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Identitäre besetzen 2016 kurzzeitig das Brandenburger Tor.
© picture alliance / dpa

Identitäre Bewegung: Aggressive Abgrenzer

Rechtsextrem und Spaß dabei: Die Identitäre Bewegung fasst nach Frankreich und Österreich jetzt auch in Deutschland Fuß. Eine Spurensuche nach den Gründen.

Ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst der Identität. Es wird über Zugehörigkeit debattiert, über teilweise aggressive Abgrenzung, über Forderungen an Minderheiten, sich der Mehrheit anzupassen. Als Innenminister Thomas de Maizière kürzlich eine „Leitkultur für Deutschland“ forderte und damit eine Diskussion aus dem Jahr 2000 noch einmal auftaute, vermied er tunlichst das Wort Identität. Denn dieser Begriff gehört inzwischen den ganz Rechten. „Identitär“ zu sein, gehört zum coolen Lifestyle radikaler junger Aktivisten, die etwa im letzten Sommer kurzzeitig das Brandenburger Tor besetzten und ein Transparent mit der Parole „Sichere Grenzen, sichere Zukunft“ entrollten.

„Wenn die Mehrheit der Menschen ein Identitätsproblem hat, was bleibt dann für eine Identität?“, fragt Robert Timm. Lässt sich mit Identität Politik machen? Timm, 26, dunkler Vollbart, kantige Brille, glaubt das schon. Er gehört zur Identitären Bewegung (IB) in Deutschland. Als Kopie des aus Frankreich stammenden „bloc identitaire“ gelangte die IB 2012 zunächst nach Österreich, kurze Zeit später auch nach Deutschland. Während sich auf ihrer Facebookseite mehr als 50 000 Likes finden, sollen dem harten Kern der rechtsextremen Bewegung in Deutschland etwa 500 Menschen angehören. Spektakulär inszenierte Clips auf Youtube zeigen Aktionen wie eine „Interventionen“ bei einer Theateraufführung geflüchteter Menschen in Wien oder der Störung einer Diskussion mit Jakob Augstein im Berliner Maxim Gorki Theater.

Sympathien für Marine Le Pen

„Bei den Aktionen geht es darum, Missstände anzuprangern und innerhalb der Bevölkerung ein Bewusstsein dafür zu entwickeln“, sagt Timm. Damit gemeint sind „Multikulti-Wahn“, offene Grenzen und die angebliche „Heuchelei“ der politischen Akteure. Mit dem Rückgriff auf ein sogenanntes „Eigenes“ knüpfen die Identitären an völkische Vorstellungen aus der Zeit vor 1945 an. Ihre Protest- und Agitationsformen haben sie bei der Sponti-Linken der Jahre nach 1968 geklaut. In Frankreich schafften es die Identitären, mancherorts zur inoffiziellen Jugendorganisation des Front National aufzusteigen. Auch ein Grund, warum in Deutschland viele der Aktivisten Sympathien für Marine Le Pen hegen. Als „patriotische Bewegung“ beschreibt der führende Kopf der IB im deutschsprachigen Raum, der Wiener Martin Sellner, die rechtspopulistischen Erfolge der jüngsten Vergangenheit.

Wie schon beim französischen Vorbild besteht das Selbstbild der IB zu gleichen Teilen aus Pop-Elementen und dem Habitus des kultivierten Intellektuellen. So können Identitäre rein äußerlich eine Position einnehmen, die mit altbackenem Konservatismus der Marke Studentenverbindung genauso wenig am Hut hat wie mit dem stereotypen Schlägerlook von Neonazis. Der medialen Selbstinszenierung nach zu urteilen, wird außerdem Wert auf eine angemessene Repräsentation von Frauen in den eigenen Reihen gelegt. Timm, Architekturstudent aus Marzahn-Hellersdorf, fühlte sich als Schüler von „dieser Idee von Multikulti“ angezogen und entschied sich bewusst für ein Oberstufenzentrum in Kreuzberg.

Er blockierte Neonazi-Demos und war vom Nationalstolz mancher türkischer Mitschüler überrascht, aber beeindruckt. Ein Wendepunkt. Heute findet es Timm „ungerecht“, wenn auf dem Karneval der Kulturen Vielfalt gefeiert wird, während schon das leiseste Anzeichen deutscher Volkstümlichkeit mit einem Naserümpfen quittiert werde. In seiner Wehrdienstzeit fand er Zugang zu rechten Kreisen, übers Internet kam er zur IB. Die unumwunden neonazistische Rhetorik sowie Kontakte in die gewaltbereite rechtsextreme Szene führten dazu, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz die Identitären seit einem Jahr beobachtet.

Globalisierung und Multikulturalität würden das nationale Selbstbewusstsein auf zwei Fronten angreifen

Identitäre besetzen 2016 kurzzeitig das Brandenburger Tor.
Identitäre besetzen 2016 kurzzeitig das Brandenburger Tor.
© picture alliance / dpa

„Identität formt Gemeinschaft, auf familiärer, regionaler, nationaler und auch kontinentaler Ebene“, sagt Timm. Klingt harmlos. Laut einer Umfrage des Demoskopieinstituts Allensbach glaubten 57 Prozent der Befragten, dass es so etwas wie einen deutschen Nationalcharakter gebe. Lange Zeit war das Verhältnis der Deutschen zu ihrer Vergangenheit gebrochen, doch jetzt verkündet Thomas de Maizière: „Wer sich seiner Leitkultur sicher ist, ist stark.“

Für Schlüsselprotagonisten der Szene wie den Publizisten und Verleger Götz Kubitschek oder Martin Sellner, den Vorsitzenden der IB Österreich, ist der Zusammenhang zwischen Identität und Stärke klar. Laut identitärer Theorie wird das Selbstbewusstsein der Nation seit Jahren auf zwei Fronten angegriffen. Von der Globalisierung, die Kultur und Alltag zerstöre. Und von einer „multikulturalistischen Ideologie“, die das Fremde verkläre und das Eigene verachte.

„Es wird eine falsche Art der Vielfalt und Toleranz gelebt, die den Wert von den einzelnen Kulturen nicht hochhält und stattdessen einen langweiligen One- World-Einheitsbrei produziert“, sagt Ingrid Weiss, Aktivistin aus Wien. In Sachen Antiglobalismus berühren die Vorstellungen von rechten und linken Extremisten einander. Der Publizist Jürgen Elsässer, ehemals linksaußen, arbeitet mit dem neorechten, fremdenfeindlichen Magazin „Compact“ an seiner Vision einer „Querfront“. Mit seinen Wall-Street-Klischees hat die Globalisierungskritik auch einen antisemitischen Unterstrom.

Wurzeln bei Ernst Jünger

Der Soziologe Thomas Wagner verortet die Wurzeln der postmodernen Rechten im Denken des Ernst-Jünger-Sekretärs Armin Mohler. Mohler beschreibt die „Angewiesenheit des Menschen auf soziale Beziehungen“ als „Verwurzelung“. Daraus, so Wagner, leite er die „Notwendigkeit der Nation ab – interessanterweise gegen Mohlers eigene Überzeugung, dass Universalistisches gar nicht existiert“. Neuere rechtsradikale Autoren versuchen, eine eigene Europakonzeption zu entwickeln. Als Paten fungieren dabei linke EU-Kritiker und Autoren des Eurofaschismus wie Drieu La Rochelle.

Was ist für die Identitären die wichtigste Frage des 21. Jahrhunderts? Natürlich: „die Identitätsfrage“. Martin Lichtmesz, einer der prominentesten neurechten Theoretiker, paraphrasiert in seiner Antwort auf eine E-Mail-Frage ausgerechnet die amerikanische Feministin Camille Paglia: „Identität ist für ein Individuum oder eine Gruppe letztendlich eine Frage von Leben und Tod. Identität bedeutet Souveränität gegenüber anderen und sich selbst.“ Für Lichtmesz, der aus Wien stammt und lange schon in Berlin lebte, steht fest, dass „Multikulturalismus und die identitätspolitischen Litaneien der politischen Korrektheit seitenverkehrt genau dieselben Kernfragen aufwerfen wie nationalistisches oder identitäres Denken auf der anderen Seite“. Auch linke Soziologen wie Didier Eribon erklären den Erfolg nationalistischer Bewegungen mit dem vermeintlichen Identitätsverlust unter weißen Arbeitern und Mittelschichtlern, denen mit der Arbeit auch die Selbstachtung abhandengekommen sei. Das macht die Identität aber lange noch nicht zur naturgegebenen Tatsache. Es handelt sich um eine Idee, die nicht aus dem 21., sondern aus dem 19. Jahrhundert stammt.

Podiumsdiskussion der Rosa-Luxemburg-Stiftung: „Wer sind die Identitären und was kann gegen sie getan werden?“ am Donnerstag, 18. Mai, im SO 36 (20 Uhr).

Frederic Jage-Bowler

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