Popmusik-Playlist: Abheben auf dem Wohnzimmer-Dancefloor
Funky Weltraumpartys, aufgekratzte Gitarren, einsame Herzen. Zehn Songs für den heimischen Dancefloor zusammengestellt von der Tagesspiegel-Popredakteurin.
1. Robyn: „Dancing On My Own“ (2010)
Tanzen hilft gegen Frust jeder Art. Es sollte also dringend ins derzeitige Heimaktivitäten-Programm aufgenommen werden. Ein guter Start gelingt mit diesem grandiosen Elektropop-Hit der schwedischen Musikerin Robyn. Er handelt davon, wie sie ihren Ex im Club beim Küssen mit einer anderen Frau beobachtet. Die in Ecke stehende Sängerin ignoriert er völlig. Egal – sie tanzt einfach die ganze Nacht durch: „I keep dancing on my own“.
Im vergangenen April war der Song einer der Höhepunkte von Robyns Konzert im ausverkauften Velodrom. Mittendrin hörte sie auf zu singen, die Band spielt nicht mehr und der ganze Saal übernahm den Refrain. Das scheint ewig her zu sein, doch die Erinnerung bringt ein Lächeln aufs Gesicht beim einsamen Tanz im Wohnzimmer.
2. DJ Koze: „Pick Up“ (2018)
Ebenfalls perfekt für den Home-Dancefloor ist dieser melancholische Track des Hamburgers Stefan Kozalla alias DJ Koze. Er basiert auf der genialen Verschraubung von zwei Samples aus den Siebzigern, wobei die zentrale Gesangszeile von „Neither One Of Us (Wants To Be The First To Say Goodbye)“ von Gladys Knights & The Pips stammt. Das sechseinhalbminütige Stück, von dem es auch eine Zehn-Minuten-Disco-Version gibt, erinnert stark an den French House der Neunziger, vor allem an Stardusts „Music Sounds Better With You“. Was aber überhaupt nichts macht, schließlich war das eine tolle Zeit und „Pick Up“ ist eine mitreißende Hommage.
3. Erykah Badu „Cel U Lar Device“ (2015)
Weniger tippen, mehr reden – Telefongespräche erleben gerade eine Renaissance. Die Erinnerung an die inzwischen ausbleibenden Anrufe eines Geliebten sind das Thema von Erykah Badus „Cel U Lar Device“, dessen Titel Cellular Device, also Mobiltelefon bedeutet. Es ist eine Coverversion von Drakes „Hotline Bling“, das wiederum auf einem Sample von Timmy Thomas’ „Why Can’t We Live Together“ basiert. Badus „Hotline-Bling“-Interpretation ist um einiges unterhaltsamer als die von Drake. Bei ihr ist einfach mehr los in der Leitung, es gibt die besseren Beats, dazu ein lustiges Interlude, in dem Badu ein Sprachmenü mit acht Quatsch-Optionen durchdekliniert und wunderbar spacig-psychedelisches Warteschleifengewaber. Wenn der Typ nicht anruft, hebt sie eben ohne ihn ab.
4. Air feat. Beth Hirsch „All I need“ (1998)
Weit oben schwebt auch das französische Duo Air auf seinem Album „Moon Safari“, von dem dieser federleichte Song stammt. Sphärische Synthesizer, ein dezenter auf den Snare-Rand geklopfter Beat und der verhallte Gesang der Amerikanerin Beth Hirsch lassen alle Sorgen im Himmel verschwinden und die Glieder sanft im Sofa versinken.
5. Parliament: „Mothership Connection (Starchild)“ (1975)
Noch höher hinaus geht es mit George Clinton und seinem Parliament-Kollektiv. Auf dem Funk-Meisterwerk „Mothership Connection“ sind sie mit einem Ufo im Weltraum unterwegs, das auf dem Cover abgebildet ist. Clinton schaut kreischend aus der Tür – in silberner Fantasieuniform und extra hohen Plateaustiefeln. Wahrscheinlich läuft drinnen gerade die Party, von der der super lässig groovende Titelsong handelt. Der Aufbruch ins All ist nicht nur bei Parliament sondern bei vielen schwarzen Musikerinnen und Musikern von Sun Ra bis Janelle Monáe ein fester Topos. Charakteristisch für diesen auch in der Literatur anzutreffenden Afrofuturismus’ ist, dass sich die Künstlerinnen und Künstler einen utopischer Zukunftsort jenseits irdischen Diskriminierung imaginieren. Bei Clinton & Co. halfen sicher auch Drogen bei der Fluch in andere Welten.
6. Stevie Wonder: „Superstition“ (1972)
Irgendwann müssen alle wieder zurück auf die Erde, wo der ganze Ärger wartet. Dazu gehören Gerüchte, Verschwörungstheorien und Falschmeldungen, die in Krisenzeiten leider Hochkonjunktur haben. Am besten gar nicht hinhören und sich mit Stevie Wonders „Superstition“ immunisieren. „When you believe in things/ That you don’t understand/ Then you suffer/ Superstition ain’t the way“ singt er in diesem funky Hit von seinem Album „Talking Book“, mit dem er sich endgültig von seinen Motown-Anfängen emanzipierte. In der zweiten Strophe hat er übrigens auch noch einen zeitlosen Hygiene-Tipp parat: „Wash your face and hands“ heißt es da. Mit dem knackigen Bläsersatz von „Superstition“ macht das auch gleich mehr Spaß.
7. Bilderbuch: „Bungalow“ (2017)
Der beste deutschsprachige Song der letzten fünf Jahre stammt von der österreichischen Band Bilderbuch. „Bungalow“ verbreitet sofort gute Laune mit seinem Plucker-Orgel-Reggae-Groove und dem debil-genialen Text, er sich derzeit allerdings an der Grenze zur Illegalität bewegt, wird darin doch eine Einladung in einen Bungalow ausgesprochen. Anbahnung eines nicht unbedingt nötigen Sozialkontaktes! Es scheint aber letztlich nicht dazu zu kommen, stattdessen wird viel telefoniert und dann auch wieder nicht, weil das Ladegerät fehlt. So genau lässt sich das alles nicht sagen, aber in „Bungalow“ geht es ohnehin vor allem darum, dass der Text irgendwie gut klingt – und das tut er. Falco wär stolz auf Bilderbuch.
8. The Police: „So Lonely“ (1978)
Reggae- mit Rockelementen zu verbinden war das Markenzeichen des britischen Trios The Police. Bei diesem Song von ihrem Debütalbum bedienten sie sich schamlos bei Bob Marleys „No Woman, No Cry“ – was Sting auch zugegeben hat. Im schnell nach vorne rockenden Refrain singt er immer wieder „so lonely, so loneley, so lonely“, womit er derzeit vielen allein lebenden Singles aus der Seele sprechen dürfte.
9. Sleater-Kinney: „Call The Doctor“ (1996)
Noch ein bisschen weiter toben kann man mit dem Titelsong von Sleater-Kinneys zweitem Album, einem Riot Grrrl- Klassiker. Großartig wie die Gitarren sägen, wühlen, krachen! Carrie Brownstein und Corin Tucker singen im Refrain gegeneinander an, was die vibrierende Spannung dieses Stücks noch erhöht. Es geht um die Liebesleid, aber auch die Anpassungszumutungen der Gesellschaft. Das stresst, das nervt bis der Arzt kommt. Zum Glück ist es nur ein metaphorischer Hilfeschrei – das medizinische Personal hat gerade genug zu tun.
10. Michelle Gurevich: „Love From A Distance“ (2020)
Kurz nach Beginn der Krise in der westlichen Hemisphäre hat die kanadische Songwriterin Michelle Gurevich diesen zarten Song über die Liebe in Zeiten der sozialen Distanzierung veröffentlicht. Das Paar – offenbar in einer Fernbeziehung – sitzt in Zimmern weit voneinander entfernt und denkt aneinander. Nur von zwei Akustikgitarren begleitet, singt Gurevich, die eine zeitlang in Berlin gelebt hat, mit ihrer tiefen beruhigenden Stimme: „The spring has sprung/ But it’s no fun/ All our plans abruptly turned to none.“ Ja, der Frühling ist gekommen, aber Spaß macht er nicht. Doch das alles wird vergehen und so endet der Song mit einem hoffnungsvollen Gruß: „I’ll see you soon/ When this is through“. Wir sehen uns bald, wenn das hier vorbei ist.
Alle Titel dieser Liste finden Sie in der der Tagesspiegel-Spotify-Playlist "Abheben im Wohnzimmer".
Nadine Lange
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität