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Nora Gomringer beim Bachmann-Preis.
© epa / Gert Eggenberger / dpa

Nora-Eugenie Gomringer gewinnt Bachmann-Preis: Allerlei Affen und ein toter Teenager

Bei den "Tagen der deutschsprachigen Literatur" gab es so viele preiswürdige Texte wie lange nicht. Am Ende wurde Nora Gomringer mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet. Eine Klagenfurter Inszenierung.

Es gibt in dem Text der diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Preis-Gewinnerin Nora Gomringer eine Szene, in welcher, ähnlich wie einst bei Thomas Kapielski, der Vorlesewettbewerb selbst zur Sprache kommt. Eine von Gomringers Figuren, eine Germanistikprofessorin, erwähnt, dass ja gerade wieder die Tage seien, „in denen der Wettbewerb bei 3Sat gezeigt wird“. Sogar den Wecker stellt sie sich dafür, „mitten am Tag“, und schaut sich dann an, „wie sie die jungen und mitteljungen und alten Autoren zerlegen. Ihnen ihre Zähne ins vom Sitzen weiche Fleisch hauen“.

Das klingt dramatisch, entspricht aber nicht mehr der Realität bei den alljährlich in Klagenfurt stattfindenden „Tagen der deutschsprachigen Literatur“. Texte werden von der Jury sehr wohl zerlegt, literaturkritisch, aber keine Autoren. Zumal nicht in diesem Jahr, das so viele preiswürdige Texte wie lange nicht hatte. Und in dem es zum anderen einer der schwächsten Beiträge, Jürg Halters ödes Gedankenexperiment über die Menschheitsgeschichte, bei der Abstimmung am Sonntag auf die Shortlist schaffte – weil sich der Juror, der ihn ausgewählt hatte, Juri Steiner, unermüdlich für ihn einsetzte.

Nora-Eugenie Gomringer spiegelt Wettbewerbssituation und den Raum, in dem sie sich fünf Tage bewegte

Dass aber Gomringer die Wettbewerbssituation und den Raum, in dem sie sich selbst fünf Tage lang bewegte, in ihren Text spiegelt, passte gerade dieses Mal perfekt. Denn auffallend war der unbedingte Wille fast aller Autorinnen und Autoren zur Inszenierung von Text und eigener Person. Das fing an mit den Porträtfilmchen, die den Lesungen vorangestellt waren: Teresa Präauer präsentierte sich zum Beispiel tanzend und setzte zum Schluss eine auf ihre Erzählung verweisende Affenmaske auf; Sven Recker dagegen legte eine von düsteren Tönen unterlegte Nachtszenerie vor. Und das setzte sich bei den Auftritten fort: Die Autoren lasen nicht nur vor, sondern performten ihre Texte, gestisch, mimisch, verbal expressiv. Diverse Male war in den Diskussionen der Jury folglich von einem „Gesamtkunstwerk“ die Rede.

Nora Gomringers Heldin will den Tod eines Teenagers klären

Insofern ist die 1980 im saarländischen Neukirchen geborene und in Bamberg lebende Nora Gomringer die logischste, aber durchaus verdiente Siegerin des Bachmann-Wettlesens 2015. Von Haus aus Lyrikerin und Poetry-Slammerin, führte Gomringer ein vielstimmiges Hörspiel auf. Mit einer Autorin namens Nora Bossong als Hauptfigur, die versucht, in einem Hochhaus dem Selbstmord eines 13-Jährigen auf die Spur zu kommen. Bossong, die es ja im wirklichen Leben gibt, klopft mit einem Aufnahmegerät in der Hand bei den Hausbewohnern an und befragt diese nach dem Tod und ihrem Verhältnis zu dem Jungen, unter anderem die Pflegemutter, einen Frührentner, eben jene Germanistikprofessorin und eine vierköpfige Familie.

Immer wieder wechselt hier die Perspektive, sagt ein anderer „Ich“, weshalb man einiges über die Bewohner erfährt, das Bossong nicht erfährt. Es ist halt so eine Sache mit der Wahrheit, der poetischen zumal – und am Ende hat Bossong „nichts bewegt, nur ein wenig teilgenommen am Verraten durch Zuhören“.

Das Schöne an Gomringers „Recherche“ ist, dass sie still gelesen tatsächlich ähnlich gut funktioniert wie bei ihrem Auftritt am Donnerstag. Und sie auch poetischen Mehrwert hat durch das Öffnen literarischer Räume, etwa mit dem Auftritt des Erlkönigs. Oder durch das Führen eines Metadiskurses, als die Professorin sich erinnert, dass sie und ihr Partner einst nicht genug bekamen „von der Gelehrsamkeit“, davon, sich gegenseitig „die Speise Text“ zu verfüttern.

Preisträgerin Nora Gomringer
Preisträgerin Nora Gomringer
© dpa

Noch mehr als Gomringer hatte die Österreicherin Teresa Präauer das ORF-Studio zu einer Bühne gemacht, mit ihrer Erzählung über einen Mann, der sich im Affenkostüm für eine Frau zum Affen macht; aufdringlicher jedoch, mit „u-u-u-u-u-s“ und „i-i-i-i-s“, mit schlechten Reimen, überflüssigen Anglizismen und Sätzen wie „So aber muss ich hier erst einmal meinen Wagen suchen und in den Su-su-supermarkt cruisen“. Präauer begeisterte Publikum und Jury, wurde aber bei der Verleihung von ganz vorn (zwei Jurystimmen für sie als Bachmann-Preisträgerin) nach hinten durchgereicht und ging leer aus. Zu Recht.

Denn die 26-jährige Grazerin Valerie Fritsch, die den zweiten Preis gewann, den Kelag-Preis, und die 1979 in Bukarest geborene und in Zürich lebende Dana Grigorcea (3-Sat-Preis) legten die besseren, poetischeren, literarischeren Geschichten vor. Fritsch über einen beinamputierten alten Mann, der dem Tod entgegensieht; Grigorcea über ein paar Menschen und diverse mediale Fehlzündungen im Rumänien zuzeiten Ceaucescus und der Nachwende. Dass Fritsch zudem den Publikumspreis gewann, mit einer dem Trend entgegenstehenden, mitunter ausdruckslosen Lesung, fügt sich allerdings nicht ins Gesamtbild. Da hätte man mehr auf Gomringer oder Präauer gewettet.

Ronja von Rönne gibt das Glamourgirl

Mag aber der im Fernsehen bei 3Sat komplett live übertragene Wettbewerb seine Meister gefunden und durch die Inszenierungen der Autorinnen und Autoren in seinem medialen Inneren aufs Beste getroffen worden sein – die Jury wollte sich dem nicht ausschließlich fügen. Das beweisen der Preis für Fritsch, das Pech von Präauer, aber auch die Diskussion über den Beitrag von Ronja von Rönne.

Obwohl von Rönne im Vorfeld das Glamourgirl schlechthin in Klagenfurt war, wegen ihres „Warum mich der Feminismus anekelt“-Textes mit anschließendem Shitstorm und Medienhype, wurde von der Jury allein ihr Text zur Party gemacht (bei anderen wie etwa Präauer und Tim Krohn etwa gab es durchaus Werkverweise) – mit all dem Unverständnis, das Klagenfurter Jurys traditionell bei Poptexten dieser Art demonstrieren.

Dabei hätte man sogar über Feminismus reden können, ist doch in von Rönnes Popauthentizitätstext (zwischen Erzählerin und Autorin passt nicht gar so viel) unter anderem vom traurigen Leben junger Studentinnen die Rede, die erst ein bisschen wild sind und dann doch nur einen Job „in einer Einrichtung für Kinder mit Rechtschreibschwäche“ bekommen, heiraten und Kinder kriegen wollen. Oder es heißt: „Ich will wissen, dass ich für irgendetwas kämpfe, oder meinetwegen gegen jemanden, oder meinetwegen nur flüchte vor irgendetwas, Hauptsache etwas mit Namen, ein Regime vielleicht.“ Vom Feminismus lernen heißt kämpfen und irgendwann vielleicht gar siegen lernen, das weiß Ronja von Rönne wohl doch ziemlich gut.

Ansonsten zeigte sich die Jury in guter Verfassung mit ihren drei Neuzugängen Sandra Kegel, Stefan Gmünder, Klaus Kastberger: immer auf der Höhe der Texte (bisweilen literaturkritisch weit drüber), immer der Analyse den Vorzug gebend. Vor allem Kastberger erwies sich als Erfrischung, so wie er die Texte durchdrang, es dabei aber vermochte, unterhaltende Elemente in seinen Statements einzustreuen. Manchmal war die Jury sich etwas zu einig, gerade wenn sie eine Geschichte gelungen fand, zu sehr auf Harmonie bedacht. Da wünschte man sich für die Zukunft ein, zwei Streitereien mehr, mal eine ordentliche Kante, einen fiesen Biss.

Wie viel Zukunft der Bachmann-Preis hat? Das hängt wohl – wie man dem Schlusswort des Juryvorsitzenden Hubert Winkels entnehmen konnte – vor allem von den Launen und einer möglichen, für den Wettbewerb eher ungünstigen dritten Amtszeit von ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz ab. Gründe, den Wettbewerb weiterhin im Fernsehen live zu übertragen, hat der Bachmann- Preis-Jahrgang 2015 jedenfalls genug geliefert.

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