon“ geht Jacobs das Thema Mensch und Natur, oder besser Zivilisation gegen Natur, von einem zunächst konventionell erscheinenden Ausgangspunkt an, der an Ernest Hemingways Erzählung „Das kurze glückliche Leben des Francis Macomber“ erinnert. Hemingway beschreibt darin den verhängnisvollen Verlauf einer Großwildjagd, und seine Protagonisten sind ein Ehepaar nebst Fremdenführer. Das verhält sich bei Jacobs genauso, nur dass sich sein Paar in den Flitterwochen befindet. Die rundliche Figuren, die wieder wie von Niki de Saint Phalles Bildhauerarbeiten inspiriert wirken, verlieren im dichtesten Dschungeldickicht auf Grund zivilisatorischer Grundkonditionierung stets zuverlässig den Überblick und verlaufen sich in einer geometrisch ausgeklügelten Ornamentik, die einem verworfenen Konstruktionsplan für einen Irrgarten ähnelt.

Zivilisation gegen Natur: Eine Doppelseite aus „Safari Honeymoon“.
Zivilisation gegen Natur: Eine Doppelseite aus „Safari Honeymoon“.
© Rotopolpress

Ist der Comic anfangs noch relativ unbeschwert und stellenweise verspielt, ändert sich das, als die Natur beginnt, ungemütlich zu werden und die Hochzeitsreise sich zum biologisch-organischen Horrordrama wandelt. „Die Flitterwochen sind vorbei“, bemerkt die Frau einmal, denn Anpassungsfähigkeit und karnivores Verhalten bestimmen nun ihr (Über-)Leben, während man kurz zuvor noch über artgerechtes Töten schwadronierte. Dabei spielt Jacobs mit durch Panels separierten gleich bleibenden Hintergründen, während im Vordergrund des Bildes Metamorphosen fremdartigster Urwaldkreaturen stattfinden, oder diese zur Überraschung des Lesers aus dem Bildhintergrund herausgearbeitet werden. Der Künstler beherrscht das Vorantreiben der Handlung in unverändertem Ambiente ebenso, wenn er verschiedene Abläufe ohne Panelsetzung auf einer Seite inszeniert, was zu einem hübsch verschobenen Wahrnehmungseffekt führt und eine vielfältige rezipierbare Gleichzeitigkeit suggeriert - wobei er auch auf eine bereits bei der Darstellung von Hochgeschwindigkeitsbewegungsabläufen in Superheldencomics erprobte Bildsymbolik zurückgreift.

Frische Luft im schwülen Urwald

Nun ist das Thema Mensch gegen Natur nicht neu, aber Jacobs weiß dem Ganzen einen surrealen Hauch zu verleihen, der sich nicht nur in der experimentierfreudigen Seitengestaltung zeigt. Die Figuren sind überzeugend dargestellt, und wenn die Freuden wie auch der Horror der Metamorphose (wie in John Carpenters Science-Fiction-Horrorfilm „Das Ding aus einer anderen Welt“) von den Protagonisten der Geschichte durchlebt werden, dann nimmt man als Leser durchaus mehr Anteil daran als noch im (deutschen) Vorgängerwerk „Hieran sollst du ihn erkennen“.

Biologisch-organisches Horrordrama: Das Buchcover.
Biologisch-organisches Horrordrama: Das Buchcover.
© Rotopolpress

Interessant ist aber vor allem, wie eine übergeordnete Logik Jacobs' Kunst bestimmt. Die ornamentale Integration von Elementen in sein visuelles Vokabular, die Mikroorganismen ähneln, weist auf eine ganzheitliche Weltsicht hin, die sich am Ende der Geschichte bestätigt findet. Aber ebenso dürfte Jacobs die detaillierte Veranschaulichung seiner sich zwischen Realität und Fantasie bewegenden Flora und Fauna als handwerkliche Herausforderung betrachten. Der sehr feine Strich wird diesem Anliegen jedenfalls gerecht. Auch ist die betonte Stärke der Frau innerhalb der Geschichte anzumerken. Der von Ernest Hemingway einst in ähnlicher Konstellation etablierten Geschlechterhierarchie wird hier mit einem Hauch frischer Luft im schwülen Urwald begegnet.

Selbst ist der Mensch

Jesse Jacobs weiß jedoch auch konstruktive Vorschläge zur Abwendung der sich abzeichnenden und bevorstehenden ökologischen Katastrophe zu machen; in seinem erst kürzlich veröffentlichten englischsprachigen Kurzcomic „Mathematical Solutions For A Global Crisis“ wird dem „globalen Wasserversorgungsnetzwerk“ eine „komplizierte algebraische Formel“ beigefügt, um der Überbevölkerung und dem daraus resultierenden ökologischen Desaster etwas entgegenzusetzen. Was diese ominöse Formel bewirkt, wird hier nicht verraten, das hieße, die dem Format der Ausgabe angemessene Pointe zu verwässern, aber natürlich werden die vielen humorigen Aspekte dieser Aktion bildlich dargestellt. Stilistisch orientiert sich Jacobs hier jedoch  unter offensichtlichem Einfluss des Werkes von Basil Wolverton wieder mehr an der etwas monumentaleren Optik von „Hieran sollst du ihn erkennen“ als an dem filigraneren Feingewächs „Safari Honeymoon“.

Zusammenfassend bleibt zu sagen, dass es im seinem ersten auf Deutsch veröffentlichten Buch trotz oder vielleicht gerade wegen des außergewöhnlichen Themenansatzes bei der glaubwürdigen Figurendarstellung noch etwas haperte, während „Safari Honeymoon“ ein souverän ausgeführtes, sich jedoch bei vielen bereits bekannten Themenvariationen bedienendes Werk ist, welches allerdings vorzüglich unterhält. Der Mini-Comic ist eine interessante und schön anzusehende Stilübung, aber letztendlich wird hier zumindest aus künstlerischer Sicht kein neues Terrain erschlossen. Auf Grund ihrer exzeptionellen grafischen Gestaltung sind jedoch alle drei Arbeiten empfehlenswert.

Jesse Jacobs: Safari Honeymoon, Rotopolpress, 80 Seiten, 18 Euro
Jesse Jacobs: Hieran sollst du ihn erkennen, Rotopolpress, 80 Seiten, 19 Euro
Jesse Jacobs: Mathematical Solutions For A Global Crisis, 28 Seiten, 6 Euro, zu bestellen unter diesem Link.

Weitere Artikel unseres Autors Oliver Ristau finden Sie unter diesem Link.

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