Amy-Winehouse-Doku im TV: Zurück in die Schwärze
Der preisgekrönte Dokumentarfilm „Amy“ zeichnet das bewegte Leben der Ausnahmesängerin Amy Winehouse nach. Nun ist er auf Arte zu sehen.
„Ich werde nicht berühmt. Meine Musik ist nicht auf diesem Level. Manchmal wünsche ich es mir, aber ich glaube nicht, dass ich berühmt werde. Ich könnte gar nicht damit umgehen. Wahrscheinlich würde ich einfach verrückt werden.“ Das sagt Amy Jade Winehouse dem britischen „Observer“ in einem Interview. Da ist sie gerade zwanzig. Es ist Oktober 2003, Amy ist mit ihrem ersten Album „Frank“ auf Tour. Nur drei Jahre später wird sie mit ihrem zweiten – und zugleich letzten – Album „Back to Black“: berühmt. Es ist Oktober 2006. Fünf Jahre später ist Amy Winehouse tot.
Der über zweistündige, mit dem Oscar und dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnete Dokumentar-Langfilm „Amy“ des britischen Filmautors Asif Kapadia zeichnet nun auf Arte dieses viel zu kurze, in vielem tragische und haltlose Leben nach. Die ARD hatte Amy Winehouse bereits 2013 in der Reihe Pop-Legenden ein Porträt gewidmet. Das Kind Amy war eigentlich ein fröhliches, ein lustiges, ein sehr aufgewecktes. Die Teenagerin beginnt, mit ihren Kanten anzuecken, doch in allem ist sie dabei authentisch, offen, sehr direkt, vulgär auch. Regisseur Kapadia vermag es, der von ihm Porträtierten auf einfühlsame, stets respektvolle und niemals kompromittierende Weise sehr nahe zu kommen. Neben seltenen, unveröffentlichten Archiv- und Dokumentaraufnahmen – darunter zahlreiche von Amy Winehouse mit kleiner Kamera selbst gedrehte Privatfilme –, kommen Zeitzeugen zu Wort, die die Soul-Sängerin gut kannten: Enge Wegbegleiter, Freunde und Kollegen, darunter etwa ihr Manager Nick Shymansky, Musik-Studiobosse von Universal Island Records, ihr Produzent Salaam Remi, oder auch ihre Schulfreundinnen Lauren Gilbert und Juliette Ashby.
Bulimie und Depressionen
Als Amy neun Jahre alt ist, trennen sich ihre Eltern Janis und Mitchell Winehouse, die überraschend ebenfalls in dem Film sprechen. Es ist diese tiefe Zäsur, dieses starke Erdbeben, das in Amys Leben lange nachhallt. Das fragile Mädchen verändert sich, bricht aus allem aus. Sie lässt sich Tattoos und Piercings stechen, zieht sich an, wie sie es will, trägt Make-up, findet es cool, zu fluchen und schwänzt die Schule. Auch isst sie viel, um es im Anschluss wieder zu erbrechen. Die Bulimie wird sie fortan ebenso begleiten wie die Depression. Mit dreizehn verschreibt ihr ein Arzt erstmals Antidepressiva. „Ich wusste nicht, was Depressionen sind. Ich fühlte mich nur anders als die anderen“, sagt sie an einer Stelle des Films aus dem Off. Es ist dieses Anderssein, das sich durch Amys kurzes Leben zieht. Durch ihre sehr eigene dunkle Jazz- und Soul-Musik auch.
„Back to Black“, so Produzent und DJ Mark Ronson, habe Amy Winehouse in zwei, drei Stunden komplett geschrieben. In dokumentarischen Szenen ist zu sehen, wie sie den Song, vielleicht ihren berühmtesten, im Studio in New York einsingt. Es ist März 2006. Amy verarbeitet in den Songs zu ihrem nächsten geplanten Album die schmerzliche und einschneidende Trennung ihres Freundes Blake Fielder-Civil. Blake hatte sich von Amy getrennt, später werden sie fatalerweise erneut ein Paar, heiraten 2007 in Miami. Beide sehr labile, haltlose Charaktere, leben sie im Londoner Stadtteil Camden eine Zeitlang geradezu symbiotisch, trinken viel, nehmen Drogen. Heroin, Kokain, Crack. Die privaten Filmaufnahmen, die in „Amy“ zu sehen sind, haben dabei etwas Erschütterndes in sich. „Und ich beschreite einen schweren Weg. Meine Chancen stehen schlecht. Ich gehe zurück in die Schwärze“, heißt es in dem Song „Back to Black“. Indem sie ihren Schmerz in den selbstgeschriebenen Songs verarbeitet, bekennt Amy Winehouse aus dem Off in einer der Audio-Aufnahmen, überlebe sie.
Das im Oktober 2006 publizierte Album „Back to Black“, das auch den anderen großen Hit „Rehab“ enthält, in dem Winehouse ihre Entziehungskuren thematisiert, wird zum Megaseller: 1,5 Millionen Alben allein im Erscheinungsjahr. Was folgt, sind Preise über Preise, Talkshows, Interviews, Tourneen und die gnadenlose Hetzjagd der Paparazzi-Meute, die sie überall und immerzu abfängt. Im Februar 2007 wird Amy auf den Brit Awards als beste britische Sängerin geehrt. Ihr Aufstieg ist von nun an schwindelerregend rasant. Für Amy viel zu schnell. Sie ist 23. Der „Rolling Stone“ titelt 2007: „The Diva & Her Demons“.
Eine alte Seele
Immer wieder nennen Freunde und Kollegen sie „eine alte Seele“. Produzent Salaam Remi etwa sagt einmal in „Amy“, er habe den Eindruck gehabt, dass sie, als sie 18 war, eigentlich schon 65 gewesen sei. Und er habe sich gefragt, was mit ihr erst werden soll, wenn sie einmal 25 ist. Diese junge schöne kluge Frau mit der ikonischen Beehive-Frisur und der dunklen Soul-Stimme benennt selbst die 1960er als die Zeit, die ihr Vorbild sei, in der sie sich zuhause fühle.
Das sagt sie als Zwanzigjährige, als die 1960er Jahrzehnte vergangen sind. Diese junge jüdische Frau aus London, hochverletzlich und hochbegabt, sie passte nicht in die Zeit, in die sie am 14. September 1983 hineingeboren wurde.
Am 23. Juli 2011 stirbt Amy Winehouse im Alter von nur 27 Jahren in London Camden. Alkoholvergiftung. 4,16 Promille. Die Kernzeit ihrer Karriere als Soul-Sängerin, Jazz-Musikerin, Gitarristin beträgt acht Jahre. In diesen acht Jahren erhielt sie sechs der begehrten Grammy Awards und es verkauften sich über 33 Millionen Tonträger. „Wenn ich mich für berühmt halten würde, würde ich mich umbringen. Das ist beängstigend. Ich habe wirklich Angst davor“, sagt sie einmal in diesem herausragenden und berührenden Dokumentar-Langfilm „Amy“. Diese Angst auszuhalten, hat sie nicht geschafft. – „I go back to black.“ Ich gehe zurück in die Schwärze.
„Amy“, Freitag, Arte, 21 Uhr 45
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