Volksbühnen-Doku „Partisan“ auf der Berlinale: 25 wildbewegte Jahre mit Castorf
Eine pure Hommage. Die Dokumentation „Partisan“ über die Höhen und Tiefen der Ära Castorf an der Volksbühne im Berlinale-Panorama.
Frank Castorf platzt der Kragen. „Sucht euch einen anderen Regisseur!“, brüllt er in einem schönen Anfall von Proben- Cholerik. „Da ist kein Kampf, da ist gar nichts mehr! Allüren werden hier gemacht!“ Ach ja, lang ist's her. Der dokumentarisch verbürgte Ausfall gegen das konterrevolutionäre Gebaren seines Ensembles datiert von 1994, aus der Arbeit an „Die Sache Danton“. Mithin: aus den großen Aufbruchsjahren der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.
Allerdings – eine irgendwie beruhigende Erkenntnis – hat sich der langjährige Intendant nie vom jungen Wilden zum alten Milden gewandelt. 23 Jahre später, während der Proben zum fulminanten „Faust“, agiert Castorf zwar ein paar Grad leiser, aber in der Sache kein bisschen nachgiebiger. „Nee, Sophie“, quält er sich mit seiner Hexen-Performerin Rois, „du musst den Gedanken klarer, bösartiger hier runteradressieren.“
In der Dokumentation „Partisan“ der Filmemacher Lutz Pehnert, Matthias Ehlert und Adama Ulrich bringt der Schauspieler Alexander Scheer am schönsten auf den Punkt, welches Gefühl den Zuschauer in den Anfangsjahren beschleichen konnte. Scheer sah als 16-Jähriger die legendären „Räuber von Schiller“ und erinnert sich „an einen Haufen Schwerstgestörter“, die auf der Bühne „unglaublich Druck machten“. Sein unschuldiger Eindruck: „Die meinen irgendwas verdammt ernst. Aber was?“
Kein ostalgisches Projekt
Lutz Pehnert, der wie seine Mitstreiter einen journalistischen Background hat und in den frühen 90ern Redakteur bei der „Jungen Welt“ war, wurde ebenfalls von den „Räubern“ entflammt. Das Haus am Rosa-Luxemburg-Platz hat ihn geprägt. Was aber nichts mit der eigenen Ost-Herkunft zu tun hat, wie er betont. Und es stimmt: „Partisan“, der mit Bildern von der umstrittenen Ausgrabung des Räuber-Rads von Bert Neumann beginnt, ist kein ostalgisches Projekt. „Die Volksbühne“, so Pehnert, „hat unter Castorf Identifikationsmöglichkeiten in viele Richtungen geboten.“
Sophie Rois, die aus der österreichischen Provinz und nicht aus dem Sozialismus stammt, erzählt, welches Heimatgefühl sie auf Gastspielen mit der Volksbühne in östlichen Ländern stets ergriff, wenn sie die vertraute Architektur wiederentdecken konnte. Rois, Herbert Fritsch, Matthias Lilienthal – nicht wenige der prägenden Protagonisten des Hauses waren Wessis.
Die Filmemacher lassen Kathrin Angerer, Martin Wuttke, Hendrik Arnst sowie Marc Hosemann erzählen. Und auch Henry Hübchen, der ja seit vielen Jahren nicht mehr Theater spielt. Weil er, wie Castorf gern spöttelt, beim Fernsehen sein Geld bequemer verdienen kann.
Keinen Abschied erzählen
„Partisan“ verdankt seinen Titel einem Zitat des Ex-Hausherrn („Theater ist der letzte Partisan“) und versucht, 25 wildbewegte Jahre in 130 Minuten zu packen. Das ist ambitioniert, keine Frage. Zumal die Filmemacher nicht den zeitlichen Vorlauf bekamen, den der komplexe Theaterorganismus erfordert hätte. Tatsächlich erhielten sie erst in der Endprobenphase des „Faust“ Zugang mit ihren Kameras. Die Stimmung am Haus war gereizt, erinnert sich Pehnert, das bevorstehende Ende der Castorf-Ära hing über allem.
Erfreulicherweise räumt die Dokumentation dem Kulturkampf um die Dercon-Nachfolge aber kaum Raum ein. „Wir wollten keinen Abschied erzählen, sondern der Frage nachgehen, was die Volksbühne ausgemacht hat“, sagt Pehnert. Entsprechend ist „Partisan“ eine sehr pure Hommage geworden, die sich stationenhaft und unter Zuhilfenahme von einigem Filmmaterial aus den Archiven von RBB und SFB durch die Höhen und kurz auch durch die Tiefen bewegt, Stichwort: Krisenjahre 2007 ff.
Kaum kritische Stimmen
Klar, dass auch dem eingefleischten Volksbühnen-Aficionado in diesem Überblicksbogen Favoriten fehlen werden. Man muss auch zugeben, dass es selbst für Fans des Hauses anstrengend werden kann, all den Künstlern und Technikern bei der Reflexion ihrer eigenen Besonderheit zu lauschen. Und wenn mal kritische Stimmen kommen, dann stammen sie aus Rezensionen der frühen Castorf-Arbeiten und werden amüsiert von Schauspielern vorgetragen. Es sei eben konsequent um die Innensicht gegangen, „nicht um einen ,Theater heute‘-Film“, verteidigt Lutz Pehnert die Linie.
Sei's drum, Glorifizierung gehört zum Liebhabertum. Ebenso wie Wehmut zum Abschied. Im Schlussbild schwebt das „Ost“-Zeichen am Kran davon. Und jeder nimmt seine ganz eigenen Erinnerungen an die Volksbühne mit.
21. 2., 18 Uhr (International), 22. 2., 13 Uhr (Cinestar 7), 25. 2., 13 Uhr (CineStar7)
Patrick Wildermann