Popstar Dua Lipa mit zweitem Album: Alpha-Girl in der Disco
Dua Lipas zweites Album „Future Nostalgia“ erscheint mitten in der Coronakrise. Ihr Endorphin-Pop kommt genau zur rechten Zeit.
Die Zwangspause des Kulturlebens hat im Pop einen erstaunlichen Kreativitätsschub hervorgebracht. Aber irgendwann hat man auch mal genug von dreitagebärtigen Musikern, die auf Youtube traurige Quarantänesongs klampfen. Was man wirklich brauchen könnte, wären Lieder – und zwar neue – die ein Versprechen auf die Zukunft sind, weil sie in der Gegenwart zumindest für die Dauer ihres Erklingens alle Sorgen vertreiben. Aber wer würde sich so was jetzt trauen?
Auftritt Dua Lipa. Die 1995 in London geborene Tochter aus dem Kosovo eingewanderter albanischer Eltern hatte überlegt, die Veröffentlichung ihres neuen Albums zu verschieben – weniger, weil sie aufgrund fehlender Promotionsmöglichkeiten Umsatzeinbußen befürchtete, sondern eher, weil sie zweifelte, ob ihre Lieder in eine Zeit des Rückzugs passen würden. Wir können uns glücklich schätzen, dass sie bei ihrem ursprünglichen Plan blieb.
Dua Lipa kann sich mit Madonna messen
Denn „Future Nostalgia“ ist genau die richtige Platte, um Niedergeschlagenheit wegzutanzen: eine Discopop-Glücksexplosion für 37 Minuten endorphinausschüttendes Gezappel im Wohnzimmer. Es gibt keinen schwachen Song auf dem Album, das eher wie das Karrieredestillat einer Großkünstlerin wie Madonna klingt denn als zweites Werk einer jungen Frau, die von vielen bislang als willfähriges Geschöpf von Produzenten und Plattenfirmen unterschätzt wurde.
Was aber schon früher ein Missverständnis war, schließlich hatte das Ex-Model fast alle Stücke ihres 2017 erschienenen und zwei Millionen Mal verkauften Debütalbums mitkomponiert. Für den Nachfolger hat sie im Laufe von zwei Jahren eine Vorauswahl von fast 60 Songs in Rohversionen aufgenommen, darunter Arbeiten mit Nile Rodgers, Mark Ronson und Pharrell Williams, die es alle nicht auf das Album geschafft haben– man darf auf die Deluxe-Editionen gespannt sein.
Die elf finalen Stücke wollen nicht krampfhaft originell sein. Es gibt keine avantgardistischen Beat-Labyrinthe, keine zerhäckselten Autotune-Gesänge, keine nur für Nerds erkennbaren Anspielungen. Der Song, in dem Olivia Newton- Johns Monsterhit „Physical“ aus dem Jahr 1981 zitiert wird, heißt: „Physical“ – und ist keine Kopie, sondern eine intuitive Fortschreibung.
Die Achtziger sind ihr Zuhause
Die 80er sind ohnehin das Pop-Jahrzehnt, in dem sich Dua Lipa am wohlsten fühlt, dicht gefolgt von den 90ern. Doch obwohl man immer wieder Vertrautes zu hören glaubt, wie das Gitarrenlick aus Prince’ „Kiss“ in „Pretty Please“, den muskulösen Disco-Bass in „Don’t Start Now“, die typischen Daft- Punk-Filtersounds in „Break My Heart“ oder „Flashdance“-Athletik in „Hallucinate“, fügt sich alles zu einem epochenüberspannenden Flow. Dass Dua Lipa ihren 80er-Enthusiasmus nicht mit Ironie bricht, sondern echte Liebe auch für deren peinlichere Seiten aufbringt, macht die Zeitreise umso überzeugender.
In den Texten variiert sie Girl-Boy-Klischees aus der Perspektive eines selbstbestimmten weiblichen Subjekts. Im Titelstück, dem am ehesten nach 2020 klingenden Song, inszeniert sie sich als „female alpha“, in „Boys Will Be Boys“ thematisiert sie die alltäglichen Belästigungen von Frauen. Und manchmal ist sie einfach albern, wie in „Good In Bed“, wo sie mit fröhlichem Lily-Allen-Kieksern kräht: „We drive each other mad / But baby, that’s what makes us good in bed“.
Dua Lipas dunkle, an Róisín Murphy erinnernde Stimme, bildet das natürliche Zentrum des Albums. Dennoch ist „Future Nostalgia“, an dessen Aufnahme über 50 Menschen beteiligt waren, eine Feier des Kollektivs: Schwer vorstellbar, dass das ansteckende Gefühl von Empowerment, das die Platte durchzieht, per Heimstudiogefrickel in der Selbstisolation hätte entstehen können. Nur tanzen müssen wir vorerst alleine zu diesen Songs, die auf jeder Tanzfläche zünden würden.
Dua Lipa - Future Nostalgia (Urban/ Universal)
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