"Ariadne auf Naxos" an der Staatsoper: Aasige Leckerbissen
Später Erstling: Hans Neuenfels inszeniert im Schiller-Theater „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss. Ingo Metzmacher dirigiert dazu.
Ganz am Ende, wenn die große, hagere Gestalt von Hans Neuenfels sich vorsichtig ihren Weg durch die antiken Bühnentrümmer bahnt, wird es keine Buhrufe geben. Nicht einmal einen einzigen. Der Regisseur blinzelt in sein Publikum, als wittere er ein Missverständnis. Vielleicht auch in der Hoffnung darauf, dass sich doch noch Widerstand regen könnte gegen das, was er an diesem Abend in der Staatsoper im Schiller-Theater inszeniert hat. Doch der Altmeister, für den jede Dichtung und Musik erst einmal gegen die Gesellschaft steht, findet sich in einhelligem Jubel wieder. Und das, obwohl er Richard Strauss’ verwandlungstrunkener „Ariadne auf Naxos“ die letzte Erfüllung konsequent versagt.
Lange hat es gedauert, bis sich Hans Neuenfels an Strauss herangewagt hat. Dass nun „Ariadne“ sein später Erstling wurde, erscheint logisch. Denn was andere Regisseure an diesem Singspiel-Experiment von Hugo von Hofmannsthal und Strauss zur Verzweiflung treibt, ist für Neuenfels Lebenselixier: die Kollision der Künste, ihr Korruptionspotenzial und die Frage nach der Macht der Liebe. Ihr hatte er 2012 auch sein Debüt an der Staatsoper gewidmet und zu diesem Zweck Mozarts Jugendwerk „La finta giardiniera“ mit einem Libretto aus eigener Hand als „Die Pforten der Liebe“ auf die Bühne des Schiller-Theaters gestellt. Welk wirkte diese Beschwörung des Faltenwurfs der Liebe, chancenlos die unter kreisenden Geiern agierenden Sänger.
Bei „Ariadne auf Naxos“ ist im Vorspiel zunächst ganz der Theatermann Neuenfels gefragt, der auch diese Arbeit nicht ohne seine Leibdarstellerin und Gefährtin Elisabeth Trissenaar angehen wollte. Sie verrichtet ihr Handwerk als Haushofmeister mit kunstvoll ausgereiftem Sadismus. Wie sie den versammelten Künstlern der heiteren und ernsten Zunft das komplette Ausgeliefertsein an die sprunghaften Wünsche ihres steinreichen Chefs vermittelt, ist ein aasiger Leckerbissen. Die finale Programmänderung, mit der der Mäzen verlangt, das Ariadne-Drama und den Zerbinetta-Schwank nicht nacheinander, sondern gleichzeitig zu sehen, verkündet Trissenaar genüsslich Gemeinheiten kauend vor einer edlen Steinwand, in die dezent ein Geldautomat eingelassen ist.
Kunst kommt von gekauft werden. Wer wüsste das besser als Richard Strauss, der Pionier des modernen Urheberschutzes. In seiner „Ariadne“ lässt er einen jungen Komponisten von einer Ohnmacht in die nächste fallen und sich zugleich immer fester an die „heilige Musik“ klammern. In Marina Prudenskaya findet diese Hosenrolle eine wunderbare Interpretin, die stimmlich immer wieder das Höchste zu beschwören vermag und auch darstellerisch herrlich barmen kann. Roman Trekel als ergrauter Musiklehrer ist eine in Sympathie wankende Stütze, der die Ausbruchsversuche seines Schützlings vokal gekonnt verhindert. Rüde zeigt Zerbinettas Schaustellertruppe dem entsetzten Komponisten mit wippenden Kunstgemächten, auf was er sich eingelassen hat.
Zum Ende des Vorspiels stürzen donnernd Steine auf die Bühne, Säulenstümpfe, Bildungsreste. Dass es jetzt in die Pause geht, zu Speis, Trank und Schwatz, könnte ein Kniff sein, der die Zuschauer in jene Gesellschaft verwandelt, die vom Mäzen zu Souper, anschließendem Opern-Entertainment und finalem Feuerwerk geladen ist. Doch Neuenfels beißt hier nicht zu, und die Pause ist nur eine Unterbrechung, in der Bühnenarbeiter die Steine auf der Bühne neu arrangieren. Die von Theseus verlassene Ariadne ist auf ihrer wüsten Insel von drei Nymphen umgeben, die in ihren Schürzenkleidern mehr Gouvernanten als Dienstmädchen sind. Sie lieben es nicht nur musikalisch wagnerisch (trefflich: Evelin Novak, Annika Schlicht und Sónia Grané), Neuenfels spendiert ihnen auch Nornengarn, mit dem sie Ariadne mokierend umfangen.
„Ich glaube an die einzige Liebe“ – „Die Liebe hat unzählige Gesichter“: Ariadne und Zerbinetta schreiben ihre Bekenntnisse auf Wände und nehmen daneben Aufstellung, in Schwarz und Rot, wie Schülerinnen neben der Tafel. Camilla Nylunds Ariadne profitiert dabei von einer umfassenden Strauss-Vorbildung und edlem Beharrungsvermögen, auch wenn ihre Stimme in der Höhe weniger kraftvoll strömt als es diese Musik zuließe. Brenda Raes Zerbinetta beherrscht ihre Koloraturen perfekt, doch deren erotische Schwingungen gehen nur eine lose Verbindung mit dem projizierten leichten Mädchen ein. Der angelegte Diskurs über die Liebe, er könnte tiefer ausfallen. Doch Ariadne darf die meiste Zeit auf einer Chaiselongue vor sich hin dämmern, während Zerbinetta nach ihren Beschwörungen alsbald entschwindet. Die Berührung der Sphären ist nur von kurzer Dauer.
Der endlich auftauchende Bacchus ist auch nicht mehr der Jüngste und zeigt sich noch schwer von seiner Begegnung mit Circe traumatisiert. Roberto Saccà singt diese unbequeme Partie souverän und fern von tenoralen Lächerlichkeiten. Dass sich Ariadne und der Gott verpassen werden, weil sie ihn für den Tod hält, kratzt glaubhaft an seiner Ehre. Die sich an die verlorene Liebe Klammernde entwendet einer Statue den Bronzestab und richtet ihn als Dolch gegen sich.
Verwandlungswundermusik schwappt aus dem Orchestergraben, in den sich der schmerzgebeugte Bacchus geflüchtet hat. Ingo Metzmacher gelingt dort mit der Staatskapelle Berlin ein bemerkenswerter Abend: Die permanente Feinjustierung, die Strauss seinem Orchester zwischen Konversationston und Kraftzentrum abverlangt, funktioniert nahezu reibungslos. Metzmacher gelingt es sogar, die Modernität der Partitur herauszuarbeiten, ohne dabei größere Sinnlichkeitseinbußen zu erleiden.
Ariadne aber ist tot, der Komponist legt sich zufrieden mit sich und seiner Kunst zu ihr. Dann kommt der Jubel. Und Neuenfels blinzelt.
Weitere Aufführungen am 17., 20., 22., 25. und 27. 6.