Design im Bröhan-Museum: Alle an einem Tisch
Eine Doppelausstellung im Charlottenburger Bröhan-Museum zeigt, wie sich 1968 im Design niederschlug – in Ost wie West.
1968 gingen junge Menschen in Paris wie in Prag auf die Straße. Die einen demonstrierten gegen die konservative Nachkriegsgesellschaft und Charles de Gaulles Regierung, die anderen für einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“, wie Alexander Dubcek es formulierte. Der Prager Frühling wurde am 21. August durch Besetzung des ganzen Landes binnen eines Tages und mit 150 Toten beendet. Die Hoffnung auf Veränderung, die auch die Teilnehmer eines zeitgleich stattfindenden Ost-West-Schmucksymposiums im böhmischen Jablonec hegten, zerschlug sich damit.
In Paris tobten die Kämpfe weiter. In der besetzten École des Arts Décoratifs gründeten drei Kunststudenten zwei Jahre später das Grafikerkollektiv „Grapus“. Ihr Name, eine Verbindung aus „stalinistischem Gesindel“, wie sie genannt wurden, und „Graphikdesign“, war Programm: Gemeinsam mit zeitweise bis zu 100 Freiwilligen entwarfen sie Plakate zu linken Themen. 50 Jahre nach den Revolten stellt das Bröhan-Museum ihre im Geiste des Umbruchs entstandenen Druck- und Schmuckerzeugnisse in der Doppelausstellung „2 x 68“ aus.
Grapus lenkte in seinen Plakaten die Aufmerksamkeit auf Missstände, wie die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei oder Gentrifizierung in Paris. Das Kollektiv brach mit gesellschaftlichen Konventionen wie Sehgewohnheiten. Es missachtete gezielt die Leserichtung und fügte den Drucken Handschrift, Graffiti, Schamhaar und Fettflecken bei – das alles weit vor der Digitalisierung. Dabei besaßen die Entwürfe von Grapus auch noch Humor, wie das Abbild eines trampenden Marx zeigt.
Buttons, Schallplattencover und Jutebeutel von Grapus
Der Kollektivitätsgedanke stand bei Grapus im Vordergrund, signiert wurde deshalb als Gruppe, auch zum eigenen Schutz. Alle hätten ohnehin gemeinsam an großen Tischen gearbeitet und sich ausgetauscht, berichtete das ehemalige Grapus-Mitglied Alex Jordan nun in Berlin. Der offenen Struktur tragen auch die beiden Kuratoren Anna Grosskopf und Thomas Hoffman durch ineinander übergehende Räume Rechnung, in denen sie 120 Plakate aus dem Atelier des Kollektivs sowie 30 zeitgleich entstandene Plakate an die Wand pinnten.
Die Vitrinen mit Grapus-Buttons, Schallplattencovern, Jutebeuteln und Fotos der Mitglieder sind schief platziert, so wie vielleicht einst die Tische in den Ateliers gestanden haben mögen. Schade, dass die innovativen Techniken weder in den Begleittexten noch im Katalog erklärt werden. Der Fokus der Ausstellung liegt vielmehr auf der Entwicklung des linken Low-Budget-Kollektivs, das immer kommerzieller zu werden drohte, als es zunehmend große Auftraggeber wie den Louvre oder das Theater Odéon bediente. Konsequenterweise löste es sich vorher auf.
Der Geist des Bauhauses ist in mancher Formgebung zu spüren
Einige Hundert Kilometer weiter im Osten waren im Sommer 1968 ebenfalls Kreative mit innovativen Ideen für ein einmonatiges Symposium zusammengekommen. 17 Schmuckkünstler aus Ost und West hatten dafür das tschechoslowakische Jablonec als Austragungsort gewählt. Die Stadt war wegen ihrer Steinvorkommen und der Glasherstellung seit den 30er Jahren ein Schmuckzentrum. Das Bröhan-Museum zeigt nun in seinem Konzertsaal 70 der während des Treffens entstandenen Ketten, Ohrringe und Armreifen in elegant ausgeleuchteten Vitrinen. Die an der Empore befestigten Aufnahmen von den auffahrenden Panzern in Prag erinnern an die damalige bedrohliche Situation.
Wie bei den Grapus wurde auch in Jablonec mit den Traditionen gebrochen und weniger wertvolles Material benutzt. Die Goldschmiede verwendeten Glas, Halbedelsteine oder Schiefer. Im Gegensatz zu den Grafikern signierten die Schmuckkünstler ihre Arbeiten zumeist und reproduzierten sie, wenn überhaupt, nur in geringer Auflage. Die ausgefallenen Stücke lohnen den Besuch, insbesondere Hermann Jüngers Kettenanhänger, der an das Gemälde „Angelus Novus“ von Paul Klee erinnert. Der Geist des Bauhauses ist in so mancher Formgebung zu spüren.
Andere Arbeiten aus beweglichen Metallfäden greifen die Prinzipien des kinetischen Schmucks auf, der sich in den 30er Jahren entwickelte und eine Harmonie zwischen der Starre des Materials und der Bewegung des Trägers suchte – sinnbildhaft für die Zeit.
Bröhan-Museum, Schlossstraße 1 a, bis 3. 10.; Di–So 10–18 Uhr
Suzan Kizilirmak