"Steve Jobs" - der Film von Danny Boyle: Eisklotz und iGod
Kein Biopic, keine Heldensaga, aber ein Klassiker von morgen: „Steve Jobs“ von Danny Boyle - ein grandioser Film mit Michael Fassbender.
Nichts in diesem Film über Gil Amelio, sagen die absoluten Profis (Amelio war ein Jahr CEO beim, wie er sagte, „lecken Schiff“ Apple, bevor Steve Jobs 1997 triumphal zurückkehrte). Nichts auch über „Jony“ Ive, sagen sie (der Brite Jonathan Ive, inzwischen Sir Jonathan Ive, kam 1992 zu Apple und entwarf als Chefdesigner unter anderem all die legendären Geräte, die mit „i“ beginnen). Nichts auch über Pixar (das Trickfilmstudio, mit dem Steve Jobs seit 1986 den Animationsfilm revolutionierte).
Aber das macht nichts. Sagen sogar die Profis.
Andererseits: Nichts hier über Steve Jobs’ Krankheit und seinen frühen Tod mit 56, sagen die Laien. Nichts auch über seine legendären, wie hießen sie doch noch gleich, Keynotes, was wesentlich eleganter klingt als „Produkteinführungsveranstaltungen“ (das wäre doch jetzt mal eine schöne Gelegenheit gewesen; die Profis dagegen haben die sowieso schon immer so schnell wie möglich online geguckt). Auch fast nichts über die berühmten ausgewaschenen Jeans und den schwarzen Rollkragenpullover. Und überhaupt, ist ja gar kein richtiges Biopic, das Ganze.
Aber was bleibt dann, wenn man das alles abzieht, was Profis und auch Laien irgendwie brennend oder zumindest restglühend interessiert an dem, den sie „iGod“ nannten? Alles zum Beispiel. Sofern man es nur richtig anstellt.
Aaron Sorkin, der Drehbuchautor, der schon Mark Zuckerberg in „The Social Network“ ein höchst ungemütliches Denkmal setzte, verdichtet mit dem Material des Biografen Walter Isaacson das Leben des Steve Jobs konsequent chronologisch – auf drei halbe Stunden kongenial erfundene Realzeit. Voneinander abgetrennt sind sie durch eilige Montagesequenzen und unterfüttert mit ein paar Mini-Rückblenden, die wie Kopfschmerzflashes aus den Gehirnen der Protagonisten unmittelbar auf die Leinwand herausgeschleudert scheinen.
Sechs Personen suchen eine Seele
Als da sind: Steve Jobs’ Marketingchefin, Öffentlichkeitsarbeiterin, persönliche Assistentin, kurzum, wie sie selber sagt, „Büro-Ehefrau“ Joanna Hoffman (Kate Winslet). Steve Wozniak (Seth Rogen), Apple-Mitgründer damals in der Garage von Steve Jobs’ Pflegeeltern und stürmisch zerstrittener, ewig nerdiger Uralt-Kumpel. Der irgendwie vaterersatztaugliche John Sculley (Jeff Daniels), von Steve Jobs früh als CEO zu Apple geholt und später von Apple gefeuert, Jahre nachdem er selber Steve Jobs gefeuert hatte. Andy Hertzfeld (Michael Stuhlberg), Top-Techniker bei Apple und zugleich menschlicher Fußabtreter seines egomanischen Chefs. Und, neben diesem dienstlichen Quartett, Chrisann Brennan (Katherine Waterston), Steve Jobs' Ex-Freundin, mit der er die Tochter Lisa hat (dargestellt als Fünfjährige von Makenzie Moss, als Neunjährige von Ripley Sobo und als 19-Jährige von Perla Haney-Jardine). Nur dass er die Vaterschaft zu Beginn abstreitet und, als er sie immerhin gelten lässt, mit Geldüberweisungen statt mit Leben erfüllt.
Sechs Personen suchen einen Menschen im Monster Steve Jobs, im Kontrollfreak, im kalten Beleidiger und Demütiger seiner Umgebung, im Visionär (ha!), im Charismatiker (haha!), im Besessenen (schon besser). Besessen ist dieser Steve Jobs vom immer nur Besten, ohne Rücksicht auf Sozialverluste. Wozu Menschlichkeit, wo es doch auf die Menschheit ankommt, die man mit seinen Produkten beglücken will? Michael Fassbender spielt das smarte Ungeheuer so, dass er die äußere Unähnlichkeit mit der Vorlage binnen Minuten vergessen macht, weil er zum Ausgleich eine ungemein kohärente Figur hervorbringt, wie sie dieser Steve Jobs gewesen sein könnte.
Drei legendäre Keynotes - vom Macintosh zum iMac
Die geniale Grundidee: Drei legendäre Keynotes – die Einführung des Macintosh 1984, die Präsentation des NeXT Cube 1988 und der Start des iMac 1998, mit dem nach Steve Jobs’ Rückkehr der steile Aufstieg zum Weltkonzern begann – mögen zwar der dramaturgische Rahmen sein. Gespielt aber wird stets nur der Prolog auf der Hinterbühne, jeweils 30 Minuten backstage mit den wildestdenkbaren Dialogduellen dieses Halbdutzends von Leuten, die an dem scheinbar unerschütterlichen – fast möchte man sagen: androiden – Eisklotz herumfauchen und herumhauchen. Bis dann doch, verlässlich oder auch nicht, etwas in diesem gespenstisch maschinell organisierten Organismus zu tauen beginnt.
Warum ist es überwältigend, einem derart durchgeknallten Firmengründer und Monomaniac bei der Arbeit zuzusehen? In erster Linie, weil der Film – anders als zwei Vorläufer aus den letzten Jahren, „jOBS“ mit Ashton Kutcher und die Doku „The Man in the Machine“, die bei uns nicht in die Kinos kamen – nicht hagiografisch angelegt ist. Vielmehr wird sichtbar, wie einer, der nahezu als Gott verehrt wird, sich selber für Gott hält, in einer tragischen Suggestionsübertragung in beide Richtungen. Zugleich geschieht die mühselige Vermenschlichung in Schüben, von den punktuellen Revolten einzelner Untergebener bis zu Jobs’ privatem Dauerclinch mit seiner Ex, der mit den Jahren in einen schmerzhaften Kampf der Tochter gegen den Vater übergeht. Und das alles ohne großes Hollywood-Trara: Die family values sickern eher ein, bis in ein umwerfend leises Finale, das sich sogar doppelte – narrative und visuelle – Unschärfen leisten kann.
Ein Wunder, dass dieser Film überhaupt entstanden ist
Danny Boyle, der „Trainspotting“- und „Slumdog Millionaire“-Regisseur, hat dieses Wunder hingekriegt, und es ist wohl überhaupt ein Wunder, dass dieser Film entstanden ist. Erst sollte David Fincher ihn für Sony drehen, und er wollte Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle. Dann sollte Christian Bale den Steve Jobs mimen, und Sony-Chefin Amy Pascal gab das Projekt an Universal ab. So wurden die absoluten Erstligaspieler Boyle und Fassbender kuriose zweite Wahl für das für US-Verhältnisse überschaubar kalkulierte 30-Millionen-Dollar-Projekt – und nun floppt es auch noch in der Heimat und spielt binnen vier Wochen gerade mal die Hälfte seines Budgets ein. Auch in Deutschland wird man sich wohl sputen müssen, um diesen Klassiker von morgen nicht zu verpassen.
Sicher, manche Dialogfeuerwerke (vor allem zwischen Jobs und seinem ebenbürtigen Widerpart Sculley) lassen sich ohne Detailkenntnisse der Apple-Firmengeschichte nicht verstehen. Aber sie funktionieren auch grandios als Studie für das hochtourige Hecheln und Aufeinandereinhacken, wie es in Management-Etagen hinter verschlossenen Mahagonitüren üblich sein kann. Auch mag das Auge mitunter an der tageslichtlosen Backstage-Welt ermüden, zumal sie kameratechnisch nicht so virtuos wie zuletzt in Alejandro González Iñárritus „Birdman“ eingefangen wird. Zu schweigen von der herausfordernd strengen, theaternahen ästhetischen Form.
Aber das macht nichts.
Danny Boyle hat seine Darsteller – hoffentlich nicht im Stil von Steve Jobs – zu Höchstleistungen angespornt. Kate Winslet: kaum wiederzuerkennen als ultimativ energische, wunderbar menschliche Assistentin. Seth Rogen und Michael Stuhlbarg verkörpern herzzerreißend das Leiden an der Loyalität, und Jeff Daniels brilliert als einnehmend zwielichtiger Knuffi-Typ, dem man in der VW-Niederlassung von Cupertino auch morgen noch einen Diesel zum Höchstpreis abkaufen würde. Als heulendes Elend fantastisch: Katherine Waterston. Und dann ist da Perla Haney-Jardine als große Lisa in ihrer großen kleinen Rolle auf dem Parkdeck mit dem fremden, fremden Vater, der endlich zu verstehen beginnt.
Was fehlt? Richtig: Szenen. Richtig: Zitate, schöne Oneliner für Chefs und welche, die es anders werden wollen. Und dies auch und das noch. Aber macht ja nichts, wenn es ums Hingehen geht und ums Selbersehen.
Ab Donnerstag in 18 Berliner Kinos
Jan Schulz-Ojala
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