Musikerinnen-Porträts im Buch „These Girls“: Für sie soll’s rote Rosen regnen
Wie Frauen die Popwelt eroberten: Der Sammelband „These Girls“ unternimmt Streifzüge durch die feministische Musikgeschichte.
— Juliane Streich (Hg.): These Girls: Ein Streifzug durch die feministische Musikgeschichte. Ventil Verlag Berlin. 340 S., 20 Euro.
Als die britische Sängerin Dusty Springfield 1968 in London ihr neues Album aufnimmt, lernt sie den damals noch völlig unbekannten Musiker John Paul Jones kennen. Er arrangiert einige ihrer Songs und lädt sie eines Abends auf ein Konzert seiner neuen Band ein. Begeistert von deren Auftritt empfiehlt Dusty Springfield die Gruppe dem Produzenten Jerry Wexler von ihrer amerikanischen Plattenfirma Atlantic Records. Sofort bekommen die vier jungen Männer einen Vertrag – und ihre Weltkarriere mit Led Zeppelin beginnt.
Soulsängerin hilft legendärer Rockband auf die Sprünge. Wahrscheinlich ist die Geschichte nicht ganz vollständig, aber sie klingt verdammt gut. Verständlich, dass Sven Kabelitz sie in seinem Dusty-Springfield-Porträt für den Sammelband „These Girls. Ein Streifzug durch die feministische Musikgeschichte“ erzählt. Der Beitrag zählt zu den kurzweiligsten und zugleich informativsten des Buches, das die 1983 in Ost-Berlin geborene Musikjournalistin Juliane Streich herausgegeben hat.
In der Einleitung beschreibt sie ausgehend von der eigenen Sozialisation wie stark das Popmusikgeschäft immer noch von Männern dominiert ist und betont wie wichtig Vorbilder für Musikerinnen sind. „Das ist eine der vielen Motivationen für dieses Buch: Role Models vorstellen.“
Eine gewisse Wundertütenhaftigkeit
Selbst wenn man im Netz inzwischen nicht mehr lange nach tollen Frauen in der Popmusik suchen muss, ist es doch äußerst anregend mehr als 120 Musikerinnen und Bands auf einen Schlag beisammen zu haben. Von ihren Anfängen, Rückschlägen und Erfolgen zu lesen, kann in der Tat eine inspirierende Wirkung haben. Gegliedert nach Jahrzehnten beginnend mit den 1940er/50ern endend in den 2010ern werden so unterschiedliche Größen wie Édith Piaf, Etta James, Joni Mitchell, Nina Hagen, Gustav, Beyoncé oder Anohni vorgestellt.
Die Auswahl ist selbstredend nicht vollständig, was Streich auch gleich zu Beginn des Vorwortes einräumt. Allerdings klaffen doch einige völlig unverständliche Lücken. Dass Nena nicht gewürdigt wird, die in den Achtzigern einer der größten deutschen Popstars und von zahllosen Mädchen angehimmelt, erscheint ebenso absurd wie das Fehlen von Amy Winehouse und Adele.
Aufgewogen wird das durch eine Reihe von Porträts weniger bekannter Musikerinnen wie Linda Perhacs, Phranc oder Marisa Anderson. Diese Vielfalt verleiht dem Band eine gewisse Wundertütenhaftigkeit, die sich auch auf den Stil der Texte ausdehnt. Einige sind als sachliche Lexikoneinträge geschrieben, es gibt aber auch zahlreiche sehr subjektive Perspektiven, deren Niveau stark schwankt.
„Du musst an deine Peinlichkeiten ran“
Ein besonders lesenswertes Beispiel stammt von den Journalistinnen und Musikerinnen Sandra und Kerstin Grether, die einen Hausbesuch bei Annette Humpe schildern, die seit ihrer Zeit mit der Berliner Band Ideal ihr Idol ist. Sie serviert Kaffee, gibt den Zwillingen eine Image-Beratung und Tipps zum Hitschreiben („Du musst an deine Peinlichkeiten ran“).
Ein weiteres Highlight des Buches stammt von Andreas Spechtl, der als Sänger der österreichischen Indie-Band Ja, Panik bekannt geworden ist. In seinem liebevollen Beitrag über die Berliner Band Britta erzählt er, wie er 2001 extra nach Wien gefahren ist, um sich das Album „Kollektion Gold“ zu kaufen, das er für die beste deutschsprachige Platte hält.
„Alles, was ich damals wusste von Berlin, noch bevor ich das erste Mal da war, wusste ich von Britta und ,Kollektion Gold’. Das meiste, was ich von Berlin heute weiß, weiß ich immer noch davon. Das Berlin von Britta war die Stadt, in die ich ziehen wollte.“ Spechtl hat das schließlich umgesetzt und wurde später Teil der Britta-Szene, spielte etwa auf den Soloalben von Sängerin Christiane Rösinger mit.
Ein leicht Fanzine-artiger Charme
Manchmal geht es mit der radikal persönlichen Annäherung aber auch schief. Etwa wenn Linus Volkmann bevor er zu seinem Thema kommt erst mal eine Seite lang mittelspannend aus seinem Musikjournalisten-Nähkästchen plaudert, um dann in gönnerischer Mansplaining-Manier zu verkünden: „Denn, liebe friends, es gibt großartigen offensiven feministischen Rap, der zudem noch ehrfurchtgebietend Old School ist.“
Stimmt, das sind die von ihm vorgestellten Yeastie Girlz tatsächlich. Gern hätte man etwas mehr über die drei Frauen aus Kalifornien erfahren – zum Beispiel ihre Namen! Doch stattdessen breitet Volkmann lieber seine Erlebnisse mit dem bekifften Redakteur eines Hanfmagazins aus. Besonders bedauerlich sind seine Abschweifungen, weil dies einer der wenigen Beiträge zu Rapperinnen in „These Girls“ ist. Es dominieren die Genres Pop, Rock und Folk.
In die Texte des Bandes, die von Musikerinnen wie Françoise Cactus, von Journalisten wie Klaus Walter und von Wissenschaftlerinnen und Schriftstellern stammen, wurde offenbar kaum lektorierend eingegriffen. Daraus resultiert ein leicht Fanzine-artiger Charme, der sich auch im schlichten Layout spiegelt.
Knef hätte sicher grollend gelacht
Das Ganze ist oft witzig und kurzweilig, selbst bei den schaumschlägerischen Ausführungen über Patti Smith, der unterstellt wird, dass sie „die Tektonik des Identitätsdenkens einer Dynamisierung (aussetzt), um deren elementare Plastizität auszustellen.“ Gar nicht so leicht schon Hunderte Male besungene Stars noch einmal originell zu beschreiben.
Äußerst kühn geht Jasper Nicolaisen dieses Problem in seinem Hildegard-Knef-Beitrag an, den er in einer schnodderigen Kaskade von Fragen und Assoziationen verfasst hat. „War sie überhaupt eine anständige Feministin? Gut, die katholische Kirche hat ,Die Sünderin’ boykottiert. Gut, sie war ein Star in Hollywood. Aber reicht uns das schon? Gut, sie klang wie viele Packungen Zigaretten und nicht wie ein süßes Mädchen....“
Manchmal wird er dreist und respektlos, aber irgendwie passt es dann doch. Die Knef hätte sicher grollend gelacht über diesen Text – und hängen bleibt er allemal. Was will man mehr?
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