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Der Chef geht. Marek Janowski (77) verlässt die Berliner Konzertsäle, in denen er seit 2002 das Rundfunk-Sinfonieorchester mit großem Erfolg leitete. Zum Abschied dirigiert er am 30./31.12. Beethovens Neunte im Konzerthaus. Doch darüber will der für seinen trockenen Humor bekannte Maestro eigentlich gar nicht reden. Er schaut lieber in die Zukunft, die ihn wieder nach Bayreuth führen wird.
© Felix Broede

Interview mit Marek Janowski: Abschied von Berlin

Marek Janowski leitete 14 Jahre das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin. Jetzt dirigiert er dort sein letztes Konzert – und blickt zurück nach vorn.

Herr Janowski, dieses Silvesterkonzert mit der Neunten von Beethoven wird als Ihr Abschiedskonzert in Berlin bezeichnet – was bedeutet dieses Konzert denn für Sie?

Ich habe großen Wert darauf gelegt, dass wir hier nichts mit „Abschied“ oder solchen hochgehängten Geschichten machen. Die Zusammenarbeit mit dem Orchester ist zu Ende und es ist zufällig das Jahresende und am Jahresende haben das Orchester und der Herr Janowski immer die Neunte Beethoven gespielt, deswegen machen wir das jetzt auch! Schauen wir lieber in die Zukunft: Ich weiß, dass ich am Jahresende 2018 ziemlich weit weg von Berlin wieder die Neunte Beethoven dirigieren werde. Mit einem Orchester, das eine große, große Qualität hat, mit dem ich immer mal wieder zusammengearbeitet habe und ich freue mich, dass ich das machen kann.

Wo wird das sein, in Frankreich vielleicht, oder in den USA?

Nein, nein, viel weiter weg (lacht), ich sage es aber nicht, ich will’s nicht sagen.

Welche sinfonische Energie steckt für Sie in Beethovens neunter Sinfonie?

Ihre Popularität hat diese Sinfonie natürlich durch dieses Experiment erreicht, Vokales mit Instrumentalem zusammenzubringen, was es vor der Neunten Beethoven nicht gegeben hat, eben dieser berühmte vierte Satz. Die eigentliche musikalische Größe diese Werkes liegt aber im langsamen Satz. Dieser Satz hat eine solche Ausdrucksgröße und so eine anrührende musikalische Intimität, dass ich diesen Satz immer als den Kernsatz der neunten Sinfonie ansehe. Man muss sich vorstellen, da war der Komponist völlig taub, als er das geschrieben hat! Und das immer und immer wieder dirigieren zu dürfen und sich dabei immer wieder selbst Fragen stellen zu dürfen – hast Du das richtig gemacht oder glaubst Du, dass man das noch besser machen könnte – ist eine ständige, große Herausforderung und ein wunderbarer Aspekt des Dirigentenberufes.

Wenn Sie Beethoven oder andere Komponisten mit einem Rundfunkorchester spielen, profitiert diese Musik von der Klarheit und Präzision, die man mit Ihrer Arbeitsweise verbindet. Welche Bedeutung haben die Rundfunkorchester für die musikalische Entwicklung insgesamt?

Ohne die Rundfunkorchester wäre die Entwicklung zeitgenössischer Musik überhaupt nicht möglich! Und ich werde bis zu meinem Lebensende alles tun, um die Steuergelder benutzenden Politiker zu überzeugen, dass Rundfunk-Sinfonieorchester von ganz großer Wichtigkeit für die Musik sind. Bei Henze oder Messiaen lasse ich der Präzision und der Genauigkeit ihre Bedeutung und achte bei Brahms, Bruckner oder Beethoven zusätzlich darauf, dass das natürliche Phrasierungs-Atmungsempfinden nicht verloren geht. Die Existenz von Radio und Schallplatten hat ja in den letzten 50, 60 Jahren zu einem enorm geschärften Präzisionsbewusstsein bei allen Musikern der jüngeren Generation geführt. Und da muss man schon sehr aufpassen, dass es nicht nur noch das Präzisionsbewusstsein ist und dabei dann das Gefühl und der Instinkt, zum Beispiel für ein natürliches Rubato in der klassischen Musik, verloren geht.

Bevor Sie 2002 das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin übernommen haben, waren Sie von 1984 bis 2000 musikalischer Leiter das Orchestre Philharmonique de Radio France in Paris. Worin unterscheiden sich französische von deutschen Orchestern?

Ich muss vorsichtig sein mit der Definition „französische Orchester“, denn ich kenne nur die Pariser Orchester, die beiden Rundfunkorchester und das Orchestre de Paris. Und da würde ich es so sagen: Individuell ausgebildet ist ein Pariser Musiker wahrscheinlich etwas besser als ein deutscher. Aber die Mentalität ist auch anders als die deutsche oder die englische, nicht so Gruppen-orientiert. Da herrscht selbst im größten Gruppengefühl noch ein gewisser Individualismus und das kann natürlich für das Zusammenspiel verheerende Folgen haben. Trotzdem hat Frankreich, auch durch die Konkurrenz der Pariser Orchester untereinander, als Land am meisten in Europa aufgeholt. Deshalb sage ich mit Respekt und auch mit einem gewissen Neid: Alle diese Orchester sind absolute europäische Spitzenorchester! Sie spielen eine Brahms-Sinfonie vielleicht klanglich ein bisschen anders als deutsche Orchester, aber dass sie Mozart oder Richard Strauss für meinen persönlichen Geschmack viel heller, leichter und dadurch durchsichtiger spielen als deutsche Orchester, ist ein Vorteil, den die Pariser Orchester haben. Ich kann nur sagen – und das hat überhaupt nichts damit zu tun, dass ich mich 16 Jahre für eines dieser Orchester eingesetzt habe und die Qualität dieses Orchesters enorm habe verbessern können und dürfen – Pariser Orchester stellen absolute Spitzenqualität europäischer orchestraler Kultur da. Punkt!

Zwischen 2010 und 2013 ist Ihnen in Berlin aus konzertanten Aufführungen heraus eine brillante Gesamtaufnahme der Wagner-Opern gelungen. Was bedeutet Ihnen dieser Erfolg?

In ein solches geografisches Umfeld in einer Stadt zu gehen – wo es drei Institutionen gibt, die andauernd Wagners Werke szenisch aufführen –, da konzertant hineinzugehen, ist mir von unglaublich vielen Leuten abgeraten worden. Die auch für mich durchaus befriedigende Überraschung war dann, dass das Publikum es mit großem Interesse angenommen hat. Und dann kommt noch hinzu, dass ein Orchester wie das RSB, das dieses Repertoire natürlich überhaupt nicht spielt und nicht kennt, den Willen hatte, es durch den Einsatz am Abend besser zu machen als ein Opernorchester, das im Repertoire gelegentlich auch mal etwas weniger präzisionsentwickelt spielt.

Sie haben über viele Jahre nur noch konzertante Opern aufgeführt, sich vom Regietheater abgewendet, mit einer Ausnahme, Bayreuth, wo Sie auch im Jahr 2017 wieder den „Ring“ dirigieren werden. Was ist dabei die große Herausforderung für Sie?

Ich habe mir, wissend um die Geschichte von manchen anderen Dirigenten, die Frage gestellt, wie kommst Du mit dem Bayreuther Orchestergraben zurecht. Das ist schon speziell, dass man bei bestimmten Situationen am Pult glaubt, dass Orchester und Sänger nicht zusammen sind, obwohl draußen durchaus alles zusammen ist. Und bei dieser – ich will es jetzt sehr vorsichtig formulieren – „außergewöhnlichen“ Inszenierung von Frank Castorf gab es und gibt es im nächsten Jahr wieder bestimmte Sängerpositionierungen auf der Bühne, wo die Sänger singen und die Leute im Saal draußen das einwandfrei hören, wo ich aber am Pult nur sehe, dass der Sänger den Mund bewegt. Das war für mich, auf meine alten Tage – ich habe ja eine Riesen-Opernerfahrung hinter mir, durch alle möglichen Staats- und Stadttheater – eine ganz schöne Herausforderung ...

… und Bayreuth ist insgesamt sicher auch eine große körperliche Anstrengung für Sie, wie halten Sie sich fit?

Ich versuche mich beim körperlichen Energieeinsatz auf das Wesentliche zu konzentrieren. Denn in einem Zeitraum von viereinhalb Wochen dirigiere ich 17 Wagner-Aufführungen – „Rheingold“ ist ein bisschen kürzer – aber die anderen, das sind ja ganz schöne Brummer. Das ist trotz der einstündigen Pausen zwischen den Akten eine körperliche Anstrengung. Ich glaube so wahnsinnig viele Dirigenten, die 78 Jahre alt sind, haben noch nicht in Bayreuth „Ringe“ dirigiert!

Das Gespräch führte Hans Ackermann.

Hans Ackermann

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