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Siegerlächeln. Diego Maradona feierte große Erfolge. Dann kam der Absturz.
© Meazza Sambucetti/AP/Shutterstoc

Doku „Diego Maradona“: Als der Messias nach Neapel kam

Sagenhafter Aufstieg, tiefer Fall: Die Dokumentation „Diego Maradona“ erzählt von den italienischen Jahren des Fußballstars.

Personal-Trainer Fernando Signorini hat es einmal so ausgedrückt: „Für Diego würde ich bis ans Ende der Welt gehen. Für Maradona mache ich keinen Schritt.“ Die Geschichte des besten Fußballers seiner Zeit – vielleicht aller Zeiten – ist reich an Widersprüchen. Diego Maradona kann scharfsinnig formulieren und eine ansteckende Herzlichkeit ausstrahlen. Doch er kann auch zur Diva mutieren, die von sich selbst in der dritten Person spricht und Vergleiche mit Gott angemessen findet.

Maradona liebt Sportwagen und Frauen, einen unehelichen Sohn erkennt er jahrzehntelang nicht an. In den Achtzigern feiert er gerne bis Mittwoch durch, dann nüchtert er aus, um am Wochenende wieder fit fürs Spiel zu sein. Doch letztendlich muss er lernen: So schnell verschwinden die Koks-Spuren nicht aus dem Blut.

Der Dokumentarfilm „Diego Maradona“ hat viel zu erzählen. Die Kindheit des Argentiniers in einem Armenviertel im Großraum Buenos Aires, wo Maradona als fünftes Kind und erster Sohn der Familie auf die Welt kommt; wie der Vater in einer Fabrik schuftet und die Mutter den Jungen geradezu eifersüchtig liebt: All das reißt der Film nur an. Stattdessen konzentriert er sich auf Maradonas Jahre in Italien, als ihn der notorisch klamme und abstiegsgefährdete Club SSC Neapel vom FC Barcelona nach Kampanien holt – mit damals 24 Jahren.

„Die ärmste Stadt Italiens und vielleicht Europas verpflichtet den teuersten Spieler der Welt“, erklärt ein Nachrichtensprecher in einem Fernsehmitschnitt, der im Film zu sehen ist. Das geht natürlich nur durch das Geld der Camorra. Mit der Familie von Mafia-Boss Carmine Giuliano ist Maradona bald auch eng befreundet. Eine Bekanntschaft, die sieben Jahre später sein Untergang sein wird.

Regisseur Asif Kapadia verengt den Fokus auf den Zeitraum zwischen 1984 und 1991. Eine kluge Entscheidung des Briten, der viel Erfahrung mit Star-Biografien hat: 2010 drehte er einen Dokumentarfilm über den tödlich verunglückten Rennfahrer Ayrton Senna, fünf Jahre später einen über Amy Winehouse. Mit „Amy“ gewann er den Dokumentarfilm-Oscar. Darüber hinaus versuchte Kapadia sich auch an Spielfilmen wie der Kriegsromanze „Ali & Nino“ und dem Inuit-Drama „Far North“, ohne im gleichen Maße zu überzeugen.

Bei seinen dokumentarischen Porträts hat er die Kunst perfektioniert, durch die Lebensgeschichte eines Stars viel über den jeweiligen Zeitgeist und die Bedingungen des Berühmtseins zu vermitteln. So geht es auch in „Diego Maradona“ nicht um die Nacherzählung eines Sportlerlebens, sondern auch um die Wirkungsmacht des Fußballs, die Sportversessenheit der Italiener und den Tribut, den ein Star für seinen Ruhm zahlen muss.

Asif Kapadia nutzt durchweg Archivaufnahmen. Er hat Interviews mit den Beteiligten geführt, auch mit Maradona selbst, doch verwendet er daraus nur den Ton – genauso hat er es schon in „Senna“ und „Amy“ gehalten. Auf der Leinwand sind ausschließlich Bilder zu sehen, die aus der damaligen Zeit stammen: Aufnahmen vom Spielfeld, aus der Kabine, aus dem Privatleben des Superstars.

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Maradona, seine Ex-Frau und auch ein prominentes Mitglied des Fanclubs Napoli Ultras haben dem Filmteam ihre Videoarchive zur Verfügung gestellt. Material, das nie zuvor öffentlich gezeigt wurde. Die leicht verwaschenen Bilder verleihen der Doku den Charme einer Zeitmaschine. Sie flimmern in zügigem Tempo vorüber und schaffen eine in sich geschlossene Welt. Die treibende Musik verleiht „Diego Maradona“ gleichzeitig eine fast schon krimihafte Anmutung.

Widersprüchlicher noch als das Wesen des Sportlers sind die Emotionen, die ihm von den Neapolitanern entgegengebracht werden. Sie lieben ihn ekstatisch, solange er den Verein aus dem fußballerischen Nirgendwo an die Spitze der Liga und Europas schießt. Wenn Maradona auf der Straße auftaucht, umringt ihn ein Pulk hysterischer Fans. Sie klopfen ihm auf die Schulter, tätscheln die schwarzen Locken. Der Star lässt es über sich ergehen und setzt dieses kindliche Grinsen auf. Doch die Geister, die er heraufbeschwört, werden ihm bald schon unheimlich.

Er versenkt den entscheidenden Elfmeter gegen Italien

Seine Psyche leidet, er will weg aus Neapel. Doch die Vereinsbosse lassen ihn nicht. Er trifft und spült Geld in die Kasse, warum sollte er da gehen? Maradonas Verzweiflung verwandelt ihn endgültig in den Kotzbrocken, den die Italiener zu hassen lernen. Erst recht, als er im Halbfinale der Weltmeisterschaft 1990 mit Argentinien auf Italien trifft – ausgerechnet in Neapel.

Natürlich verwandelt Maradona den entscheidenden Elfmeter, der die Italiener aus dem Turnier kickt. Hoffte er im Vorfeld noch, die Neapolitaner, vom reichen Norden Italiens stets verhöhnt, würden für seine Argentinier jubeln, kann er sich nach dem Spiel vor Anfeindungen nicht mehr retten.

Asif Kapadias Dokumentarfilm entwickelt durch die Geschichte des sagenhaften Aufstiegs und tiefen Falls einen ungemeinen Sog, wobei er beinahe biblische Dimensionen erreicht – nicht nur, weil sich Diego Maradona immer wieder selbst zum Erlöser stilisiert.

Der Film fängt den unbedingten Willen der Menschen ein, an etwas zu glauben. Er zeigt den Wahnsinn dieses Lebens, den Rausch und die Traurigkeit. Als Maradona nach Neapel kam, begrüßten ihn 85 000 Fans. Der Messias verlässt die Stadt ganz und gar allein.

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