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Streitlustige Außenseiterin. Mathangi Arulpragasam alias M.I.A. scheut sich nicht prominente Kollegen anzugreifen.
© Universal

Neues Album von M.I.A.: Ali und seine Brüder

Die britische Sängerin M.I.A. solidarisiert sich auf ihrem starken fünften Album „Aim“ mit Geflüchteten. Angeblich ist es ihre letzte Platte.

Der Königin durfte nichts in die Quere kommen, schon gar nicht in ihrer eigenen Stadt. Dafür hatten die Macher des MTV Video Music Award Sorge getragen. Beyoncé sollte ungestört ihre acht Trophäen einsammeln und beim Weg über den roten Teppich begleitet von den Müttern getöteter Schwarzer ein wenig politische Relevanz in die New Yorker Show bringen. Hat alles hervorragend geklappt, selbst Kanye Wests wirre Rede und Britney Spears’ Comeback-Auftritt irritierten nur kurz.

Denn die einzige, die sich getraut hätte den Hofstaat aufzumischen, hatte man vorsorglich ausgeschlossen: Die britische Sängerin und Rapperin M.I.A. war gar nicht erst nominiert worden für ihr Video zu dem Song „Borders“, was schon sehr seltsam erscheint angesichts dieses herausragenden, mit viel Aufwand gedrehten Clips, der eine große Zahl junger geflüchteter Männer in Booten, an Stränden und an Zäunen zeigt.

M.I.A. singt zwischen ihnen sitzend oder stehend: „Borders – What’s up with that? /Politics – What’s up with that ?/Police shots – What’s up with that? /Identities – What’s up with that? /Your privilege – What’s up with that? /Broke people – What’s up with that ?/Boat people – What’s up with that?“ Was ist das mit den Grenzen, den Privilegien, den Bootsflüchtlingen? Fragen, die sonst niemand stellt im Mainstream-Pop.

Die Ignoranz ihrer Kolleginnen und Kollegen störte M.I.A. so sehr, dass sie sich zu einem fragwürdigen Statement hinreißen ließ. Angesprochen auf Beyoncés Black-Power-Gruß bei der Halbzeitshow des Super Bowl, sagte die 41-jährige Musikerin, die ihren eigenen Super-Bowl-Auftritt mit Madonna 2012 dazu nutzte, Millionen von Zuschauern den Mittelfinger entgegenzustrecken, dass man in den USA nur über die „Black Lives Matter“- Kampagne sprechen dürfe. „Sagen Beyoncé oder Kendrick Lamar auch ,Muslim Lives Matter’? oder ,Syrian Lives Matter’? oder ,Dieses Kind in Pakistan ist wichtig?’“

Die unglückliche Verknüpfung von gleichermaßen drängenden Themen, die man nicht gegeneinander ausspielen sollte, brachte ihr einen Shitstorm ein. Sie wurde als Headliner des Londoner Afropunk-Festivals gestrichen, und sicher hängt auch die Nichtberücksichtigung von „Borders“ bei den MTV Awards damit zusammen. M.I.A. reagierte mit wütenden Tweets. So warf sie etwa dem Musiksender „Racism sexism classism elitism“ vor, sprach von verbotenen und erwünschten Stimmen. Womit sie sich pünktlich zur Veröffentlichung ihres fünften Albums am Freitag in der Position einer Persona Non Grata des Pop-Establishments wiederfindet – trotz Major-Vertrag und Titelgeschichten in großen Magazinen.

Ein reduzierter Beat und ein Motivationsmantra

Diese Außenseiterinnen-Stellung ist zentral für M.I.A., die 1975 mit dem Namen Mathangi Arulpragasam in London als Kind tamilischer Eltern zur Welt kam, zunächst in Sri Lanka aufwuchs und 1986 als Bürgerkriegsflüchtling über Indien wieder nach London kam. Denn ihre mehr als zehnjährige Karriere beruht zu einem großen Teil eben genau darauf, dass sie ihre Herkunft sowohl musikalisch als auch inhaltlich einbringt. Die biografische Authentizität ihres stilverschmelzenden Agit-Prop-Pops betonte sie etwa damit, dass sie ihr erstes Album „Arular“ nach ihrem Vater benannte, der einer tamilischen Aktivistengruppe angehörte.

Für M.I.A. – die Buchstaben stehen für „Missing in Action“ – blieb trotz ihrer Involviertheit in die Pop-Welt stets eine Distanz, die sie zwar zu nutzen weiß, die ihr aber auch zu schaffen macht. „Ich werde immer Flüchtling sein“, sagte sie etwa kürzlich dem „Musikexpress“. Aus diesem Gefühl heraus solidarisiert sie sich jetzt auf dem Album „Aim“, von dem sie sagt, es sei ihr letztes, mit Menschen auf der Flucht. Nach der Eröffnung mit „Borders“ kommt sie in den zwölf Songs (die Deluxe-Version enthält 17) immer wieder auf dieses Thema zurück. Etwa in „Jump In“, das nur von einem minimalistischen Beat begleitet wird und M.I.A.s Stimme mehrfach übereinander schichtet. Sie singt die Gedanken einer Person, die sich auf die Flucht vorbereitet, was in seiner Singsanghaftigkeit wie ein Motivationsmantra gegen die Angst klingt: „When I see that border I gon cross the line/ That border that border line/When I see that dream I gon make it mine.“

Besonders berührend ist das Stück „Ali R U Ok?“, das zu einer rauschig-schepperigen Bhangra-Begleitung von einem offenbar über Calais nach England immigrierten Mann handelt. Seine Geliebte, der M.I.A. ihre Stimme leiht, macht sich Sorgen um ihn. Sie hat ihn lange nicht gesehen, er arbeitet nonstop wahrscheinlich in irgendeinem unterbezahlten Knochenjob. Dabei ist er krank und sollte endlich mal wieder Zeit mit ihr verbringen. Man kann sich Ali als das pakistanische Kid vorstellen, für dass man sich nach M.I.A.s Meinung auch in den USA interessieren sollte. Durch die phonetische Ähnlichkeit der Zeile „Ali are you ok?“ zu „Annie are you ok?“ aus Michael Jacksons „Smooth Criminal“ baut sie hier eine geschickte Brücke.

Im direkt darauf folgenden „Visa“ geht es in ein Grenzgebiet, wo Mexikaner „Hola“ sagen und sich das lyrische Ich vor den Patrouillen versteckt. M.I.A. erzeugt eine Atmosphäre surrealer Überdrehtheit, indem sie ein schrilles Fiepsorgel-Motiv mit schnellen bollerigen Beats kombiniert und dazu einen assoziativ-sprunghaften Text singt, in dem neben MC Hammer und Tequila auch ihre hinduistische YOLO-Alternative YALA (You always live again) herumgeistern. Es ist der Versuch, sich für einige Sekunden zwischen die Synapsen eines an der Grenze herumkriechenden Menschen zu schalten und das von Panik dominierte Gefühlschaos in einen Song zu verwandeln.

Ex-One-Direction-Mitglied Zayn singt mit M.I.A.

Solche Ansätze hört man viel zu selten in einer Zeit, die doch so stark von den Themen Migration und Flucht geprägt sind. M.I.A.s Beharren auf dieser Perspektive ist die Stärke von „Aim“, auf dem die Londonerin ihren bekannten Culture-Clash-Sound ansonsten kaum variiert. Einzig „Freedun“, das Duett mit dem früheren One-Direction-Mitglied Zayn, ist für beide ein gewisses Wagnis, treffen hier doch Repräsentanten konträrer Pop-Sphären aufeinander. Tatsächlich wirken die metallisch-verhallte Refrain-Zeilen des Ex-Boygroup-Stars etwas verloren neben M.I.A.s locker gerappten Strophen.

Besser hat die erneute Zusammenarbeit mit dem Produzent Blaqstarr funktioniert, der an fünf Stücken beteiligt war, darunter die starke Single „Go Off“ sowie „Birds“, in dem zur nervös pulsenden Bassdrum eine seltsames Fantasievogel-Quäken erklingt. M.I.A. singt derweil Gaga-Reime über Federvieh („Stayin rich like an ostrich“). Ein Spaßtrack zur Entspannung? Nicht ganz. Denn plötzlich schwebt ein Drohnen-Vergleich vorbei und die Sängerin warnt immer wieder „Watch the sky“. Wandervögel müssen auf der Hut sein, Gefahr lauert überall.

Nadine Lange

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